BeOne. Martha Kindermann

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BeOne - Martha Kindermann


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verdammten LKW gefangen? Möglicherweise haben sie den Jungs eine höhere Dosis Betäubungsmittel untergemischt und sie verschlafen den Roadtrip friedlich in ihren maßgeschneiderten Initiantenhotels. Vielleicht ist es besser so. Nach dem peinlichen Fiasko im Wohnwagen gestern Abend bin ich eigentlich nicht sonderlich scharf darauf, mit einem von beiden zu reden. Tam hätte mich beinahe – na ja, lassen wir das. La, la, la, liebe Bilder, geht raus aus meinem Kopf! Es war wundervoll, gefährlich, aufregend und das Allerletzte. Ich war schwach und hatte mich nicht unter Kontrolle. Ich hasse diese Person. Ich hasse diese kindlich verliebte, naive Version von mir, die Tams Charme nach so langer Zeit immer noch nicht widerstehen kann und für seine Nähe sich selbst zu verraten bereit ist. Er war wahnsinnig süß und gleichzeitig das undurchschaubare Monster, dessen Launen sämtliche Knochen und nicht zuletzt mein geschundenes Herz brechen werden. Ich liebe ihn, aber weiß, dass es einen Besseren für mich gibt. Ich folge ihm, und weiß, dass er nur Süßholz raspelt. Ich lausche seinen Worten und weiß, dass sie Gift für mich sind. Warum also, sehne ich mich trotzdem nach seiner Nähe, seiner Stimme, seinem makellosen Körper? Warum befreie ich mich nicht aus dieser Holzkiste und höre auf, meinen Peiniger anzuschmachten? Er hat es nicht verdient und ich habe es nicht nötig, so viel steht fest. Also, raus hier. Den Versuch ist es wert. Wenn ich es geschafft habe, kann ich mich ja brav wieder zurücklegen, aber bis dahin muss ich die mehrstündige Fahrt nach Midden ja nicht eingepfercht und in der Horizontalen in diesem Käfig verbringen.

      Wie war das noch? Haarnadeln. Verflucht, ich trage keine mehr, seit Roberto meine lange, braune Mähne in einen schulterlangen, silbrigen Helm verwandelt hat, der mittlerweile ganz schöne Jahresringe aufzuweisen hat. Anderer Plan. Ich brauche etwas Spitzes, Hartes oder zumindest Bruchfestes. Mmh. In meinen Taschen befindet sich nichts, an meine Füße reiche ich nicht heran, Ohrringe trage ich keine, eine Brille wird mir hier ja nicht gegönnt und zaubern kann ich auch nicht.

      Der Reißverschluss! Sensationelle Idee. Roya, du Glückspilz. Tam hat dir doch noch nicht alle Sinne vernebelt.

      Es dauert keine fünf Minuten und ich habe das Loch im Deckel in ein faustgroßes Fenster verwandelt. Meine rechte Hand quetscht sich hindurch, findet die Verschlüsse der Kiste und öffnet sie blind. Ich hab’s geschafft. Irre gutes Gefühl! Ich steige aus meinem hölzernen Kokon, klappe den Deckel wieder zu und muss mich setzen. Mein fahrbarer Untersatz ist bis unter das Dach bestückt und jagt mir eine Heidenangst ein. Sollten sich in den übrigen Verstecken keine Eleven, sondern tatsächlich Waffen befinden, dann haben wir ein wirklich großes Problem. Diese Lieferung geht an die Regierung und wir sind nur ein kleiner Bonus obendrauf. Was haben sie vor mit dem Kram? Die Zahl der Anschläge von außen ist meines Wissens nach zurückgegangen und aus dem Ausland droht seit Jahrzehnten keine Gefahr mehr. Jeder macht schön sein eigenes Ding. Das ist öde, da wir keine Chance haben, etwas anderes als Polars Sternenhimmel zu sehen, aber es wahrt den Frieden im Land und das ist nicht das Schlechteste.

      Stopp. Das Auto bremst abrupt und ich werde unsanft von meiner Kiste geschleudert. Sind wir schon da? Oh nein, bitte nicht. Ich habe noch keinen Blick in die anderen Tarnsärge werfen können und eine Ausrede für den zerstörten Deckel muss auch erst noch ausgereift werden.

      Eine Tür knallt und es sind Schritte zu vernehmen. Was soll ich machen? Mich unauffällig wieder zurücklegen und schlafend stellen? Ich könnte mich auch bewaffnen und hinter der Plane auf eine passende Gelegenheit für einen Ausbruch warten. Aber was ist dann mit Tam, Sly und den möglichen anderen unserer Gruppe? Ich muss sie zuerst finden!

      »Junge, beruhige dich!« Das ist GAMs Stimme, wenn mich nicht alles täuscht. »Keiner von uns wird dir etwas tun. Leg die Waffe auf den Boden und dann steig langsam wieder in deine Kiste. In ein paar Kilometern sind wir am Übergabeort angelangt und dann kannst du tun und lassen, was du willst.«

      Junge. Waffe. Übergabeort. Scheiße, einer der Eleven muss durchgedreht sein. Meine Beine zittern und ich kralle verängstigt die Fingernägel ins weiche Holz meiner persönlichen Transportbox. Was mach ich bloß? Einerseits muss ich wissen, wer da draußen gerade mit einer Waffe auf unsere Peiniger losgeht, und andererseits wäre es blanker Selbstmord, sich jetzt zu zeigen und damit nicht nur sein, sondern auch mein Leben zu riskieren. Verflucht, warum haben wir dieses Szenario nie mit Lehmann durchkonstruiert?

      PENG. Ein Schuss. Oh nein! Vor Schreck beiße ich mir in die Wange und schmecke das süßliche Blut meiner eigenen Verzweiflung. Zum Nachdenken bleibt keine Zeit. Möglicherweise wurde gerade einer meiner Freunde kaltblütig erschossen. Tam? Sly? Ich habe keine Wahl. So schnell es meine wackeligen Beine und wässrigen Augen zulassen, kämpfe ich mich von Kiste zu Kiste, um deren Inhalt zu prüfen. Waffen. Nichts als Waffen. Wie kann das sein? Wo sind die anderen? Oder ist für jeden Eleven ein LKW ähnlichen Ausmaßes reserviert? Ich mag es mir nicht vorstellen. Eines wird mir schließlich klar: Ich bin allein, die Boliden sind abgelenkt und der Konvoi zum Stehen gekommen. Abhauen wäre definitiv eine Option.

      Ich öffne einen Knopf der Plane am Ende des Wagens und spähe hinaus. Hinter mir steht ein weiterer Laster, dessen Fahrerhaus jedoch unbesetzt ist. Gut. Flink schlüpfe ich aus meinem Gefängnis und springe lautlos auf den geteerten Untergrund. Es wäre so einfach. Zu beiden Seiten erstreckt sich ein großer Wald und ich könnte unbemerkt abtauchen. Nach Hause laufen, mich verstecken, Tristan suchen, Fenja umarmen und in ewiger Angst leben. Nein, dafür bin ich nicht so weit gekommen. Dafür haben mich meine Geschwister nicht in die Akademie geschickt. Ich bin kein Feigling, und vor allem lasse ich niemanden hier zurück.

      Also schließe ich die Augen, atme tief ein und balle meine Hände zu entschlossenen Fäusten. Wie eine Musterschülerin aus dem Nahkampfkurs pirsche ich mich am Fahrzeug entlang und verstecke mich im Schatten des Vorderrades. Ich sehe eine Person am Boden, acht oder neun Männer mit erhobenen Händen im Halbkreis stehend und Sly, der eine Waffe auf die Muskelpakete im Undergrounderlook richtet. Ich schlage mir die Hand vor den Mund und weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Mein mutiger Freund nimmt es gleich mit mehreren dieser Schränke gleichzeitig auf, um uns hier rauszuholen. Andererseits waren es vor dem Schuss noch zehn und die Vermutung liegt nah, dass der gutmütige Sly gerade ein Menschenleben beendet hat und in mir sämtliche Alarmglocken schrillen. Das hat uns keiner beigebracht. Wir lernten niemals den Umgang mit Waffen. Wir schießen nicht, wenn es brenzlich wird, sondern verteidigen uns mit Worten – die Kunst der Rhetorik. Der Typ mit der Knarre mag vielleicht aussehen wie Sly, aber das ist auch schon alles!

      »Psst, Roya.« Ich sehe mich verdutzt um, kann das Flüstern jedoch nicht orten. »Hier drüben auf drei Uhr!« Ich wende den Kopf und blicke zu meiner Rechten in den Wald. Wer ist da und vor allem: woher kennt er oder sie meinen Namen?

      »Hier. Ich bin es, Akira.« Akira? Jetzt kann ich ein dunkles Gesicht zwischen Zweigen und hohem Gras ausmachen und hebe vorsichtig eine Hand zum Gruß. Was macht sie hier? Ihre Großmutter Daloris meinte, sie sei mit Berd und ein paar anderen zur Sternenwacht oder so ähnlich aufgebrochen. War es ein Vorwand, um diesen Waffentransport zu sabotieren und uns übrige Eleven zu befreien? Mein Herz macht einen dankbaren Satz und sofort scheint nicht mehr alles so ausweglos.

      Sie winkt mich zu sich und bevor ich über die Konsequenzen meiner nächsten Handlung nachdenken kann, renne ich geduckt zu Akira ins Dickicht des schützenden Waldes.

      »Hi, Roya.«

      »Berd?« Ich falle meinem schüchternen Freund um den Hals, um ihn Sekunden später peinlichberührt wieder loszulassen. »Entschuldige, es ist nur verdammt schön euch zu sehen. Was ist hier los? Wo kommt ihr her und was um alles in der Welt…«

      »Treibt Sly da draußen?«

      »Ja, Akira.« Sie spricht aus, was mir kaum über die Zunge will.

      »Zunächst«, fährt sie im Flüsterton fort, »war es ein ungutes Bauchgefühl, was mich und meine kleine Gruppe umkehren ließ. Wir hatten das Loft der Sternenwacht schon beinahe erreicht, als Berd mitten in der Nacht wie ferngesteuert aufwachte und einfach loslief. Ich erwachte, als er eine Aluflasche versehentlich umstieß, und wollte ihn zur Rede stellen. Wie im Nebel lief er weiter. Ich folgte ihm, ohne wirklich zu ihm durchzudringen, und redete weiter auf ihn ein. Als die Fernstraße immer näher kam, stoppte ich ihn mit Gewalt und schüttelte ihn, bis seine Augen wieder klarer wurden. Es war


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