Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf. Heinrich Mann

Читать онлайн книгу.

Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf - Heinrich Mann


Скачать книгу
Kleinere hob sich auf die Fußspitzen, um ihm die Fäuste unter die Nase zu halten. »Du hast die Bauern bestochen«, keifte er. Jener grollte: »Du hast Räuber gedungen, damit sie mich ausplünderten.«

      Da stieß der Kleinere zu, und sofort umschlang ihn der Größere, sie rangen. Sie warfen einander gegen Bäume, stürzten, rollten fort; und in Atempausen, wenn einer über dem anderen lag, keuchten sie einander noch zu: »Vor zehn Jahren bei dem Hauskauf hast Du mich betrogen!«

      Dem Kleineren quollen die Augen heraus, er lag unten. Aus der Frömmigkeit in dem langen Gesicht des Größeren war Leiden geworden. Er glaubte die Besinnung zu verlieren, so sehr litt er. Um sich zu erleichtern, packte er den Kleineren um die Kehle. Der brachte trotzdem hervor: »Wärest Du nie auf der Welt gewesen!« Jener konnte nicht sprechen, er drückte nur fester, da schwieg der andere.

      Der Mörder sprang auf, eine Kugel war an seinem Kopf vorbeigeflogen. Er sah in einem, wo er war und was er getan hatte. Er floh in den Wald. Als er schon weit war, kehrte er um. Andere Getötete lagen da, er mußte den seinen erst suchen. Dann kniete er bei der Leiche hin, das Gesicht nach der Schlacht gewendet, und wartete. Jetzt kam keine Kugel. Allmählich sank seine Stirn bis auf den Boden.

      »Holla, Euer Getreide ist keinen Heller mehr wert!« rief jemand. Der Intendant war es, er rüttelte, man mußte wohl aufstehen. »Die Schlacht ist gewonnen«, der Intendant überschrie sich und fuchtelte. »Die Brücke genommen, der Feind umzingelt, gefangen, was nicht tot ist. Wir haben seine Vorräte.«

      Schon beruhigte er sich und sah klarer. »Sie sind in einem Zustand, als hätten Sie mitgekämpft. Ihr Kamerad scheint sogar – aber wo ist seine Verwundung?«

      Da der Intendant aus der Faust des Getöteten einen Fetzen vom Mantel zog, gestand der Mörder: »Wir haben Streit gehabt.«

      Sofort warf der Offizier sich in die Brust. »Sie haben gemordet«, stellte er fest. Er rief Soldaten an, sie packten den Mörder. Da kam der General vorbei, er hielt sein Pferd an. »Und das Getreide?« fragte er. »In der Festung haben wir keines gefunden.«

      »Der Mann hat seinen Begleiter ermordet«, sagte ernst der Intendant. Der General stutzte. »Ich weiß, sie hatten Streit. Sie gönnten einander den Wucher nicht.« Er hob die Schultern, mißbilligend und mit Verachtung. »Aufhängen.«

      Der Mann aber zuckte heftig. Dies war ein Irrtum, sie wußten nichts. Er wollte erklären.

      »Wir waren Freunde«, sagte er mit brechender Stimme.

      »Um so schlimmer«, sagte der General und ritt weiter, denn er sah den Kaiser nahen.

      »Ich habe mich noch nicht deutlich genug gemacht«, dachte der Mann, aber schon warf ihm jemand einen Strick um den Hals, das andere Ende hing schon über einem Ast. Da sah er, es war die Eiche, unter die sie als Spione geführt worden waren, er und sein Freund – vor wenig Zeit erst. Er hatte geglaubt, er sei tageweit fort von hier. Vor seinen Füßen lag sein Freund tot. Plötzlich sah er seine eigenen Füße über dem Toten schweben, sie zogen ihn hinauf. »Was fällt ihnen ein«, dachte er. »Ich bin doch ein Kaufmann aus weiter Ferne.«

      Er dachte an ein Haus dort hinten, an Söhne und Töchter, die Schiffe im Hafen. Am Hafen kam ihm sein Freund entgegen. Jetzt sah er ihn nicht mehr, weil die Sonne ihn blendete.

      Die Sonne stand hoch über dem Schlachtfeld. Nach ihrem Aufgang hatte sie den Feind geblendet, wie der Kaiser es gewollt hatte. Jetzt strahlte sie auf seinen Sieg. Er kam geritten mit seiner Marmormiene, im Abstand hinter ihm der glänzende Schwarm. Sein Pferd tänzelte gewandt zwischen den Leichen.

      Erstes Kapitel. Die Frau von drüben

      Der Zwanzigjährige stürmte die Straße hinan. Sie war steil, der Wind strich her, ihm stockte der Atem. Wie sehr er stürmte, der Körper meinte zu erstarren, so weit voraus lief ihm die Seele. Als er um die schiefen Nachbarhäuser bog, ging grade die alte Glocke seines Vaterhauses, und auf der Schwelle stand sein Freund. »Ich wollte zu Dir«, sagte der Freund und erblaßte bei der Lüge, denn er kam von drinnen. Terra begriff nichts. Er rief gegen den Wind: »Ich werde glücklich werden!«

      Mangolf lächelte wehmütig und gewitzigt. »Jetzt, den fünften Oktober 1891 um zwölf Uhr zehn, bist Du glücklich. Sage lieber nicht mehr als das.«

      »Lebewohl«, sagte Terra. »Ich muß zum Juwelier.«

      »Dein Brautgeschenk? Sie willigt ein?«

      Terra faßte stämmig Fuß auf dem Pflaster; um seine Mundwinkel flog es. »Ich würde in dem längsten Leben die Selbstverachtung nicht verwinden können, zu der die freiwillige Aufgabe meines höchsten Lebenszieles mich verdammt hätte.«

      Der Freund fragte: »Mit dem Geld versieht Dich der wucherische Schneider?«

      »Schon nächstes Jahr macht mein Erbe mich wohlhabend. Ich gehe, wohin es mir gefällt, mit der Frau, die das Leben ist.«

      »Lebewohl denn«, schloß der Freund. Terra senkte die Augen, er sagte mit Überwindung, wie ein Mädchen, das sich schämt: »An unsere Verabredung heute Abend denkst Du nicht?«

      Mangolf, um so klangvoller: »Wenn Dir an ihr noch etwas liegt? Eine Frau geht zehn Freunden vor.«

      »Aber nicht dem einen«, sagte Terra, schlug die Augen auf und meinte zu versinken. Mangolf fühlte: »Um Gotteswillen, das darf er nicht allein gesagt haben.« – »Wir wissen Bescheid«, sagte er männlich und warm. Er sah dem Freunde nach. Terra ging langsamer fort, als er gekommen war, sein Glück bedenkend wohl, anstatt es zu erstürmen.

      Mangolf drang schnell in das Haus. Der weite Flur hallte noch von dem Geklapper der Glocke, da war er schon über die gelbe Treppe. Man dachte drunten: er geht zum Sohn. Er schlüpfte aber an dem Zimmer des Sohnes vorbei, in die Tür daneben.

      Die Schwester saß lesend, die Hände auf den Ohren. Ein schmaler Blitz aus ihren Augen in den Spiegel gegenüber, dann blieb sie regungslos haften am Ende der Seite, ohne umzublättern. Der dunkle Knabe dort hinten verschlang sie, hart klopfenden Herzens: die schmalen Schenkel, die vorragten vom Sitz, den hohen weißen Nacken über der Lehne, und um das süße, ferne Profil, »fern, noch wenn ich es küsse«, der gebauschte blonde Prunk ihres Haares, worin, von dem geschlossenen Laden her, ein runder Lichtschein flammte.

      Jetzt war er da, griff ohne Schonung zu und drückte ihr das Gesicht in den Nacken. Sie schloß die Augen erst, als seine Lippen auf ihre halboffenen stießen. Sie sank, wie seine ungeschickten, gierigen Hände auf sie eindrangen, immer tiefer an ihn hin.

      Als sie das Kleid wieder glatt strich, schien ihr gesenktes Gesicht zu lächeln, sicher spöttisch und wahrscheinlich grübelnd. Ja; sie sagte: »Was heißt das. Wenn man wüßte, was das heißt.«

      Weil ihn dies beleidigte, griff er aufs Neue zu, jagte sie durch das Zimmer – und ward von ihr gefangen. Dann brachte sie selbst die Antwort. »Das heißt, wir nehmen Abschied.«

      Er verschränkte die Arme und wollte sich wegwenden, sie zog ihn herum. »Mach' immerhin Deine Luziferbrauen! Wolf, Du heiratest mich nicht. Wolf, ich will Dich auch nicht.«

      Er entgegnete ordnungsgemäß: »Ein Wort genügt, und meine gern erfüllte Pflicht geht Allem vor.« Sie sagte aus ihrer blonden Höhe: »Mein Lieber, wir nehmen beide das Leben viel zu ernst, um uns nur zu unserem Vergnügen zu heiraten.«

      Er nahm die Arme auseinander. »Wenn Du es denn hören willst, ich habe zu viel vor mit mir in der Welt, als daß ich mich schon heute in die Abhängigkeit von Deiner Familie begeben möchte.«

      »Und wenn Du erst Deine Studien beendet hast, fühlst Du Dich verpflichtet, ein Mädchen zu suchen, das um mehrere Millionen reicher ist als ich.«

      »Ich will durch mich selbst hinauf«, behauptete er.

      »Das sage auch ich.« Dabei verschränkte nun sie die Arme. »An Dir hängen bleiben, bewahre. Obwohl Du mein Typ bist, aber davon gibt es mehr. Vor Allem beim Theater, wohin


Скачать книгу