Worin besteht mein Glaube. Лев Толстой
Читать онлайн книгу.und ihr richtet noch immer und es ist doch gesagt: richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet Ich war so überzeugt, dass diese Worte nichts anderes bedeuten könnten, als das Verbot des Verleumdens, dass ich mir gar nicht bewusst war welch' eine Heiligtumspötterei ich beging, indem ich solches sagte. Ich war so weit gekommen, dass ich, in der Überzeugung, diese klaren Worte hätten eine andere als ihre wahre Bedeutung sie scherzend in dieser ihrer wahren Bedeutung aussprach.
Ich will ausführlich erzählen, wie in mir jeder Zweifel vernichtet ward darüber, dass diese Worte nicht anders aufgefasst werden könnten, als in dem Sinne, dass Christus die Errichtung aller menschlichen Gerichte verbiete, und dass er mit diesen Worten nichts anderes habe sagen können.
Das, was mich wunderte, nachdem ich das Gesetz über das Nichtwiderstreben dem Übel in seiner geraden Bedeutung aufgefasst, war, dass die menschlichen Gerichte nicht nur mit demselben nicht übereinstimmen, sondern ihm gerade entgegengesetzt sind, gleichwie sie mit der ganzen Lehre im Widerspruch stehen, und dass deshalb Christus, wenn er an diese Gerichte gedacht hätte, sie hätte verwerfen müssen.
Christus sagt: widerstrebet nicht dem Übel. Der Zweck der Gerichte ist: das Widerstreben dem Übel. Christus schreibt vor, man solle Böses mit Gutem vergelten. Die Gerichte vergelten Böses mit Bösem. Christus sagt, man solle keinen Unterschied machen zwischen Bösen und Guten. Die Gerichte haben keine andere Bestimmung, als den Unterschied zwischen Bösen und Guten aufzustellen. Christus sagt, man solle allen vergeben; vergeben, nicht einmal, nicht siebenmal, sondern vergeben ohne Ende; die Feinde lieben, Gutes tun denen, die uns hassen. – Die Gerichte vergeben nicht, sondern sie strafen; sie tun nicht Gutes, sondern Böses denen, die sie Feinde der Gesellschaft nennen. So dass es dem Sinne nach sich herausstellte, dass Christus die Gerichte hätte verbieten müssen. Vielleicht aber, dachte ich, hatte Christus nichts mit den weltlichen Gerichten zu tun und dachte nicht an sie. Ich sehe jedoch, dass dies nicht anzunehmen ist: Christus ist von dem Tage seiner Geburt an bis zu seinem Tode mit den Gerichten zusammengestossen: des Herodes, der Hohenpriester, des Synedrions. Und ich sehe in der Tat, dass Christus oft von den Gerichten geradezu als von einem Übel spricht. Seinen Jüngern sagt er, sie würden gerichtet werden, und sagt ihnen, wie sie sich bei dem Gerichte zu verhalten haben. Von sich selbst sagt er, man würde Gericht über ihn halten, und zeigt selbst, wie man sich zu den menschlichen Gerichten zu verhalten habe. Also dachte Christus an jene menschlichen Gerichte, die ihn und seine Jünger verurteilen sollten und die Millionen von Menschen verurteilten und stets verurteilen. Christus sah dies Übel und wies gerade darauf hin. Bei der Vollziehung des gerichtlichen Ausspruchs an der Ehebrecherin verwirft er geradezu das Gericht und zeigt, dass der Mensch nicht richten könne, weil er selbst schuldig sei. Und denselben Gedanken spricht er wiederholt aus, indem er sagt, dass man mit dem Balken im eigenen Auge nicht den Splitter im Auge des andern sehen dürfe – dass der Blinde den Blinden nicht sehen könne. Er erklärt sogar was aus einer solchen Verirrung entstehen würde: der Schüler würde werden wie der Meister.
Es könnte jedoch sein, dass Christus, indem er solches in Bezug auf die Verurteilung der Ehebrecherin ausspricht und durch das Gleichnis mit dem Splitter auf die allgemeine menschliche Schwachheit hinweist, dennoch es nicht verbietet sich an die menschliche Gerechtigkeitspflege zu wenden, um Schutz gegen die Bösen zu suchen; ich sehe jedoch, dass eine solche Annahme durchaus unhaltbar ist.
In der Bergpredigt wendet sich Christus an alle und spricht: und so jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem lasse auch den Mantel. Folglich verbietet er allen das Rechten.
Vielleicht aber spricht Christus bloß von der persönlichen Beziehung jedes einzelnen zum Gerichte, ohne die Gerechtigkeitspflege selbst zu verwerfen, und lässt in der christlichen Gemeinde Leute zu, die andere in eigens dazu gegründeten Verfassungen richten? Ich sehe jedoch, dass auch dies nicht anzunehmen ist. Christus befiehlt in seinem Gebete allen Menschen ohne Ausnahme den andern zu vergeben, auf dass auch ihnen ihre Schuld vergeben werde. Und er wiederholt diesen Gedanken viele Male.
Folglich muss jeder Mensch im Gebete und bevor er eine Gabe bringt, allen vergeben. – Wie kann also ein Mensch, der seinem Glauben nach allen stets vergeben muss, andere richten und verdammen? Und daraus erkenne ich, dass, Christi Lehre nach, es keinen christlichen strafenden Richter geben kann.
Vielleicht aber erkennt man aus dem Zusammenhang, in welchem die Worte: richtet nicht und verdammet nicht, mit andern Worten stehen, dass Christus, wenn er an dieser Stelle sagt: richtet nicht, nicht an die menschlichen Gerichte gedacht hat? Dies ist jedoch auch nicht der Fall, im Gegenteil, es ist dem Zusammenhang der Rede nach klar, dass Christus, wenn er sagt: richtet nicht, gerade von den Gerichten und Verfassungen spricht. Nach Matth. und Luk., bevor er ausspricht: richtet nicht und verdammet nicht, sagt er: widerstrebet nicht dem Übel, ertraget das Böse, tut Gutes allen. Und vor diesen Worten wiederholt er, nach Matth., die Worte des jüdischen Kriminalgesetzes: Aug' um Auge, Zahn um Zahn. Und nachdem er sich also auf das Kriminalgesetz berufen, sagt er: Ihr aber tuet nicht so, sondern widerstrebet nicht dem Übel, und dann erst sagt er: richtet nicht. Christus spricht also gerade vom menschlichen Kriminalgesetz und gerade dieses ist es, das er mit den Worten: richtet nicht, verwirft.
Ausserdem sagt er, nach Lukas, nicht nur: richtet nicht, sondern: richtet nicht und verdammet nicht. Die Hinzufügung dieses Worts, das beinahe denselben Sinn hat, muss doch etwas bedeuten. Die Hinzufügung dieses Wortes kann nur einen Zweck haben: die Erläuterung des Sinnes, in dem jenes erste Wort zu verstehen ist.
Wenn er hätte sagen wollen: richtet nicht euren Nächsten, dann hätte er letzteres Wort hinzugefügt Er aber fügt ein Wort hinzu, welches heisst: verdammet nicht. Und nach diesem spricht er: so werdet ihr nicht verdammt werden; vergebet allen, so wird auch euch vergeben werden.
Vielleicht aber hat Christus dennoch nicht an die Gerichte gedacht, indem er das sagte, und ich finde meinen eigenen Gedanken in seinen Worten, die eine ganz andere Bedeutung haben? –
Ich forsche danach, wie die ersten Jünger Christi, die Apostel, auf die menschlichen Gerichte sahen, ob sie dieselben anerkannt und gutgeheissen haben?
Im Kap. 4, 11–12, spricht der Apostel Jakobus: Afterredet nicht unter einander, lieben Brüder. Wer seinem Bruder afterredet und urteilet seinen Bruder, der afterredet dem Gesetz und urteilet das Gesetz. Urteilest du aber das Gesetz, so bist du nicht ein Täter des Gesetzes, sondern ein Richter. – Es ist ein einiger Gesetzgeber, der kann selig machen und verdammen. Wer bist du, der du einen anderen urteilest?
Das Wort, das mit dem Worte afterreden wiedergegeben ist, heisst καταλαλέω. Ohne im Lexikon nachzuschlagen kann man sehen, dass dieses Wort beschuldigen bedeutet. Und das bedeutet es auch, wovon jeder sich überzeugen kann, indem er im Wörterbuch nachschlägt. Es ist übersetzt: wer seinem Bruder afterredet, der afterredet dem Gesetz. Und unwillkürlich entsteht die Frage: weshalb? – Wenn ich noch so sehr meinem Bruder afterrede, so afterrede ich doch nicht dem Gesetz; wenn ich aber meinen Bruder durch das Gericht beschuldige und richte, so ist es augenscheinlich, dass ich dadurch das Gesetz Christi beschuldige, καταλαλέω ich erachte Christi Gesetz für unzulänglich und beschuldige und richte das Gesetz. Dann ist es klar, dass ich sein Gesetz nicht erfülle und mich selbst zum Richter aufwerfe. Der Richter aber, sagt der Apostel, ist derjenige, der erretten kann. Wie kann denn ich, der ich nicht im Stande bin zu erretten, Richter sein und strafen?
Diese ganze Stelle spricht vom menschlichen Gerichte und verwirft es. Die ganze Epistel ist von diesem Gedanken durchdrungen. In derselben Epistel Jakobi (Kap. 2, 1–13) heisst es: 1. Lieben Brüder, haltet nicht dafür, dass der Glaube an Jesum Christum, unsern Herrn der Herrlichkeit, Ansehen der Person leide. 2. Denn so in eure Versammlung käme ein Mann mit einem goldenen Ringe und mit einem herrlichen Kleide, es käme aber auch ein Armer in einem unsauberen Kleide; 3. Und ihr sähet auf den, der das herrliche Kleid trägt, und sprächet zu ihm: setze du dich her aufs beste; und sprächet zu dem Armen: stehe du dort oder setze dich her zu meinen Füssen; 4. Und bedenket es nicht recht, sondern ihr werdet Richter, und machet bösen Unterschied. 5. Höret zu, meine lieben Brüder, hat nicht Gott erwählet die Armen auf dieser Welt, die am Glauben reich sind und Erben des Reichs, welches er verheissen hat denen, die ihn lieb haben? 6. Ihr aber habt dem Armen Unehre getan. Sind nicht die Reichen die, die Gewalt an euch üben und ziehen euch vor Gericht? 7. Verlästern