"dein Gott, ist drinnen bei dir" (Zefanja 3,17) Spirituelle Profile. Markus Roentgen

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S. 355-366.

      Nach dem Gespräch stirbt die Mutter, Augustinus beendet den autobiografischen Teil der Confessiones mit dem Bericht über ihren Tod, mit einer ergreifenden Totenklage endet dieser Teil, mit der Hoffnung auf das Wiedersehen im himmlischen Jerusalem, dessen unsagbare Wirklichkeit für einen gemeinsamen Herzschlag in Ostia erfahren wurde als Vorabahnung eines köstlichsten Augenblicks – in ictu cordis – „mit einem gemeinsamen vollen Herzschlag, in höchster Herzerhebung, Da streiften wir sie, die ewige Weisheit, das Göttliche“…

      In seiner Trauer erinnert sich Augustinus der Verse seines Lehrers und Taufvaters Ambrosius, die ihm endlich die Tränen lösen zum Loslassen seiner Mutter in die Dimension der Hoffnung eines ewig währenden Jerusalems:

      „O Gott und Schöpfer allen Seins,

      Du lenkst so mild des Himmels Bahn,

      Du kleidest aus den Tag in Licht,

      Verleihst zur Nacht die sanfte Ruh’;

      Dass rasten kann der müde Leib,

      Und sich so labe, ruhevoll zu neuer Müh’

      Herzauf der Atem frische neue Kraft

      Und lasse Last und dumpfe Kümmernis.!

      (eigener Übersetzungsversuch von Markus Roentgen)

      Hier korrespondiert nun als Ahnen, womit das letzte Buch der Confessiones schließen wird, die Ahnung und das Noch-Nicht des siebenten Schöpfungstages, mit dessen Betrachtung Augustinus das 13. Buch und damit die Confessiones beenden wird.

      Beides soll deshalb, als Textzusammenstellung, diesen kleinen vierteiligen Zyklus zu den Confessiones des Augustinus auch zu einem Doppelpunkt bringen, der Sie, die Lesenden, einladen will, selbst das Ganze zu lesen, staunend, mit denkend, fragend, hadernd, befremdet, fasziniert, mit sehnsüchtigen Augen, Ohren, Sinnen, denkend, betend – herzweit!

      Spiritualität – Mystik des Gespräches

      Die Ostia-Vision (Augustinus mit seiner Mutter Monika) als einzigartiges Dokument einer mitgeteilten und aufgeschriebenen Gotterfahrung, die zwei Menschen (einer Frau und einem Mann zugleich) im Gespräch zuteil wird. Die Szene erscheint auch wie ein Reflex auf eine kostbare Szene aus dem Buch des Propheten Daniel (und Augustinus hatte die Heilige Schrift inwendig und auswendig zur Verfügung), wo dessen Jerusalem-Sehnsucht im 6. Kapitel sich ähnlich ausdrückt, wie die ewige Jerusalem-Sehnsucht des Augustinus mit seiner Mutter Monika. Beim Propheten Daniel heißt es in Daniel 6, 11: „Als Daniel erfuhr, dass das Schreiben unterzeichnet war, ging er in sein Haus. In seinem Obergemach waren die Fenster nach Jerusalem hin offen. Dort kniete er dreimal am Tag nieder und richtete sein Gebet und seinen Lobpreis an seinen Gott, ganz so, wie er es gewohnt war.“ Ähnlich beginnt die Schilderung bei Augustinus. So heißt es im 9. Buch der Confessiones:

      „Schon nahte der Tag, da sie (Monika) aus diesem Leben scheiden sollte – Du kanntest ihn, wir nicht -, da traf es sich, wie ich glaube durch Deine geheime Fügung, dass wir beide allein, ich und sie, an ein Fenster gelehnt standen, das in den Garten innerhalb des Hauses ging, das uns beherbergte, dort in Tiber-Ostia, wo wir, dem Trubel entrückt, nach der Mühsal der langen Reise Kräfte sammelten für die Seefahrt. Wir unterhielten uns also allein, köstlich innig, und, ‚vergessend was hinter uns lag, auslangend nach dem, was vor uns liegt’ (Augustinus zitiert Phil 3, 13), fragten wir uns im Angesicht der Wahrheit, die du bist, welcher Art wohl dereinst das ewige Leben (vita aeterna) der Heiligen sei, jenes Leben, das freilich ‚kein Auge geschaut und kein Ohr vernommen, und das in keines Menschen Herz gedrungen ist’ (Augustinus zitiert 1 Kor 2,9). Und doch lechzte begierig unser Herz nach den Wassern aus der Höhe, und den Wassern ‚Deiner Quelle’, der ‚Quelle des Lebens, die bei Dir ist’ (Augustinus zitiert Psalm 36, 10), um von dorther nach unseres Fassens Maß benetzt, einem so erhabenen Gegenstand auf alle Weise nachzusinnen.

      Im Fortgang des Gespräches ergab sich uns, dass mit der Wonne des ewigen Lebens kein Entzücken (delectatio), auch nicht die höchste Lust, sinnenvermittelt, wie groß es auch sei, wie gleißend auch und köstlich im irdischen Licht, sich vergleichen, ja daneben auch nur nennen lasse: da erhoben wir uns mit heißerer Inbrunst nach dem wesenhaften Sein (nach dem, was das Selbst ist; erigentes nos ardentiore affectu in ‚id ipsum’ – Augustinus zitiert den Psalm 4, 9 in der lateinischen Fassung; Joseph Bernhart weist in den Anmerkungen zu seiner Übersetzung (S. 889) auf dieses Verstehen des Psalmwortes hin: „o in pace! O in idipsum (Ps 4,9): Et tu es id ipsum valde, qui non mutaris. Im Psalmenkommentar 4,9 geht Augustinus auf ‚id ipsum’ nicht ein. Aber im Kommentar zu Psalm 122, 5 erläutert Augustinus ‚idipsum’: quod semper eodem modo est …quod est – also: ‚was schlechthin ist, im höchsten Sinne ist, das Sein ist’ … quod aeternum est. Dieser Ausdruck deutet auf die Selbstoffenbarung und Selbstbezeichnung JHWH‘S hin (vgl. Ex 3, 1-14), die im Lateinischen übersetzt wurde als ‚ego sum qui sum’– und ist so verwandt der Aussage des Plotin vom griechischen en, das jedoch hier bei Augustinus persönlich verstanden und gefärbt bleibt in der Weise der Anrede); und durchwanderten stufenweise die ganze Körperwelt, auch den Himmel, von dem herab Sonne, Mond und Sterne leuchten über die Erde. Und höher stiegen wir auf im Betrachten, Bereden, Bewundern Deiner Werke, und wir gelangten zu unserer Geisteswelt (et venimus in mentes nostras; „mens“, das ist der geistig-rationale Teil unserer Seelenwelt, worin die Sinneseindrücke, Gefühle, Begierden und Leidenschaften geordnet werden, zudem auch die Geisteswelt, unsere Abstraktionskraft, reines Denken und Logik). Und wir schritten hinaus über sie, um die Gefilde unerschöpflicher Fülle zu erreichen, auf denen Du Israel auf ewig weidest mit der Speise der Wahrheit; und dort ist das Leben die Weisheit (sapientia), die Weisheit, durch die alles Geschöpfliche entsteht (hier bezieht Augustinus sich auf Psalm 104, 24), was je gewesen ist und was je sein wird; und sie selbst ist ohne Werden, sie ist, wie sie gewesen ist, und also wird sie für immer sein. Es gibt in ihr kein Gewesensein noch ein Künftigsein (also keine Vergangenheit und keine Zukunft), sondern das Sein allein, weil sie ewig ist; denn Gewesensein und Künftigsein ist nicht ewig. (Die Weisheit – sapientia – bedeutet bei Plato Idee, in der Heiligen Schrift in Sprüche 8, 22 ist sie eine Art Hypostase, ein Heraustreten und Erscheinen Gottes, letztlich Schöpferkraft, Gestalt gewordene Idee, Logos, in und aus dem alles wird.) Und während wir so reden von dieser ewigen Weisheit, voll Sehnsucht nach ihr, da streiften wir sie leise in einem vollen Schlag des Herzens (attigimus eam –sapientiam – modice toto ictu cordis)

      (Was da geschieht ist augenblicklich und ewig und hier nicht festzuhalten, denn)“ da seufzten wir auf und ließen dort festgebunden ‚die Erstlinge des Geistes’ (Augustinus zitiert hier Röm 8, 23); und wir wandten uns wieder dem Getön der Rede zu, bei der das Wort Anfang und Ende hat; was auch wäre ähnlich Deinem Wort, unserm Herrn, dem Wort, das in sich verbleibt, ohne zu altern und doch alles erneut!

      (Und nun schwingt die Erfahrung nach, erdverhaftet wiederum!)

      Wir sagten uns also: Brächte es einer dahin, dass ihm aller Tumult des Fleisches (sileat tumultus carnis) schwände, dass ihm schwänden alle Innbilder von Erde, Wasser, Luft, dass ihm schwände auch das Himmelsgewölbe (welches als Verkörperung des Feuers mit Erde, Wasser und Luft die vier Elemente bezeichnet) und selbst die Seele gegen sich verstummte und selbstvergessen über sich hinausschritte, dass ihm verstummten die Träume und die Kundgaben der Phantasie, dass jede Art Sprache, jede Art Zeichen und alles, was in Flüchtigkeit sich ereignet, ihm völlig verstummte – denn wer ein Ohr dafür hat, dem sagt das alles: ‚nicht wir sind’s, die uns schufen, sondern es schuf uns, der da bleibt in Ewigkeit’(Augustinus zitiert aus dem Psalm 100) -, wenn also nach diesem Wort das All im Schweigen versänke, weil es sein Ohr zu dem erhoben hat, der es erschaffen, und wenn nun er allein spräche (et loquatur ipse solus) nicht durch die Dinge, sondern nur durch sich selbst (non per ea, sed per se ipsum), so dass wir sein Wort vernähmen nicht durch Menschenzunge, auch nicht durch Engelsstimme und nicht im Donner aus Wolken, noch auch in Rätsel und Gleichnis (hier benennt Augustinus lakonisch in einem Halbsatz die Grenzen der Vermittlungsmöglichkeiten göttlicher Offenbarung durch uns Menschen), sondern ihn selbst vernähmen, den wir in allem Geschaffenen lieben, ihn selbst ganz ohne dieses (Geschaffene), wie wir eben jetzt uns nach ihm reckten und in windschnell flüchtigem Gedanken (rapida cogitatione) an die ewige, über allen beharrende Weisheit rührten;


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