Sexy Zeiten - 1968 etc.. Stefan Koenig

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Sexy Zeiten - 1968 etc. - Stefan Koenig


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– 1980 etc.«. Und gerade heute erschien der neueste Serienband »Rasante Zeiten – 1985 etc.«.

      Ich plane – mitten in der Corona-Zeit – als sportives Risikogruppenmitglied waghalsiger Weise die Fortsetzung der Serie bis in die Jetztzeit. So sollte der letzte Band sinniger Weise heißen »Verfickte Zeiten – 2020 etc.“ und uns später in Erinnerung rufen, wie wir heute fühlen, wie wir leben, wie wir hoffen und bangen. Ich hoffe, es möge für uns alle märchenhaft weitergehen – aber bleiben wir realistisch und schließen mit dem Spruch mit dem alle Märchen schließen: „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“

      In diesem Sinne: Genießen Sie das Leben, sofern sie noch leben.

      Laubach, 25. Mai 2020

      Ihr Stefan Koenig

      Liebe im lieblosen Grau

      Hanna und ich hatten die Entjungferung für ein Wochenende im August 1966 geplant. „Gehst du immer noch mit der Tussi von der Bettinaschule?“ hatte mich Pit noch am Freitag vor dem Matheunterricht gefragt. So eine blöde und plumpe Frage! Das hätte ich von meinem besten Schulkumpel nicht erwartet. Erstens war Hanna alles andere als eine Tussi, denn sie hörte Beethoven. Und zweitens gingen Hanna und ich schon seit vier Wochen miteinander. Und wenn man mehr als zehn Tage miteinander ging, dann war das quasi ein Eheversprechen. Außerdem fummelten wir schon seit einem gefühlten halben Eheleben. Und natürlich hatte ich meinem guten Freund Pit darüber ausführlich er-zählt. Was für eine doofe Frage also!

      Diesmal war ich Pit um eine Nasenlänge voraus. Das konnte er ruhig wissen. Der Entjungferungszeitplan von Hanna und mir ging ihn allerdings nichts an, fand ich. Am Samstagmittag war es endlich soweit. Ich kaufte Teelichter und pflückte heimlich Blumen in unserem Kleingarten, den meine Eltern diesmal ausnahmsweise nicht beackerten. Schließlich waren sie heute auswärts eingeladen. Mit Übernachtung. Und meine acht Jahre ältere Schwester Ulla feierte ihren vierundzwanzigsten Geburtstag seit zwei Tagen bei ihrem französischen Liebhaber, Monsieur Pierre Beaugrande, mit Dauerübernachtung im Odenwald, eine Autostunde entfernt von unserem Elternhaus in Frankfurt. Mein sieben Jahre älterer Bruder Günter war als gelernter Schriftsetzer am Puls der Zeit, im fernen Berlin.

      Ich hatte also sturmfreie Bude, und das wussten Hanna und ich nun schon seit acht Tagen. Acht Tage Vorfreude. Acht Tage hingen wir, jeder für sich, wie wir uns später gestanden, in der ewigen Frageschleife, wie das wohl werden würde. Beide waren wir scharf darauf. Und hatten gleichzeitig irgendwie ein wenig Schiss. Aber bisher hatten wir keine Gelegenheit gehabt. Wir muss-ten den Stier bei den Hörnern packen. „Heute geht‘s zur Sache, Liebes“, sagte ich völlig unromantisch ins Tele- fon, eine Stunde bevor Hanna kam, und ich kam mir danach etwas dämlich vor. „Die Sache“ war damals kompliziert. Aber es offen anzusprechen, war schick. Direktheit war bei uns jungen Wilden der Stil der Zeit. Anders die verschnörkelte, hinterfotzige und verquirlte Erwachsenenwelt, wo mit verklemmten Andeutungen und verdunkelten Schlafzimmern die Liebe penetriert wurde. Das war nicht die reife Romantik, als die sie es zu verkaufen suchten, das war pure Prüderie.

      *

      Streng wachte 1966 das Auge des Gesetzes über unsere Sexualität. Die Autoritäten für uns „Halbstarke“, wie uns manch einer nannte, waren Lehrer und Eltern. Und meine Eltern hielten mir immer wieder vor, was passieren würde, wenn ich ein Mädchen zum Übernachten mit nach Hause nehmen würde. „Wir müssen es ausbaden“, sagte Mama. „Man wird uns Eltern als Verkuppler hart bestrafen. Das kann direkt ins Gefängnis führen.“

      Mein Vater hatte Hanna und mir noch am Mittwoch vor unserem Geheimplan versucht, einen Strich durch die Rechnung zu machen. Wir waren beide erst sechzehn Jahre jung. Wahrscheinlich ahnte er etwas von „der Sache“. Er war ja immerhin auch ein Mann. Stillschweigend hatte er uns am Nachmittag nach Kaffee und Kuchen diskret einen ziemlich alten Zeitungsartikel von 1961 auf dem Esstisch hinterlassen. Titel: „Urteil des Bundesgerichtshofs“. Darin hieß es: „Die moralische Ordnung fordert, dass körperliche Beziehungen zwischen den Geschlechtern grundsätzlich sich nur in monogamen Ehen vollziehen, da Zweck und Ergebnis dieser Beziehung das Kind ist.“

      Auch mein Gymnasiallehrer, Herr Hahn, hatte unsere Klasse vor einem Jahr – da waren wir gerade Fünf-zehn geworden – beiläufig wissen lassen, dass außerehe-liche Gemeinschaften verboten sind. Dabei hatte er allerdings heftig mit dem Auge gezwinkert. Er war auch derjenige, der uns annähernd wahrheitsgetreu aufklärte. Eines Tages sagte er: „In der Liebe ist alles erlaubt. Man darf sich küssen und lecken, wo auch immer.“ Dabei schaute er uns unverblümt in die Augen. Ich bekam einen knallroten Kopf – und wahrscheinlich nicht nur ich.

      Hanna war auf einer reinen Mädchenschule. Ihre Lehrer waren echt verklemmt, wohl mehr, als die Pau-ker an unserer Jungenschule. Also hatte sie von Tuten und Blasen keinen blassen Schimmer. Aber wie sie mir erzählte, hatten auch ihre Eltern sie nicht aufgeklärt. Folgerichtig hatten ihre Alten die von ihr vorsichtig angefragte Übernachtung meiner Wenigkeit in Hannas mädchenhaft eingerichtetem „Kinderzimmer“ abge-schmettert.

      „Wer unter seinem Dach ein unverheiratetes Paar auch nur für eine Nacht beherbergt, macht sich strafbar nach dem Kuppelei-Paragrafen. Da stehen bis zu fünf Jahre Zuchthaus drauf!“, hatte ihr Vater in seiner typischen Akademikerart doziert. Ihr Vater war Physiker, die Mutter Hausfrau, wie das eben üblich war; denn ein einziger Verdiener für die Familie war absolut ausreichend. Und es sicherte die Vormachtstellung des Verdieners.

      Wer sollte uns oder unsere Eltern eigentlich verpet-zen, wenn einer von uns in der Wohnung des anderen übernachtete? Wenn wir gegenüber den Eltern einwand-ten, dass das doch keinen Menschen interessiere, dann kam immer derselbe Satz: „Aber was sollen die Nach-barn denken!“ Und irgendwie war da was dran. Nach-barn fungierten in den 1960er Jahren noch gerne als selbst ernannte Blockwarte. Sie schwärzten jeden an, den sie nicht leiden konnten.

      Der großartigste Aufklärungsheld für uns Jugendliche hieß Oswalt Kolle. Sieben Jahre später, 1973, als der Kuppeleiparagraph endlich abgeschafft war, berichtete er, dass es damals jährlich bis zu vierhundert Verfahren gegeben hatte.

      Ja, es kotzte uns an, dass Sex nur im Ehebett statt-finden durfte. Vieles ging uns gegen den Strich: Der mörderische US-Bombenkrieg in Vietnam, die Doppel- moral unserer Eltern, die rücksichtslose Polizeigewalt gegen friedliche Sitzdemos an den Unis, wo Studenten gegen ihre dogmatischen Professoren in ihren verstaub- ten Talaren streikten.

      „Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren!“ So skandierten sie auf dem Campus und in den Hörsälen. Und uns Schülern gingen die autoritären Lehrer gegen den Strich. Wir jungen Revoluzzer wollten uns das nicht länger gefallen lassen. Während weltweit irgendwelche Befreiungskämpfe tobten, die wir in unserem pubertären Modus noch wenig verstanden, kämpften wir Schüler erst mal gegen die sexuelle Unterdrückung, gegen die Fesseln der Prüderie. Und gegen die Allmacht der autoritären Erwachsenenwelt, in der die Prügelstrafe eher noch Regel als Ausnahme war. Da hatte ich verdammtes Glück, mein Elternhaus gehörte zur Ausnahme. Aber meine Lehrer schlugen noch auf die Finger, verteilten Backpfeifen, rissen an Ohren und Haaren, stellten uns in die Ecken und warfen mit Schlüsselbund und Kreide.

      *

      Endlich war heute sturmfrei. Das heißt, da gab es noch eine Tante Ria im Haus. Meine Mutter hatte die Stadtvilla von ihren Eltern geerbt, ein Teil dieser Erbschaft bestand in Tante Ria, die weder eine richtige Tante noch sonst irgendwie angenehm war. Sie hörte, sah und roch alles. Und sie hatte mir seit unserem Einzug in das Haus 1962 noch niemals eine Aufmerksamkeit, nicht einmal ein Bonbon als Geschenk gemacht. Als wir in das Bornheimer Haus einzogen, ich war gerade zwölf geworden, litt ich unter der mangelnden Aufmerksamkeit dieser Nenntante arg. Schließlich hatte ich in unserem bisherigen Preungesheimer Wohnblock, in der Nähe des Frankfurter Knastes, gleich gegenüber der amerikanischen Kaserne, eine liebe, dicke und gut riechende „Oma“ als Nachbarin gehabt, die mir wöchentlich ein Stück Schokolade oder Bonbons zusteckte. Das war in den Zeiten meiner


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