Der eiserne Gustav. Ханс Фаллада
Читать онлайн книгу.seine Kinder ihm noch gehorchten, so nur widerstrebend, mit Maulen und Unwillen. Vielleicht war alles, was heute geschehen war, wirklich gar nicht so schlimm, in einem viertel oder halben Jahr konnte man es vergessen und begraben sein lassen, aber es war doch schlimm! Weil es nicht nur die Hausdieberei war, sondern weil alles zum Verfall drängte, auseinanderstrebte, das Erworbene mißachtete ...
Mit gerunzelter Stirne starrte er das Geld auf dem Schreibtisch an. Die gute Nachteinnahme freute ihn nicht, er mochte sie gar nicht eintragen ins Kassenbuch, er hatte vorher noch eine andere Eintragung zu machen.
Jawohl, er muß sie machen, er nimmt die Feder in die Hand, zögert – und legt sie wieder hin. Trostlos starrt er das Kassenbuch an. Es geht ihm wider Ordnung und Anstand, was er tun muß ...
Dann kommt ihm ein Gedanke. Es ist vielleicht nur ein Aufschub, aber es ist ja auch möglich, daß nicht alles Geld verbraucht wurde. Er geht eilig in das Schlafzimmer der Söhne. Dort macht Eva die Betten. Er möchte sie fortschicken – muß aber ein Vater sich dessen, was er tut, vor den eigenen Kindern schämen? Fast trotzig nimmt er Jacke und Weste von Erich, die noch über dem Stuhl hängen, und fängt an, die Taschen nachzusehen. Aber er findet nichts, nichts als die Spuren eines weiteren Ungehorsams: ein paar Zigaretten. Aber es reicht bei dem Vater nicht mehr zu einem neuen Zorn, er zerdrückt nur die Zigaretten, daß der Tabak auf die Erde rieselt, sagt barsch zur Tochter: »Kehr den Dreck fort!« und geht in die Küche.
Die Küche ist leer. Er schneidet einen Kanten Brot ab, so stark, wie ihn die Arrestanten beim Militär bekamen. Dann sieht er sich suchend um, aber in seiner bürgerlichen Küche gibt es die glasierten Tonkrüge nicht, in denen man den Leuten Wasser hinstellte. Nach einigem Schwanken nimmt er ein emailliertes Litermaß und füllt es mit Wasser. Er läßt die Leitung gut ablaufen, das Wasser soll frisch sein, auch ein Gefangener muß seine Ordnung haben.
Dann steigt er mit Wasser und Brot hinunter in den Keller.
Als er in den dunkeln Kellergang einbiegt, hört er ein Tuscheln. Er lauscht, dann räuspert er sich und geht weiter. Seine Frau schleicht an ihm vorüber, er sagt streng: »Hier hat keiner was zu suchen!« Und schließt den Keller auf.
Der Sohn steht an dem kaum zwei Hände großen Fenster. Er dreht sich nicht um, als der Vater eintritt. Der legt das Brot auf eine Kiste, stellt das Wasser daneben und sagt: »Hier hast du zu essen, Erich!«
Der Sohn rührt sich nicht.
»Du könntest auch danke sagen, Erich«, tadelt der Vater milde.
Kein Wort.
Hackendahl wartet noch einen Augenblick, als dann nichts erfolgt, sagt er härter: »Dreh deine Taschen um, Erich. Ich will sehen, ob du noch Geld hast ...«
Wieder rührt der Sohn sich nicht. In jähem Zorn tritt Hackendahl zu ihm und schreit: »Hörst du nicht?! Du sollst die Taschen umdrehen!!«
Jawohl, das ist der alte, stählerne Kommandoton, mit dem er eine ganze Kompanie zur Ordnung rief, jedem einzelnen Mann fuhr seine Stimme ins Gebein! Auch der Sohn schreckt zusammen, wortlos wendet er die Taschen, aber es ist nichts in ihnen ...
Der Vater will es nicht glauben. »Das ganze Geld!« ruft er. »Achtzig Mark in einer Nacht verlumpt, das ist doch nicht möglich!« Der Sohn wirft einen raschen Blick auf den Vater, fast hätte er über so viel Lebensfremdheit gelacht. »Es hätten auch achthundert sein können«, sagt er dann prahlerisch. »Wozu ist Geld sonst gut?«
Der Vater steht starr – es ist alles noch viel schlimmer, als er dachte, ein genußsüchtiges, weiches Geschlecht ist herangewachsen, das nicht erwerben, nur verschwenden kann. In der weichen Friedensluft aufgeschossen, fährt es ihm durch den Kopf. Siebzig-einundsiebzig ist zu lange her! Er denkt einen Augenblick an den gestern ermordeten Erzherzog. Die Leute reden von Krieg – das wäre nicht schlecht, dann lernen die Bengels wieder, daß Leben Kampf ist ...
»Also achthundert hättest du auch verlumpt«, sagt er verächtlich. »Und hast noch keine acht Mark in deinem Leben verdient! Im Straßengraben wirst du krepieren, ohne deinen Vater!«
Er sieht den Sohn noch einmal starr an, aber der zuckt nur die Achseln. Da dreht Hackendahl sich um und geht.
Sorgfältig schließt er die Kellertür ab, und als er nach oben kommt, verschließt er auch die Tür zum Gang: Es soll kein Getuschel mehr geben. Widersetzlichkeit muß nicht noch getröstet werden!
Er geht in sein Zimmer, jetzt greift er ohne Zögern zur Feder, er schreibt in das Kassenbuch:
»29. 6. Gestohlen von meinem Sohn Erich ... 80,- Mark.«
So! Das wäre erledigt! Und mit einem plötzlichen Entschluß schiebt er Morgeneinnahme und Kassenbuch in die Schreibtischlade. Das hat Zeit – das Wichtigste ist erledigt!
Er geht rasch in sein Schlafzimmer, zieht den blauen Kutscherrock mit den blanken Knöpfen an und setzt den Zylinder auf. Unten auf dem Hof steht schon die leichte Einspännerdroschke fahrbereit, Otto hält den übermütigen Schimmel am Zügel.
Hackendahl steigt auf den Bock, legt die Staubdecke über die Knie, drückt noch einmal den Zylinder fest und faßt die Peitsche. Zu Otto sagt er: »Um zwölf bin ich wieder hier. – Bring Kastor und Senta zur Schmiede – die Vordereisen sind ganz verbraucht. Das hättest du auch sehen können! – Hü, Schimmel!«
Er schnalzt mit der Zunge, der Schimmel trabt an, und die Droschke rollt vom Hof.
Das ganze Haus atmet auf.
12
Hinter der Gardine des Schlafzimmers hatte Eva gestanden und gebannt auf die Abfahrt des Vaters gewartet. Eigentlich hatte sie gewußt, daß sie fast nichts riskierte, als sie in des Vaters Zimmer geschlichen war, während der für Erich in Küche und Keller wirtschaftete. So töricht war sie nicht gewesen, das Geld auf dem Schreibtisch selbst anzurühren. Die Morgeneinnahme war gezählt, das wußte sie.
Das in der Lade liegende Geld, das in den Säckchen, war freilich auch gezählt. Aber wenn der Vater schließlich merkte, daß da nicht nur achtzig Mark, daß da zweihundertachtzig Mark fehlten, er würde immer nur an Erich als an den Dieb denken. Und Erich hatte schon soviel Butter auf dem Kopf, da kam es auf ein bißchen mehr oder weniger nicht an!
Sie machte eine geringschätzige Bewegung mit der Schulter, in der Schürzentasche fühlt sie mit den Fingerspitzen die zehn Goldfüchse – schlau muß man sein! Seit ihr Entschluß fest geworden ist, nicht mehr lange in diesem freudlosen Hause zu bleiben, sammelt sie Geld. Wo es zu machen war, hat sie kleine Beträge genommen, sie hat Schmugeld bei den Lebensmitteleinkäufen gemacht, heimlich hat sie Sachen aus dem Wäscheschrank der Mutter versetzt. Jawohl, sie befreit sich langsam und sicher aus der Abhängigkeit vom Vater.
Sollte sie sich ein Gewissen daraus machen, daß sie ihn beklaut? Nicht in die Tüte! Der Vater rückt freiwillig nicht einen Groschen heraus, und wenn er auch immer behauptet, er spart alles für seine Kinder – Vater kann hundert Jahre alt werden, und sie ist dann fast siebzig, ehe es was zu erben gibt. Nein, immer ran an die Kasse, solange sie offen ist, und heute früh war sie ja recht hübsch offen!
Eva schiebt schnell die Hängelampe zur Decke, es ist noch solche alte – ein bloß auf elektrisch aufgearbeitetes Petroleumdings. Je höher sie die Lampe schiebt, um so tiefer sinkt das Gegengewicht: ein blankes Osterei aus Messing, mit stumpfen Messingarabesken verziert. Rasch hakt sie das Gewicht los, schraubt es in der Mitte auseinander – und aus dem hohlen Innern, das früher wohl mit Sand oder Blei gefüllt war, schimmert ihr sanft golden ihr kleiner Schatz entgegen.
Sie starrt ihn an, atemlos vor Glück, ach, diese zwölf oder fünfzehn großen Goldfüchse – sie machen sie ganz selig! Ihr Vater hat ein gutes, solides Vermögen – teils steckt es im Geschäft, in Hofplatz und Haus, teils ist es in soliden Staatspapieren angelegt – hunderttausend Mark, schätzt sie, eher darüber als darunter!
Aber mit des Vaters Geld, mit dem Familienvermögen verbindet sie keinen Begriff. Der Vater gehörte zu der Generation, die gerne Geld verdiente,