Siebenkäs. Jean Paul

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Siebenkäs - Jean Paul


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schon einige Metzen gemahlen fürs Werk. Ich kenne keinen größern geistigen Tumult – kaum einen süßern – in einem jungen Menschen, als wenn er in der Stube auf- und abgeht und den kühnen Entschluß fasset, ein Buch Konzeptpapier zu nehmen und ein Manuskript daraus zu machen – ja man kann darüber disputieren, ob der Konrektor Winckelmann und der Feldherr Hannibal hurtiger die Stube auf- und abliefen, als beide des ebenso kühnen Sinnes wurden, nach Rom zu gehen. Siebenkäs mußte, da er eine Auswahl aus des Teufels Papieren zu schreiben beschlossen, zum Hause hinaus und dreimal um den Marktflecken laufen, um die rollenden beweglichen Ideen durch müde Beine wieder fester in die rechten Fugen einzuschütteln. Er kam, müde vom innern Verglühen, zurück – sah nach, ob genug weißes Papier zu Manuskripten da sei – und lief auf seine ruhige Haubensteckerin zu und küßte sie so schnell, daß sie kaum die Stecknadel aus den Lippen – den letzten Dorn an diesen Rosen – ziehen konnte. Unter dem Kusse befestigte sie, hinunterschielend, ganz ruhig mit der Nadel ein Band an einem Haubenflügel. »Freu dich doch«, sagt' er, »tanze mit mir herum – ich schreibe morgen ein Opus, ein Buch. – Brat nur heute abends den Kalbskopf, ob es gleich wider unsere 12 Eß-Gesetztafeln läuft.« Er und sie hatten sich nämlich sogleich am Mittwoch als eine Speise-Gesetz-Kommission niedergesetzt; und es war unter den 39 Artikeln einer sparenden Tisch-Ordnung auch dieser durchgegangen und dekretiert, daß sie sich abends wie Brahminen ohne Fleisch behelfen wollten, ganz schlecht und nur mit Fleisches-Wertem. Er hatte aber die größte Mühe, bis er seiner Lenette beibrachte, daß er schon mit einem Bogen von der Auswahl aus des Teufels Papieren den Kalbskopf wieder zu erschreiben verhoffen dürfe und daß er nicht ohne Grund sich selber einen Fasten-Erlaß erteile; denn Lenette dachte wie der gemeine Mann oder wie der Nachdrucker, ein geschriebenes Buch werde wie ein gedrucktes bezahlt, und dem Setzer gehöre fast mehr als dem Schreiber. Sie hatte in ihrem Leben noch nichts von dem ungeheuren Ehrensold vernommen, welchen deutsche Autoren gegenwärtig ziehen; sie war wie Racinens Frau, die nicht wußte, was ein Vers oder ein Trauerspiel ist, und die gleichwohl damit die Haushaltung bestritt. Ich meines Orts würde aber keine an den Altar und in das Hochzeithaus führen, die nicht wenigstens einen Perioden in meinen Werken, über welchem mich der Tod mit seiner Sanduhr erworfen, unter meiner Firma recht gut hinauszuschreiben wüßte oder die es nicht unbeschreiblich freuen könnte, wenn ich ihr gelehrte Göttingische Anzeigen oder Allgemeine Deutsche Bibliotheken vorläse, die mich, wenn auch übertrieben, loben.

      In Siebenkäs hatte den ganzen Abend die Schreibefreude alle Blutkügelchen in ein solches Rennen und alle Ideen in einen solchen Wirbelwind gesetzt, daß er bei seiner Lebhaftigkeit, die oft den Schein der Herzen-Aufwallung annahm, ohne weitere Frage über alles Langsame, das ihm in den Weg sich stemmte, über den Zögerschritt des Laufmädchens oder über die Wort-Trommelsucht desselben aufgefahren und als Platzgold losgegangen wäre, hätt' er nicht auf der Stelle nach einem besondern Temperier- oder Kühl-Pulver gegen freudige Entrüstung gegriffen und solches eingenommen. Es ist leichter, dem schleichenden Gang eines schweren trüben Blutes einen Abfall und einen schnellem Zug zu geben, als die Brandungen eines fröhlichen stürmenden zu brechen; aber er wußte sich in der größten Freude stets durch den Gedanken an die unerschöpfliche Hand zu stillen, die sie gegeben hatte – und durch die sanfte Rührung, mit welcher das Auge sich vor dem verhüllten ewigen Wohltäter aller Herzen niederschlägt. Denn alsdann will das von der Dankbarkeit und der Freudenträne zugleich erweichte Herz wenigstens dadurch danken, daß es milder gegen andere ist. Jenen wilden Jubel, den die Nemesis züchtigt, kann dieses Dankgefühl am schönsten zähmen; und die, welche an der Freude starben, wären, wenn sie ein dankbares Hinaufsehen erweicht hätte, entweder nicht gestorben oder doch an einer schönern Freude.

      Den ersten und den besten Dank für das neue gerade schöne Ufer, in das jetzo sein Leben abgeleitet war, bracht' er dadurch, daß er die Verteidigung mit dem größten Feuer vollführte, die er für eine angeklagte Kindmörderin zur Abwendung der Folter zu machen angefangen. Der Stadtphysikus des Marktfleckens hatte sie nach der Lungenprobe verdammt, die ebenso richtig als die Wasserprobe Weiber zur Richtstätte hingeleitet.

      Stille einsame Tage aus dem Frühling der Ehe belegten den Steig der beiden Menschen mit einem Blumenteppich. Bloß unten am Fenster erschien einige Male ein Herr in fleischfarbener Seide, wenn Lenette am Morgen sich und den weißen Arm hinausstreckte und lange am Festriegeln der zurückgelehnten Fensterladen arbeitete. »Ich schäme mich ordentlich«, sagte sie, »mich hinauszulehnen; ein vornehmer Herr steht immer drunten und zieht den Hut ab und schreibt mich auf, wie der Fleischtaxator.«

      In den Schulferien des Sonnabends erfüllte der Schulrat Stiefel das Versprechen, das er am Hochzeittage feierlich gegeben, recht häufig zu erscheinen und wenigstens in den Schulferien der Woche nicht auszubleiben. Ich will ihn, um das Ohr mehr durch Wechsel zu erquicken, den Pelzstiefel nennen, zumal da ihn ohnehin der ganze Reichsort wegen des Grauwerks und des Hasen-Umschlags so nennt, den er als einen tragbaren holzsparenden Ofen an seinen Beinen trug. Der Pelzstiefel band schon auf dem ersten Stubenbrett Freudenblumen zusammen und steckte dem Advokaten den Strauß ins Knopfloch; er vozierte ihn zur Stelle eines Mitarbeiters an dem »Kuhschnappelischen Anzeiger und Götterboten und Beurteiler aller deutschen Programmen« – ein Werk, das bekannter sein sollte, damit durch solches auch die empfohlnen Schulschriften es würden. Mir ist dieser Schreibvertrag von Herzen lieb, weil er doch meinem Helden einen Rezensier-Groschen wenigstens für die Abendsuppe auswirft. Der Schulrat, der Redakteur des Anzeigers, besetzte die kritischen Gerichtstellen sonst gar nicht leichtsinnig; aber Siebenkäs war in seinen Augen zum einzigen Wesen erhoben, das einen Rezensenten noch überragt – zu einem Schriftsteller, da er von Lenetten auf dem Kirchwege gehört, ihr Mann lasse ein dickes Buch in Druck ausgehen. Der Schulrat konnte nicht anders als die damalige Salzburgische Literaturzeitung für die Heilige Schrift apokryphischen, und die Jenaische für die Heilige Schrift kanonischen Inhalts ansehen; die einzige Stimme eines Rezensenten wurde ihm vom Echo im gelehrten Gerichthof allezeit zu 1000 Stimmen vervielfältigt; und aus einem rezensierenden Kopfe wurden in seiner Täuschung mehre lernäische, wie man sonst glaubte, daß der Teufel den Kopf des armen Sünders mit Scheinköpfen einfasse, damit der Scharfrichter fehlerhaft köpfe. Die Namenlosigkeit verleihet dem Urteile eines Einzelwesens das Gewicht eines Kollegiums; man schreibe aber den Namen darunter und setze »der Kandidat XYZ« statt »Neue allgemeine deutsche Bibliothek« so hat man die gelehrte Anzeige des Kandidaten zu sehr geschwächt. Der Schulrat warb meinen Helden an, seiner Satire halber; denn er selber, ein Lamm im gemeinen Leben, setzte sich auf dem Rezensier-Papier zu einem Werwolf um; ein häufiger Fall bei milden Menschen, wenn sie schreiben, besonders über humaniora und dergleichen; wie etwa sanfte geßnerische Hirtenvölker (nach Gibbon) gern Krieg anfangen und gut führen; oder wie der Idyllenmaler Geßner selber ein schneidender Zerrbildzeichner war.

      Unser Held und neugeworbener Rezensent bot von seiner Seite an diesem Abende wieder Stiefeln Freude und die Aussicht zu mehr als einer an, nämlich aus dem von Leibgeber hinterlassenen Münzkabinettchen einen Mücken- oder Wespentaler, nicht um für die Bestallung zum kritischen Wespennest ein douceur zu geben, sondern um den Mückentaler in kleineres Geld umzusetzen. Der Schulrat, der als der fleißige Silberdiener eines eigenen Talerkabinettes gern gesehen hätte, alles Geld wäre überhaupt nur für Kabinette da – er meinte aber numismatische, nicht politische –, funkelte und errötete entzückt über den Taler und beteuerte dem Advokaten, welcher dafür nur den Natur-, nicht den Kunstwert erstattet verlangte: »Aber ich erkenne hierin den wahren Freundschaftdienst.« – »Nein«, versetzte Siebenkäs, »aber den wahren tat mir Leibgeber, der mir den Taler gar geschenkt.« – »Aber ich gäbe gewiß dreimal mehr dafür, wenn Sie es nur fodern wollten«, sagte Stiefel. – »Aber (fiel Lenette, über Stiefels Freundlichkeit und Entzückung entzückt, ihren Mann heimlich zum Festbleiben anstoßend, mit einer Dreistigkeit ein, die mich wundert) mein Mann wills ja nicht anders; und ein Taler ist ein Taler.« – »Aber«, versetzte Siebenkäs, »dreimal weniger eher dürft' ich künftig fodern, wenn ich Ihnen mein Kabinettchen talerweise abstehe.« – – Ihr lieben Seelen! Wären doch die menschlichen ja immer solche Aber wie eure!

      Der hagestolze Stiefel ließ sich an einem so genußreichen Abende echte Höflichkeit gegen das weibliche Geschlecht am wenigsten nehmen, besonders gegen eine Frau, die er schon als Braut in seinem Brautwagen liebgewonnen und die ihm gar jetzo als Gattin eines solchen Freundes und als solche Freundin seiner selber doppelt


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