Krakatit. Karel Čapek

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Krakatit - Karel Čapek


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war bloß ein Kratzer«, wehrte Prokop ab.

      »Ein schöner Kratzer! Blutvergiftung! Wenn Sie wieder gesund sind, will ich Ihnen sagen, daß Sie – daß Sie eine Mordseselei begangen haben. Entschuldigen Sie«, meinte er in würdevoller Entrüstung, »fast wäre mir was Gröberes entschlüpft. Ein gebildeter Mensch und weiß nicht, daß er genug für einen dreifachen Exitus in sich hat! Wie konnten Sie sich überhaupt auf den Beinen halten?«

      »Ich weiß nicht«, flüsterte Prokop beschämt.

      Der Doktor wollte weiterschimpfen, brummte aber nur und winkte ab. »Und wie fühlen Sie sich?« fragte er streng. »Etwas dumpf im Kopf, nicht wahr? Kein Gedächtnis. Und da, da«, er tippte an die Stirn, »irgendwie schwach, stimmt's?«

      Prokop schwieg.

      »Nun, Herr Ingenieur«, redete der Doktor eifrig weiter, »Sie brauchen sich das nicht sehr zu Herzen zu nehmen. Einige Zeit wird's schon noch dauern. Sie dürfen den Kopf nicht anstrengen. Nicht nachdenken. Es kommt wieder . . . Stück für Stück kommt's wieder. Vorübergehende Störung, eine schwache Amentia, verstanden?«

      Der Doktor redete so laut, schwitzte und ereiferte sich derart, als gelte es, einen Taubstummen zu überzeugen. Prokop betrachtete ihn gespannt und fragte dann leise: »Ich bleibe also schwachsinnig?«

      »Davon kann gar keine Rede sein«, widersprach der Doktor heftig. »Ganz ausgeschlossen! Bloß . . . zeitweise Gedächtnistrübung, Zerstreutheit, Mattigkeit und ähnliche Symptome. Störungen in der Koordination. Jetzt heißt es nur ausruhen. Vollkommene Ruhe. Nichts tun. Mein lieber Herr Ingenieur, danken Sie Gott, daß Sie es überhaupt überstanden haben.«

      »Ja, überstanden!« wiederholte er nach einer Weile und blies freudig erregt in sein Taschentuch. »Einen solchen Fall habe ich noch nicht erlebt. Sie kamen im Delirium hier an, brachen zusammen, und aus war's! Was sollte ich mit Ihnen anfangen? Das Krankenhaus ist weit, das Mädel war außer sich . . . und dann, Sie waren doch als Gast zu . . . Georg, zum Sohn, gekommen. Wir haben Sie also hierbehalten, das ist doch selbstverständlich. Uns macht es nichts aus. Aber einen so unterhaltsamen Gast hatten wir noch nicht im Haus. Zwanzig Tage verschlafen, ganz schön! Als Ihnen mein Kollege, der Oberarzt, die Hand schnitt, wachten Sie erst gar nicht auf, wozu auch? Ein stiller Patient, das muß man sagen! Na, ist ja einerlei. Wenn Sie es nur überstanden haben.« Der Doktor klatschte sich heftig auf die Schenkel. »Aber, zum Teufel, schlafen Sie nicht mehr! Heda, Herr, jetzt wird nicht mehr geschlafen, sonst ist es für immer. Trachten Sie, es ein wenig zu überwinden! Wach bleiben, hören Sie!«

      Prokop nickte matt; er fühlte, wie sich zwischen ihm und der Wirklichkeit Schleier spannten, wie alles verhüllt und trübe wurde und verstummte.

      »Anni«, hörte er aus weiter Ferne eine aufgeregte Stimme, »bring Wein!« Rasche Schritte, ein Gespräch wie unter Wasser und der kühle Geschmack des Weines, der ihm die Kehle hinunterrann. Er öffnete die Augen und sah das Mädchen über sich gebeugt. »Sie dürfen nicht schlafen!« sagte sie angstvoll.

      »Ich werde nicht schlafen«, entschuldigte sich Prokop kleinlaut.

      »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, polterte der Doktor am Bettrand. »Der Professor kommt eigens aus der Stadt zur Konsultation herüber; er soll sehen, daß wir Bader auf dem Lande auch etwas können. Sie müssen sich zusammennehmen.« Mit ungewöhnlicher Gewandtheit hob er Prokop hoch und ordnete die Kissen hinter seinem Rücken. »So, jetzt können Sie sitzen. Den Schlaf heben Sie sich bis nach dem Mittagessen auf. Ich muß in die Sprechstunde. Und du, Anni, setz dich hierher und plaudere ein wenig. Dein Mundwerk steht sonst auch nicht still. Wenn er wieder einschlafen sollte, ruf mich an. Ich werde ihm schon meine Meinung sagen.« In der Tür drehte er sich um und knurrte: »Aber – ich freue mich. Also, mach's gut!«

      Prokops Blicke glitten zu dem Mädchen hin. Sie saß etwas abseits, die Hände im Schoß, und wußte beim besten Willen nicht, worüber sie reden sollte. Jetzt hob sie den Kopf und öffnete leicht die Lippen; gleich wird Prokop etwas zu hören bekommen. Aber noch schämte sie sich, verschluckte, was sie sagen wollte, und ließ den Kopf noch tiefer sinken. Man sah nur die langen Wimpern, die sich auf den zarten Wangen bewegten.

      »Der Vater ist immer so heftig«, begann sie endlich zaghaft. »Er ist das . . . Herumschreien gewohnt . . . von den Patienten her.« Schon war ihr wieder der Faden ausgegangen. Da tauchte – wie gerufen – die Schürze zwischen den Fingern auf und ließ sich lange und vielfältig zusammenlegen.

      »Was ist das für ein Geräusch?« fragte Prokop nach einer Weile.

      Sie wandte den Kopf zum Fenster; sie hatte schönes, blondes Haar, das die Stirn erhellte; ein Lichtschimmer spielte auf den feuchten Lippen. »Das sind die Kühe«, erklärte sie. »Drüben liegt das Gut der Herrschaft. Dieses Haus gehört auch der Herrschaft. Der Vater hat ein Pferd und einen Wagen . . . Fritz heißt es.«

      Prokop nickte und lauschte.

      »Waren Sie noch nie in Teinitz? Hier gibt es nur Alleen und Felder . . . Solange die Mutter noch lebte, da war Leben im Haus. – Da kam auch Georg öfter . . . Jetzt war er schon über ein Jahr nicht mehr bei uns. Man darf nicht einmal seinen Namen nennen. – Sehen Sie ihn oft?«

      Prokop verneinte entschieden.

      Das Mädchen seufzte und überlegte. »Er ist so . . . ich weiß nicht – so merkwürdig. Zu Hause ging er mit den Händen in den Hosentaschen herum und langweilte sich immer nur . . . Gewiß, es ist nichts los hier, aber . . . Der Vater ist froh, daß Sie dageblieben sind«, beendete sie rasch und ein wenig unzusammenhängend das Gespräch.

      Auf dem Hofe draußen begann heiser und komisch ein junger Hahn zu krähen. Plötzlich schienen die Hühner in Aufruhr geraten zu sein, man hörte ihr aufgeregtes »Ko-ko-ko« und das triumphierend kläffende Bellen des Hundes. Das Mädchen sprang auf. »Hansi jagt die Hühner!« Aber sie setzte sich gleich wieder, entschlossen, die Hühner ihrem Schicksal zu überlassen. Es herrschte eine angenehme, klare Stille.

      »Ich weiß nicht, was ich Ihnen erzählen soll«, sagte sie nach einer Weile mit schöner Offenherzigkeit. »Ich werde Ihnen aus der Zeitung vorlesen, wollen Sie?«

      Prokop lächelte. Und schon war sie mit der Zeitung da und begann mutig mit dem Leitartikel. Finanzielles Gleichgewicht, Staatsbudget, ungedeckte Kredite . . . Die liebliche, unsichere Stimme las ruhig die ernsthaftesten Dinge vor. Prokop, der gar nicht zuhörte, fühlte sich wohler, als wenn er tief geschlafen hätte.

      8

      Prokop durfte nun täglich ein Stündchen das Bett verlassen. Noch schleppte er die Füße so sonderbar und war nicht eben redselig. Was immer man ihn fragte, er antwortete meist nur kurz und entschuldigte sich dabei mit einem scheuen Lächeln.

       Zur Mittagsstunde – es war erst Anfang April – saß er meist im Hausgarten auf der Bank; neben ihm hockte der struppige Terrier Hansi, grinste breit unter seinem stets feuchten Schnauzbart, sichtlich stolz darauf, Gesellschaft leisten zu dürfen, und blinzelte vergnügt, wenn ihm Prokops narbige Linke den zottigen Kopf kraulte. Um diese Zeit kam der Doktor zumeist aus der Sprechstunde geeilt, so daß das Käppchen auf der blanken Glatze hin und her rutschte, hockte sich nieder und pflanzte Gemüsesetzlinge. Mit den dicken, kurzen Fingern zerbröckelte er die Erdbrocken, um den jungen Keimen sorgsam ein Lager zu bereiten. Jeden Augenblick suchte er etwas, wobei er ärgerlich brummte: Er habe irgendwo seine Tabakspfeife in ein Beet gesteckt und wisse nicht, wo. Da erhob sich Prokop und schritt mit dem Spürsinn eines Detektivs (er las jetzt im Bett immer Detektivgeschichten) auf die verschwundene Pfeife zu. Diesen Augenblick benutzte Hansi immer, um sich geräuschvoll zu schütteln.

      Jetzt kam auch Anni, um Vaters Beete zu begießen. In der rechten Hand schleppte sie die volle Kanne, die linke hielt sie ausgestreckt von sich, um das Gleichgewicht zu halten. Ein silbriger Wasserschauer brauste über den lehmigen Boden, und wenn Hansi zufällig in der Nähe auftauchte, bekam er sein Teil ab, entweder auf die Hinterbacken oder auf seinen dummen lustigen Kopf. Dann quiekte er entsetzt auf und suchte bei Prokop Schutz.

      Während des ganzen Morgens strömten


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