Ivanhoe. Sir Walter Scott
Читать онлайн книгу.der Pilger das Schweigen.
»Jene alte Eiche,« sagte er, »bezeichnet die Grenze des Gebiets, das Front de Boeuf sich anmaßt, wir haben das des Malvoisin längst überschritten. Jetzt ist keine Verfolgung mehr zu fürchten.«
»Mögen die Räder von ihren Wagen abfallen,« sagte der Jude, »gleich denen im Heere Pharaos, damit sie schwer von der Stelle kommen! – Aber verlaßt mich nicht, guter Pilger, denkt nur an den wilden und zornigen Templer mit seinen Saracenensklaven, sie werden weder Gebiet noch Herrenhaus noch Oberhoheit achten.«
»Unser Weg sollte sich hier trennen,« sagte der Pilger, »denn es ziemt sich nicht für Männer meines und Deines Charakters, länger als nöthig ist zusammen zu reisen. Ueberdies, welchen Beistand könntest Du von mir, einem friedlichen Pilger, gegen zwei bewaffnete Heiden erwarten?«
»O guter Jüngling,« antwortete der Jude, »Du kannst mich vertheidigen, und ich weiß, Du würdest es thun. So arm ich bin, will ich Dir lohnen, nicht mit Geld, denn Geld, so wahr mir mein Vater Abraham helfe, besitze ich nicht, aber –«
»Ich habe Dir bereits gesagt, ich verlange weder Geld noch Belohnung,« sagte der Pilger, ihn unterbrechend. »Führen kann ich Dich und vielleicht auch einigermaßen vertheidigen, da es wohl nicht eines Christen unwürdig erachtet werden kann, einen Juden gegen einen Saracenen zu schützen. Daher, Jude, will ich Dich sicher unter passendem Geleit lassen. Wir sind jetzt nicht weit von der Stadt Sheffield entfernt, wo Du leicht Leute Deines Stammes finden wirst, bei denen Du Zuflucht suchen kannst.«
»Der Segen Jakobs über Dich, guter Jüngling!« sagte der Jude, »in Sheffield kann ich bei meinem Vetter Zareth Unterkommen und Mittel finden, in Sicherheit weiter zu reisen.«
»Sei es so,« sagte der Pilger, »zu Sheffield trennen wir uns also, und in einer halben Stunde werden wir die Stadt zu Gesicht bekommen.«
Diese halbe Stunde wurde von beiden Seiten in vollkommenem Schweigen hingebracht, da der Pilger den Juden aus Verachtung nicht anders als im äußersten Nothfalle anredete, und der Jude keine Unterredung mit einem Manne erzwingen wollte, dessen Reise nach dem gelobten Lande seinem Charakter eine gewisse Heiligkeit verlieh. Auf einer kleinen Erhöhung hielten sie an. Der Pilger zeigte ihm die Stadt Sheffield, die zu ihren Füßen lag, und wiederholte die Worte: »Hier trennen wir uns also.«
»Nicht eher, als bis Ihr des armen Juden Dank empfangen habt,« sagte Isaak, »denn ich nehme mir nicht heraus, Euch zu bitten, mit mir in das Haus meines Vetters Zareth zu treten, der mich mit einigen Mitteln versehen könnte, Eure guten Dienste zu vergelten.«
»Ich habe bereits gesagt,« antwortete der Pilger, »daß ich keine Vergeltung wünsche. Wenn Du unter der großen Liste Deiner Schuldner um meinetwillen einen unglücklichen Christen, der in Deiner Gewalt ist, mit Fesseln und Gefängniß verschonen willst, so werde ich den Dienst, den ich Dir diesen Morgen erwiesen, für reich belohnt halten.«
»Halt, halt,« sagte der Jude, indem er sein Gewand ergriff, »etwas mehr noch möchte ich thun als das, etwas für Dich selbst. Gott weiß, der Jude ist arm, ja, Isaak ist der Bettler seines Stammes, aber vergib mir, wenn ich errathe, was Du in diesem Augenblick am meisten bedarfst.«
»Solltest Du auch richtig rathen,« sagte der Pilger, »so ist es doch etwas, was Du mir nicht verschaffen kannst, und wärest Du eben so reich, als Du arm zu sein behauptest.«
»Als ich behaupte?« wiederholte der Jude. »O, glaube mir, ich sage nur die Wahrheit, ich bin ein geplünderter, verschuldeter, unglücklicher Mann. Harte Hände haben mir meine Güter entrissen, mein Geld, meine Schiffe und alles was ich besaß, aber ich kann Dir sagen, was Du bedarfst, und es Dir vielleicht auch beschaffen. Dein Wunsch geht jetzt auf ein Pferd und eine Rüstung.«
Der Pilger stutzte und wandte sich plötzlich zu dem Juden. »Welcher Teufel gab Dir diese Vermuthung ein?« sagte er hastig.
»Darauf kommt es nicht an, wenn sie nur zutrifft,« sagte der Jude lächelnd, »und so wie ich Dein Bedürfniß errathen habe, kann ich es auch befriedigen.«
»Aber bedenke meinen heiligen Charakter, meine Kleidung, mein Gelübde,« sagte der Pilger.
»Ich kenne euch Christen,« versetzte der Jude, »und weiß daß die Edelsten von euch aus abergläubischer Bußübung Stab und Sandalen nehmen und zu Fuße gehen, um die Gräber todter Menschen zu besuchen.«
»Lästere nicht, Jude!« sagte der Pilger streng.
»Vergebt mir,« sagte der Jude, »ich sprach unüberlegt. Aber gestern Abend und diesen Morgen kamen Worte von Euren Lippen, die wie Funken vom Stein das echte Metall drinnen zeigten und im Busen jenes Pilgergewandes sind eine Ritterkette und die goldenen Sporen verborgen. Sie blinkten hervor, als Ihr Euch diesen Morgen über mein Bett neigtet.«
Der Pilger konnte sich des Lächelns nicht erwehren. »Würden Deine Kleider mit ebenso neugierigen Blicken durchsucht, Isaak« sagte er, »welche Entdeckungen würde man da wohl machen?«
»Nichts mehr davon,« sagte der Jude, die Farbe verändernd; darauf zog er hastig sein Schreibzeug hervor, als wollte er die Unterredung unterbrechen, und begann auf einem Stück Pergament zu schreiben, welches er auf seine gelbe Mütze gelegt hatte, ohne daß er zuvor von seinem Maulthiere herabgestiegen wäre. Als er damit zu Ende war, übergab er dem Pilger das Blatt, auf das er einige hebräische Schriftzüge gezeichnet, und sagte: »In der Stadt Leicester kennt jedermann den reichen Juden Kirjath Jairam aus der Lombardei; gib ihm dieses Blatt, er hat sechs mailändische Rüstungen zu verkaufen, von denen die schlechteste für ein gekröntes Haupt passen würde, zehn herrliche Rosse, von denen das schlechteste ein König besteigen könnte, sollte er auch um seinen Thron kämpfen. Unter diesen wird er Dir die Wahl lassen und Dir alles gewähren, was Du zu dem Turniere brauchst. Wenn es vorbei ist, gibst Du alles unbeschädigt zurück, wenn Du nicht vielleicht dem Besitzer den Werth dafür zahlst.«
»Aber Isaak,« sagte der Pilger lächelnd, »weißt Du auch, daß bei solchen Waffenspielen die Rüstung und das Roß des Ritters, der aus dem Sattel gehoben wird, dem Sieger gehören? Nun kann ich ja unglücklich sein und so verlieren, was ich nicht ersetzen oder bezahlen kann.«
Der Jude wurde etwas bestürzt bei dieser Möglichkeit, faßte aber Muth und erwiderte hastig: »Nein, nein, nein, es ist unmöglich, ich will es nicht denken. Der Segen unseres Vaters wird auf Dir ruhen. Deine Lanze wird so mächtig sein wie der Stab des Moses.«
Mit diesen Worten wendete er sein Maulthier herum, während der Pilger seinerseits sein Gewand ergriff. »Nein, aber Isaak, Du kennst nicht die ganze Gefahr. Das Roß kann getödtet, die Rüstung beschädigt werden, denn ich werde weder Roß noch Reiter schonen. Ueberdies geben die Leute Deines Stammes nichts für nichts, es muß doch etwas für den Gebrauch gezahlt werden.«
Der Jude drehte sich ungeduldig im Sattel wie einer, der einen Anfall von Kolik hat, doch die besseren Gefühle gewannen die Oberhand über die, welche ihm am eigensten waren. »Es liegt mir nichts daran,« sagte er, »laß mich gehen. Wenn etwas beschädigt wird, so soll es Dir nichts kosten, wenn etwas für den Gebrauch zu zahlen ist, so wird Kirjath Jairam es Dir um seines Vetters Isaak willen erlassen. Lebe wohl! Aber höre, guter Jüngling,« sagte er sich umwendend, »wage Dich nicht zu weit in diesen eitlen Kampf, ich meine nicht, daß Du das Roß und die Rüstung schonen sollst, aber um Deines eigenen Leibes und Lebens willen.«
»Viel Dank für Deinen Rath,« sagte der Pilger von neuem lächelnd, »ich nehme ohne weiteres Dein Anerbieten an, und es müßte mir schlimm ergehen, wenn ich Dir nichts dafür zahlen sollte.«
Sie trennten sich und schlugen verschiedene Wege nach der Stadt Sheffield ein.
Kapitel VII
Mit langem Zug von Knappen kommen Ritter,
In bunter Tracht und zierlich ausstaffirt.
Der eine schnürt den Helm, der trägt die Lanze,
Ein dritter bringt den blanken Schild herbei.
Es stampft das Roß mit ungeduldgem Huf,