Siebenkäs. Jean Paul

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Siebenkäs - Jean Paul


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zergehen ließ, als eine Krudität der Stube vertrieben, und als sie an die heilige Arche seines Schreibtisches greifen wollte: dann richtete sich der Ehevogt auf und setzte sich auf die Hinterfüße und zeigte mit den vordern auf die Demarkationlinie.

      Rosa erschien! – Verfluchen oder totprügeln konnte den Jüngling eigentlich keine nur ein wenig weiche Seele; man gewann ihn vielmehr allezeit in dem Zwischenraum seiner Streiche lieb. Er hatte weißes Haar an Kopf und Kinn und war überhaupt sanft und hatte wie die Insekten fast Milch statt des Blutes in den Adern, so wie die Pflanzen, die vergiften, meistens weiße Milchsäfte haben. Er vergab leicht, ausgenommen den Mädchen, und vergoß abends im Theater oft mehr Tränen, als er mancher Verführten abgedrücket hatte – sein Herz war überhaupt nicht von Stein oder Höllenstein, und wenn er lange betete, wurd' er andächtig und suchte die ältesten Glaubenlehren hervor, um ihnen beizufallen. – Der Donner war für ihn eine Nachtwächterschnarre, die ihn aufweckte aus dem leisen Schlafe der Sünde. – Dürftigen griff er gern unter die Arme, zumal unter schöne. – Im ganzen genommen kann er selig werden, zumal da er nicht, wie etwan die Schuldner der großen Welt, seine Spielschulden bezahlt, und da er in seinem Herzen ein angebornes Duellmandat gegen Schießen und Hauen besitzt. Sein Wort hält er freilich noch nicht; auch würd' er, wenn er ärmer wäre, ohne Bedenken stehlen. Gewichtigen Leuten legt' er sich wedelnd zu Füßen, aber die Weiber zerrt' er wie ein Schoßhund an der Schleppe oder setzte sich mit entblößtem Gebisse zur Wehre.

      Solche biegsame Wasserschößlinge flattern vor jedem satirischen Schlage zurück, und es ist ihnen, so sehr sie ihn verdienen, keiner beizubringen, weil die Einwirkung sich nur wie der Widerstand verhält; und Siebenkäs wünschte, Meyern wäre roher und rauher; denn gerade diese nachgiebigen, bereuenden, kraft- und saftlosen weichen Geschöpfe stehlen Glück, Kassenbestand, weibliche Unschuld, Ämter und guten Namen und sind völlig dem Mäusegift oder Arsenik ähnlich, der, wenn er echt ist, ganz weiß, glänzend und durchsichtig scheinen muß.

      Rosa erschien, sag' ich; aber unendlich schön: sein Schnupftuch war eine große, und seine beiden Locken zwei kleine Molucken voll Wohlgeruch – auf der Weste war (nach damaliger Sitte) ein ganzer gemalter Viehstand oder Zimmermanns zoologische Karte – seine Beinkleidchen und sein Röckchen und alles salzte die Weiber im Hause bloß durch den Vorübergang zu Lothischen Salzsäuren ein. Mich aber, gesteh' ich, blenden mehr seine bereiften sechs Ringfinger: – Schattenrisse, Gemälde, Steine, sogar Käferflügeldecken waren schön zum goldnen Beschlage seiner Finger verbraucht.

      Von der Hand kann man recht gut den Ausdruck »sie wird mit Ringen wie ein Huf beschlagen« brauchen, da man ihn ja schon längst auf den Roßhuf selber anwandte, von welchem doch Daubenton durch Zergliederung erwiesen, daß er alle Teile unserer Hand befasse. Der Gebrauch dieser Hand- oder Fingerschellen ist unschuldig, ja Ringe sind Leute, die in den Nasen welche brauchen, an den Fingern unentbehrlich. Denn nach der angenommenen Meinung sind diese metallne Überbeine der Finger zur Verunstaltung schöner Hände erfunden, gleichsam als Ketten und Nasenringe, um die Eitelkeit zu zähmen; daher Fäuste, die an sich häßlich sind, diese Entstellung leicht entraten. Ich möchte wissen, ob ein ähnlicher Gedanke von mir selber, warum eine schöne Hand eine höckerige Ringkugel (Sphära Armillaris) werden muß, auch wahr ist. Pascal trug nämlich einen großen eisernen Ring mit Stacheln um den bloßen Leib, um sich durch einen kleinen Druck darauf sogleich mit Schmerzen für jeden eiteln Gedanken abzustrafen: sollen nicht vielleicht die kleinern und schönern Ringe auf ähnliche Weise jeden eiteln Gedanken mit kleinen, aber vielen Schmerzen züchtigen? Wenigstens scheinen sie diese Bestimmung zu haben, da gerade Eitle die meisten tragen und die beringelte Hand am meisten bewegen.

      Oft laufen unwillkommne Besuche froher ab als andere: man war heute lustig genug, Siebenkäs war in seinem Haus wie zu Hause – er guckte mit dem Venner auf den Markt. Die Frau hatte, nach ihrer Erziehung und nach der kleinstädtischen Sitte der mittlern Stände, nicht den Mut, im Konzert eines männlichen Gesprächs etwas anders zu sein als stumm, höchstens obligat, sie ging und trug ab und zu und versaß die beste Zeit unten bei andern Weibern. – Der höfliche galante Rosa Everard kehrte gegen sie seine Hexenkunst, eine Frau auf einen Platz festzubannen, fruchtlos vor. Er klagte vor dem Ehemann, in Kuhschnappel sei wenig echte Feinheit und noch kein einziges Liebhaber-Theater, worauf man spielen könne wie in Ulm – die besten Moden und Bücher verschreib' er vom Auslande.

      Siebenkäs bezeugte ihm bloß seine Freude über das – Bettelvolk auf dem Markt. – Er machte ihn aufmerksam auf die kleinen Buben, die in die rotgemalten Holztrompeten stießen, um, wenn nicht Jericho, doch das Trommelfell zu zerblasen. Aber er fügte mit Wohlbedacht hinzu, er solle darum die andern armen Teufel nicht übersehen, die in ihren Kappen die versprungene Nachlese des zerspalteten Klafterholzes, wie Bauinspektoren die Zimmerspäne, erhöben. – Er fragte ihn, ob er mit andern Kameralisten auch Lotterien und Lottos verwerfe und ob er glaube, daß das gemeine Wesen von Kuhschnappel bei der alten umgestürzten Tonne unten leide, auf deren Boden oben ein Zeiger, der um ein Zifferblatt von Pfefferkuchen und von Pfeffernüssen fuhr, gegen geringen Einsatz von den Teilnehmern umgeschnellt wurde auf Gefahr des Lottodepartements, eines gierigen alten Weibstücks, da mancher Junge statt eines Nüßchens einen Kuchen erwischte. Siebenkäs hatte das Kleine lieb, weil es in seinen Augen ein satirischer zerrbildnerischer Verkleinerspiegel alles großen bürgerlichen Pompes war. Der Venner gewann solchen zweideutigen Darstellungen nicht den geringsten Geschmack ab; allein der Advokat hatte auch gar nicht daran gedacht, durch sie eine andere Langeweile zu zerstreuen als seine eigene. »Darf ich doch«, sagt' er einmal, »mit mir selber alles laut sprechen, was ich nur will; was gehts mich an, daß ein anderer hinter meinem Rücken zuhört oder vor meinem Bauche?«

      Endlich warf er sich, nicht ohne Beifall des Venners, der nun mit der Frau ein vernünftiges Wort zu reden hoffte, ganz unter das Marktvolk hinab. Everard wurde durch Firmians Entfernung erst in sein Element, in sein rechtes Hechtwasser gesetzt. Er stellte einleitend vor Lenetten ein Modell von ihrer Geburtstadt auf; er kannte viele Gassen und Leute in Augsburg und war oft vor der Fuggerei vorbeigeritten, und ihm sei es noch wie heute, sagt' er, daß er sie einmal neben einer ungemein schätzbaren Matrone, was gewiß ihre Mutter gewesen, einen Damenhut nähen sehen. Er nahm ohne Bedenken in seine rechte Hand die ihrige, die sie ihm wie aus Dank für so teuere Erinnerungen leicht ließ, und drückte diese; dann ließ er plötzlich nach, um zu sehen, ob sie nicht im Gedränge der Finger etwas erwidert habe oder dem Verlust des Drucks wieder beizukommen suche – aber er hätte ebenso gut Götzens eiserne Hand mit seinen Diebsdaumen pressen können als ihre heiße. Er kam jetzo auf ihre Putzarbeit, sprach über die Coiffüren-Muster als ein Mann, der die Sache verstand, und nicht wie Siebenkäs, der ohne die geringste Sachkenntnis sich in dergleichen mischte, – und bot ihr zwei Lieferungen sowohl von Ulmer Mustern als von kuhschnapplerischen Kundleuten an. »Ich kenne einige Damen«, sagt' er und zeigte ihr in einem Taschenkalender das Verzeichnis von seinen Engagements zu den künftigen Wintertänzen, »die ich schon zwingen kann; ich tanze mit keiner, die nicht etwas von Ihnen aufhat.« – »So schlimm wirds wohl nicht sein«, versetzte vieldeutig Lenette. Er mußte sie letztlich bitten, ein wenig vor ihm zu arbeiten, weil er den Kern ihrer kriegerischen Macht zu schwächen hatte durch Teilung, wenn sie die Augen auf die Nadeln und nur die Ohren gegen ihn postieren konnte. Sie errötete, als sie zwei Stecknadeln ergriff und eine in das rote kleine runde Nähkissen des – Mundes steckte; das litt er nun nicht, er kannte die Gefahren eines Besteckens ganz – eines Bedornens gegen Hasen wie er –, es sei nun, daß eine dieses Stilett selber oder daß sie nur den giftigen Grünspan davon hinunterschlucke. Er zog eigenhändig das Stichgewehr aus ihrer Lippenscheide, ritzte aber – wenigstens bejammerte er dieses – wenig oder nicht den Amarellen-Mund. Ein rechtschaffener Venner glaubt sich in solchem Fall zu den Heilkosten und Schmerzengelde verpflichtet; Everard zog freiwillig seine englische Patent-Pomade heraus und strich sie auf ihren linken Zeigefinger und trug mit diesem Pflaster-Spatel – er mußte aber dabei ihre ganze Hand als den Schaft des Fingers anfassen und oft ohne seinen Willen drücken – den Salben-Lack auf die unsichtbare Wunde auf. Das unglückliche Stilett selber steckte er in sein Hemde, indem er ihr seine eigne Jabot-Nadel daraus gab und dabei seine zarte weiße Brust gern – erkältete. Ich bitte Leute, die den Dienst verstehen, inständig, meinen Helden freimütig zu beurteilen und mir im gesessenen Krieggericht die Bewegungen und Plane anzuzeigen, die falsch gewesen wären.

      Daher


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