"dein Gott, ist drinnen bei dir" (Zefanja 3,17) Spirituelle Profile. Markus Roentgen
Читать онлайн книгу.zu leugnen. Nichts verliert jedoch je die Beziehung und den Zusammenhang zum alles in allem und allen bewegenden Ausgangspunkt: „Alles, was ist, und sei es auf welche Weise auch immer – sofern es seiend ist, ist es gut.“ 35
35 Summa contra Gentes 3, 7.
Daraus folgt dann auch der unbedingte Vorrang des Guten vor dem Bösen: „Gutes ohne Böses kann es geben; Böses aber ohne Gutes kann es nicht geben.“36
36 Summa I, 109, 1 ad 1
Im Jahr 1259, also genau vor 750 Jahren, beginnt Thomas von Aquin in Italien seine Römerbriefstudien und seine Vorlesungen über diesen zentralen Brief des Apostels Paulus, der bis heute eine große Wirkung ausstrahlt. 1272, kurz vor seinem Tod, nimmt er sich den Römerbrief ein zweites Mal vor. Darin denkt er, im Meditieren des 1. Römerbriefkapitels, in dem Paulus von der Erkennbarkeit Gottes in und aus der Schöpfung schreibt, dass es die größte Gnade des Menschen ist, nicht von anderen her (als gestützt im blinden Vertrauen auf übergeordnete Autoritäten), sondern aus sich selbst heraus das Gute zu vollbringen.
Über den Glauben heißt es bei ihm, dass er durch die Liebe gewirkt wirkt und durch sie, die Liebe, zur Relevanz in den Früchten tätigen Lebens gelangt. Bei Thomas heißt dies im Lateinischen: „Fides quae per caritatem operatur.“37
37 Vgl. Klein, S. 268.
Aber in alledem bleibt auch das ungleich größere Meer des Unsagbaren und Unsäglichen, welches Pater Karl Rahner SJ später das „heilige Geheimnis, das letzte Wort vor dem Verstummen“ nennen wird, das nicht anders und immer noch nicht besser als „Gott“ genannt werden kann.38
38 Vgl. Karl Rahner, Meditation über das Wort „Gott“ : H. J. Schultz, Wer ist das eigentlich – Gott?. München 1969, S. 13 ff.
Pater Wilhelm Klein SJ schreibt: „zu Thomas dem großen Wissenschaftler gehört Thomas der Christ, der die ganze Bedingtheit und Relativität seines Sprechens und Schreibens erfasst und versteht und der in diesem Scheitern alles Wissens das Gesetz des Sterbens und im Sieg alles Glaubens das Gesetz des Lebens im sterbenden Gottmenschen sieht.“39
39 Vgl. Klein, S. 269.
Zu Thomas zentralen Erkenntnissen gehört, in aller Größe des Geschauten und Gedachten, in aller fundierenden Gotteserkenntnis aus dem Fundament der Seinserkenntnis, dass überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts, dennoch die größere Unsagbarkeit und Unerkennbarkeit Gottes im Verhältnis zur Sagbarkeit und Erkennbarkeit. Wer hätte tiefer und klarer mittels des Denkens und mittels der Verstandesmöglichkeiten versucht, die Gottesfrage ins Reine zu bringen. Und doch, und gerade darin dies, wenn Thomas schreibt: „Bei der Betrachtung der Wirklichkeit Gottes ist aber vornehmlich der Weg der Verneinung zu beschreiten. Denn die Wirklichkeit Gottes übersteigt jede Form, die unser Verstand erreicht, durch ihre Unermesslichkeit, und so können wir nicht begreifen, was sie ist. Wir haben jedoch irgendeine Kenntnis von ihr, indem wir erkennen, was sie nicht ist. Und umso mehr nähern wir uns der Kenntnis von ihm, je mehr wir durch unsern Verstand von ihm verneinen. – Einzig dann erkennen wir Gott in Wahrheit, wenn wir glauben, dass er über alles hinausliegt, was Menschen über Gott zu denken vermögen.“40
40 Vgl. Zitat bei Jorissen.
„Diese ist das Äußerste menschlichen Gotterkennens: zu wissen, dass wir Gott nicht wissen.“41
41 Summa contra Gentes 3, 38.
Zu Thomas gehört eben auch der Abbruch seines größten Werkes, der Summa, sein: „Ich kann nicht mehr …es kommt mir alles wie Stroh vor, was ich geschrieben habe“ – „omnia quae scripsi videntur mihi paleae“. Auch eine Form, dem Lebensentscheid eines armen Bettelmönches im jung gegründeten Predigerorden eine letzte beeindruckende Form und Aussage im Glauben zu geben.
So ist es vielleicht einerseits besonders schön, anrührend und auch geheimnisvoll tief, dass Thomas, so berichtet es eine Erzählung, als ihm in einer mystischen Erfahrung in der Stille der Kirche des Hl. Dominikus in Neapel Christus selbst zuteil wurde in einer Audition, und dieser ihm zum Dank für sein so treffendes und gutes Schreiben und so zum Lohn alle Schätze der Welt anbot, Thomas in größtmöglicher Kühnheit und Demut zugleich zu seinem Schöpfer und Herrn gesprochen haben soll: „Dich selbst begehre ich – nur Dich!“ Denn was wäre, was nicht zuerst und zuletzt in Gott vollends enthalten wäre!?!“42
42 Vgl. Chesterton, S. 97-104.
Und dennoch, auch das Fehlen und Begehren, das Sehnen und das Nicht in diesem Leben braucht andererseits noch einen Hinweis. Als Thomas sich im Jahr 1274, noch nicht 50 Jahre alt, auf dem Weg zum Konzil von Lyon im Kloster Fossa Nuova zum Sterben nieder legte (und sein Ende kam schnell dort), bat er darum, dass man ihm nur mehr das Hohelied (Das Lied der Lieder) der Heiligen Schrift von Anfang bis Ende vorlese. Darin heißt es im 3. Kapitel:
„Des Nachts auf meinem Lager suchte ich ihn,/
den meine Seele liebt./
Ich suchte ihn und fand ihn nicht.
Aufstehen will ich, die Stadt durchstreifen,/
die Gassen und Plätze,/
ihn suchen, den meine Seele liebt.
Ich suchte ihn und fand ihn nicht.
Mich fanden die Wärter/
bei ihrer Runde durch die Stadt.
Habt ihr ihn gesehen,/
den meine Seele liebt?
Kaum war ich an ihnen vorüber,/
fand ich ihn, den meine Seele liebt.“
(Hohelied 3, 1-3)
Entspricht dies nicht in unfasslicher Weise dem, was im Buch Exodus, Kapitel 33, 18-23, geschrieben ist, wo Mose Gott bittet, dessen Herrlichkeit zu schauen. Ihm wird gesagt: „Ich will alle meine Schönheit an dir vorüberziehen lassen und den Namen Jahwes vor dir ausrufen. Ich werde gnädig sein, wem ich gnädig sein will und werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmen will.“ Weiter sprach er: „Mein Angesicht kannst du nicht schauen, denn kein Mensch sieht mich an und bleibt am Leben.“ Jahwe sprach: „Siehe, bei mir ist ein Platz (hebr. „Makom“!), da magst du dich auf den Felsen stellen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Höhlung des Felsens stellen und meine Hand über dich decken, bis ich vorübergegangen bin. Wenn ich meine Hand zurückziehe, wirst du meine Rückseite schauen. Aber mein Angesicht darf man nicht schauen.“
Thomas beichtete und empfing den Leib des Herrn in der Eucharistie. Der Beichtvater, der vermutlich anderes erwartet hatte bei einer solchen Größe des Geistes, soll berichtet haben, seine Beichte sei die eines fünfjährigen Kindes gewesen.
Literatur:
Thomas von Aquin, Sentenzen über Gott und die Welt. Hg. v. Josef Pieper Johannes-Verlag 2/1987. G.K. Chesterton, Der stumme Ochse. Über Thomas von Aquin. Freiburg u. a. 1960. P. Wilhelm Klein SJ, Gottes Wort im Kirchenjahr. Tübingen 1999. Fridolin Stier, Wenn aber Gott ist…Ein Lesebuch. Hildesheim 1991, darin zu Thomas v. Aquin: „Sitzen und schauen“, S. 91f.
Hans Jorissen, Kirchlicher Gedenktag von Thomas von Aquin : Woran sie glaubten – wofür sie lebten, hg. v. Rudolf Englert. München 1993, S. 36.
Markus Roentgen, Gottheit tief verborgen… : Pastoralblatt 1 (2000) 23f; Ders., Theologische Fragmente über das Böse : Pastoralblatt 1 (2005) 21f.
P. Johannes Duns Scotus ofm