Siebenkäs. Jean Paul

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Siebenkäs - Jean Paul


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häufigern grünen Garnwänden, statt in den entlegnen grünen Frühling. Über die Auen ohne Blumen, über die Beete ohne Ähren schweiften blasse Gespenstergebilde der Vergänglichkeit, und über den großen ewigen Gegenständen, über Wäldern und Bergen, hing ein nagender Nebel, als wenn sich in seinen Rauch die erschütterte staubende Natur auflösete. – – Aber ein lichter Gedanke zerteilte den dunkeln Staubregen der Natur und der Seele in einen weißen Nebel und den Nebel in bunten Tau und ließ den Tau auf Blumen fallen; er schauete nach Nord-Osten an die Berge, die sein zweites Herz verbargen und hinter denen sein Freund, wie ein im Herbste früher kommender Mond, in einem blassen Bilde aufstieg; und der Frühling, an dem er seinen Heinrich besuchen und wiedersehen wollte, fing jetzo schon an, für ihn eine breite Straße dahin mit Grün und Blumen auszuschlagen. Wie spielt der Mensch mit der Welt um sich und kleidet sie schnell in die Gespinste seines Innern um! Jetzo senkte sich der unbefleckte Himmel mit einem nähern Blau auf die falbe Erde hernieder. – Tönte nicht der künftige Frühling schon von weitem über einen ganzen Winter herüber im Abendgeläute des Weide-Viehes, im Wildrufe der Waldvögel und in den ungehemmten Bächen, die in den künftigen Blumen-Überhang hinein flossen? – Und als eine zuckende Puppe neben ihm noch in der halben eingerunzelten Raupenhülse hing und ihren Blütenkelchen entgegenschlief – und als das Seelenauge der Phantasie von den Grummethaufen in die Abendpracht des Heumonats hinüberblickte – und als jeder vielfarbige Baum gleichsam zum zweiten Male blühte – und als die bunten Gipfel wie vergrößerte Tulpen einen Regenbogen auf den Duft des Herbstes zogen: – so jagten nun nur frühere Mailüfte dem flatternden Laube nach und wehten unsern Freund mit hebenden Wogen an und stiegen mit ihm auf und hielten ihn empor über den Herbst und über die Berge und er konnte über die Berge und Länder wegschauen und siehe, er sah alle Frühlinge seines Lebens, die für ihn noch in Knospen lagen, wie Gärten nebeneinander stehen und in jedem Frühlinge stand ein Freund! –

      Er verließ den Ort; aber er streifte in den Wiesen, worin man jetzo nicht ängstlich den Fußsteig zu suchen brauchte, noch lange herum, hauptsächlich damit man es seinen Augen nicht ansähe – zumal da ihm heute so viele Marktleute begegneten –, an wen er unterweges gedacht habe. Aber es half ihm wenig; in gewissen Verfassungen quillet die geritzte Seele wie verwundete Bäume unaufhörlich und beim kleinsten Bestreifen.

      Er mied Augenzeugen, besonders wie Rosa, darum, weil er, wie ich leider sagen muß, gerade in der Rührung, es sei aus Scham oder Lebhaftigkeit, am geneigtesten war, seinen Zustand durch Auffahren zu verbergen. Endlich fiel ihm eine Waffe zum Siege über sich in die Hand: der Gedanke, daß er seinem Gaste noch genug für das unhöfliche Wegbleiben abzubitten und zu vergüten habe.

      Als er ankam – welcher sonderbarer Anblick! Der alte Gast war fort – ein neuer war da – und neben ihm sein Weib in Tränen. Bei seinem Eintritt trat Lenette an ein Fenster, und ein neuer Tränenguß fiel nieder. »Frau Armenadvokatin«, fuhr der Schulrat noch immer fort und hielt ihre Hand, »schicken Sie sich ums Himmels willen in den Willen Gottes – es ist ja leichtlich zu richten und zu schlichten. – Ich verstatte gern eine Traurigkeit des Herzens; aber eine gemäßigte sei es.« Lenette sah ihren Mann gar nicht an, sondern durchs Fenster. Der Schulrat erzählte jetzo erstlich alles das, was ich schon erzählt habe – indes Firmian, unter dem Horchen und Blicken auf ihn, die glühende Hand der abgekehrten Lenette faßte –; dann fuhr er fort: »Als ich hereintrat, du großer Gott, so lag Ihro Gnaden vor der Frau Advokatin auf den Knieen mit weltlichen Tränen und war gesonnen – ich muß es besorgen –, ihr ihre teure Ehre zu nehmen. Ich aber riß solchen auf, ganz freimütig, und fragte ihn mit paulinischer Unerschrockenheit, die ich vor Gott und Menschen zu verantworten gedenke: ›Ew. Gnaden, sind das die Lehren, die ich Denenselben als Ihr Privatlehrer gegeben habe, soll ein Christ solchergestalt auf die Kniee fallen? Pfui, Hr. von Meyern, pfui, Hr. von Meyern!‹« – Jetzo geriet der Schulrat wieder in einen entsetzlichen Eifer und fuhr in der Stube, die Hände tief in den plüschnen Rocktaschen, auf und ab. Firmian sagte: »Gegen einen solchen Hasen gibt es leicht einen Feldscheu und einen Gartenzaun; aber was gehet es dich an, Liebe«, sagt' er, »und über was weinest du so sehr?« – Sie fing stärker an; da stemmte der Rat die Hände in die Seite und sagte zornig zu ihr: »So? Frau Armenadvokatin, solche schlechte Wurzeln fassen meine heutigen Tröstungen bei Ihnen? – Ich hätte mich dessen ganz und gar nicht vermutet. So hab' ich denn ganz umsonst, muß ich merken, Ihnen in meiner Kutsche, da ich die Ehre hatte, Sie von Augsburg hieher zu fahren, die großen Glückseligkeiten der Ehe, noch dazu, eh' Sie nur solche schon genossen, gleichsam in den Wind mit allem möglichen Feuer vorgehalten; und es ist Ihnen ordentlich alles wie weggeblasen, was ich Ihnen im Wagen sagte, wie selig eine Gattin durch einen Gatten wird, wie sie über seinen Besitz oft beinahe vor Freude weinen muß, wie beide nur ein Herz sind und ein Leib, und beide alles miteinander teilen, Freud' und Leid, jeden Bissen, jeden Wunsch, ja das kleinste Geheimnis ... Aber der Schulrat Stiefel ziehet, seh' ich, mit einer langen Nase ab, Frau Advokatin!«... Da überfuhr und trocknete sie heftig zweimal hintereinander die Augen, blickte ihn gewaltsam heiter mit den freundlichsten Augen an und sagte tief heraufgezogen, aber linde und nicht schmerzlich, nichts als: »Ach!« – Der Schulrat senkte seine Hand mit den bloßen Fingern auf ihre niederhängende wie ein Priester und sagte: »Der Herr aber sei Ihr Arzt und Helfer in allen Ihren Nöten (er konnte nun selber vor kommenden Tränen wenig mehr sagen), Amen, das heißet, ja, ja, es soll also geschehen.« Hier umarmte und küßte er den Mann, aber sehr warm und sagte: »Schicken Sie zu mir, wenn bei der Frau Liebsten kein Trost verfangen sollte – und Gott richte doch beide auf. – O... weswegen ich eigentlich da bin... Die Rezension vom Oster-Programm muß am Mittwoch fertig sein – ich schulde Ihnen auch acht oder mehr Zeilen Honorar für den letzten Wisch, dem Sie ein paar gute Wischer gegeben.«

      Aber als er geschieden war, blieb Lenette nicht so getröstet zurück, als man vermuten sollte; sie lehnte am Fenster, in ein tiefes, aber verzweifelndes Staunen und Sinnen verloren. Firmian stellte ihr vergeblich vor, daß er ja seinen oder ihren jetzigen Namen niemals mehr ändere und daß ihre Ehre und Ehe und Liebe ja nicht an elenden Namenzügen hängen, sondern an seiner Person und an seinem Herzen. Sie unterdrückte ihr Weinen, aber den ganzen Abend blieb sie bekümmert und schweigend.

      Niemand nenne aber den guten Firmian zu argwöhnisch, wenn er, der erst einen verunglückten Kirchenräuber der Ehe, den Venner, losgeworden, jetzo an einen vulkanischen Ausbruch denkt, der leicht über eine weite Strecke seines Lebens Steine und Asche werfen kann, wenn sein Freund Stiefel wirklich, wie es scheint, seine Lenette, obwohl schuldlos, liebgewonnen. Das ganze Verhalten desselben von den Höflichkeiten des Hochzeittages bis zu seinen häufigen Besuchen und bis auf seine heutige Erbosung über den Venner und auf seine Erweichung, alles das machte ein zusammengehörendes Gemälde einer innigen, wachsenden, obwohl rechtschaffenen und unbewußten Liebe aus. Ob ein versprungener Funke davon in Lenettens Herzen sich verhalte und nachglimme, das konnt' er noch nicht wissen; aber trotz der Rechtschaffenheit seines Freundes und seiner Frau mußte bei den jetzigen Verhältnissen sein Sorgen so stark als sein Hoffen sein.

      – Lieber Held! – Bleib aber einer! – Das Schicksal will, wie ich immer deutlicher merke, allmählich die einzelnen Stücke zu einer guten Drill-Maschine, um den Diamanten deines Stoizismus zu durchbohren, ineinander fügen, oder auch aus Dürftigkeit, häuslichem Verdruß, Prozessen und Eifersucht nach und nach britische Scher- und Seng-Maschinen geschickt zusammenbauen, um wie am feinsten englischen Tuche jede kleine falsche Faser wegzuscheren und wegzusengen. Wenn dergleichen geschieht, so komme nur als ein so herrlicher englischer Zeug aus der Presse, als je einer auf die Leipziger Tuch- und Buchhändlermesse geliefert worden, und du wirst glänzen.

      Viertes Kapitel

       Eheliche partie à la guerre – Brief an den haar-lustigen Venner – Selbertäuschungen – Adams Hochzeitrede – das Abschatten und Verschatten

      Ich beobachte nichts schärfer und protokolliere nichts weitläufiger als zwei Tag- und Nachtgleichen, die eheliche, wenn nach den Flitterwochen die Sonne in die Waage tritt, und die meteorologische draußen, weil ich imstande bin, aus der Witterung in beiden das Wetter wunderbar auf lange Zeit vorauszusagen. Am wichtigsten ist mir das erste Gewitter im Frühjahr und im Ehestand; die andern alle ziehen aus seiner Gegend her. – Als der


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