Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.. Gerstäcker Friedrich

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Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol. - Gerstäcker Friedrich


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ist ja knapp sechs Uhr."

      „Und wann steht er auf?"

      „Ja, das soll ich wissen! Um acht Uhr hat er das Frühstück bestellt."

      „Acht Uhr, so lange kann ich nicht warten. Ich werde ihn wecken."

      „Das geht nicht - das hat er streng verboten."

      „Nur nicht ängstlich," lachte der Fremde - „ich nehm's auf mich. Es ist mein Onkel."

      „Ihr Herr Onkel - ja wenn's das ist. Na warten Sie, ich will Ihnen nur den Weg zeigen."

      „Danke bestens - den kenn' ich schon selber," bemerkte der Fremde.

      „Den Weg kennen Sie?" sagte das Mädchen erstaunt; ehe sie ihn aber daran verhindern konnte, war er, in dem behaglichen Gefühl, seine Ueberraschung völlig geglückt zu sehen, an ihr vorübergesprungen und verschwand gleich darauf in der nächsten Thür, die, wie er sich noch recht gut aus alter Zeit erinnerte, in das Schlafzimmer seines Onkels führte.

      Die Thür öffnete er aber nur ganz leise und schaute erst vorsichtig hinein. Dort stand das Bett noch auf der nämlichen Stelle, wo es vor zehn Jahren gestanden hatte, als er von seinem damals kranken Oheim Abschied nahm. Der alte Herr ging nicht gern von seiner gewohnten Lebensweise ab - und jetzt - was er für ein Gesicht machen würde, wenn er in dem unwillkommenen Störenfried seinen leiblichen, tausend Meilen von da entfernt geglaubten Neffen erkannte.

      Und wie hatte sich der junge Mann auf das Wiedersehen gefreut! Du lieber Gott, wenn wir uns weit entfernt von der Heimath unter kaltherzigen, gleichgültigen, fremden Menschen so lange, lange Jahre umhergetrieben haben, was war da unser einziger Trost, der einzige Lichtblick unseres oft so trüben Lebens, als der Gedanke gerade an solch ein Wiedersehen? Wie unzählige Male haben wir uns da den ersten Anblick der heimischen Küste, das erste Betreten vaterländischen Bodens ausgemalt; sind im Geist wieder und wieder durch die lieben alten, uns ach! so wohl bekannten Straßen ge/12/schritten - haben an die Thür geklopft und gehorcht, und endlich fest und innig die theuren Gestalten an unser Herz geschlossen, nach denen sich das wunderliche Ding so heiß und lange vergebens gesehnt. - Und immer, immer war das nur ein Traum; immer wieder mußten wir allein und freundlos draußen erwachen, bis der scharfe Kiel sich endlich der geliebten Küste entgegenwendet, und die vollgeblähten Segel uns ihr näher und näher bringen. - Und jetzt haben wir sie erreicht - jetzt springen wir an's Land und fühlen vor Lust und Seligkeit den Boden kaum unter den Füßen, und jetzt - aber das kann nicht beschrieben, das muß erlebt, wirklich erlebt werden, um eine Idee zu haben von dem wonnigen Gefühl, das in diesem Augenblick all' unsere Nerven durchzuckt. Wie läßt sich etwas mit Worten schildern, das selbst der Augenzeuge nicht verstehen würde, wenn er's nicht selber schon einmal mit durchgemacht.

      Unser junger Freund aber verstand es zu würdigen, und geizte mit diesen kostbaren Minuten, die er Jahre lang ersehnt hatte. Lange stand er deshalb und schaute nach dem Bett seines Onkels hinüber, hinter dessen Vorhängen der alte Herr laut und regelmäßig athmete, ahnungslos, welche liebe Unterbrechung seinem Schlaf bevorstand. Endlich schlich er auf den Zehen näher - leise und vorsichtig, bis dicht zum Bett, dessen Gardinen er öffnete. - Aber die dunkeln, noch niedergelassenen Rouleaux schlossen das Licht aus; er konnte die Züge des Schlafenden nicht erkennen, und wie jetzt das Mädchen draußen, das indessen neugierig geworden war, der Wiedererkennungsscene beizuwohnen, leise den Kopf zur Thür hereinsteckte, flüsterte er:

      „Onkel!"

      Der Alte antwortete nicht; er schlief zu fest, um durch solchen sanften Anruf irgendwie gestört zu werden.

      „Onkel!" - rief er lauter.

      Noch immer kein Erfolg.

      „Onkel - lieber, bester Onkel!" wiederholte der junge Fremde, und schüttelte diesmal, um seinen Worten Nachdruck zu geben, die Schulter des Schlafenden. /13/

      „Ha! - ja! - wer ist da?" rief da der Schlafende, erschreckt und erst halb wach, in seinem Bett emporfahrend.

      „Onkel!"

      „Zum Teufel auch! Herr, was wollen Sie? - wer sind Sie? - Diebe!"

      „Aber lieber, guter Onkel!"

      „Der Henker ist Ihr Onkel, zu dem gehen Sie, heh! Hülfe! Hülfe!" schrie der alte Herr, und griff dabei unwillkürlich nach seiner Uhr und seinem Portemonnaie, das neben seinem Bett auf dem Waschtisch lag.

      „Na, das nehmen Sie mir aber nicht übel," sagte jetzt auch das Mädchen, das bestürzt in das Zimmer trat, „was soll denn das eigentlich heißen?"

      „Aber lieber, herzigster Onkel," beharrte der junge Fremde, „so wachen Sie doch nur ordentlich auf. Ich bin es ja, — Ihr Neffe Franz, der eben geraden Wegs aus Amerika zurückkommt."

      „Und was geht das mich an?" polterte der alte Herr zurück, jetzt in etwas beruhigt, da er Uhr und Geldtasche gerettet in Händen hielt und noch eine dritte Person im Zimmer wußte. „Was wollen Sie von mir? Wie kommen Sie überhaupt mitten in der Nacht hierher, und wer hat Sie eingelassen?"

      „Ja, bester Herr Hobelmann," mischte sich jetzt das Mädchen in die Unterhaltung - „der fremde Herr sagte, Sie wären sein Onkel, und da dachte ich -"

      „Hobelmann?" rief aber Franz, erschreckt aufhorchend, „Hobelmann? - ja alle Wetter, wohnt denn hier nicht der Regierungsrath Kettenbrock?"

      „Kettenbrock? weiß ich nicht - geht mich auch nichts an," knurrte der Alte, der nun wohl sah, daß die ganze Sache auf einen gefahrlosen Irrthum hinauslaufe. „Warum um's Himmels willen erkundigen Sie sich denn nicht erst, wenn Sie bei nachtschlafender Zeit einem fremden Menschen wie eine Bombe in's Zimmer fallen?"

      „Ja, da bitte ich tausendmal um Entschuldigung," versetzte der junge Mann kleinlaut und selbst etwas erschreckt. Denn plötzlich schoß ihm der Gedanke durch's Hirn, daß sein /14/ lieber alter Onkel am Ende gar gestorben sein könne, und nun fremde Menschen das Haus inne hätten, in dem er seine Jugendzeit verlebt. „Aber Sie können mir dann wohl sagen -" rief er jetzt aus.

      „Gar nichts kann ich Ihnen sagen," unterbrach ihn jedoch ungeduldig und barsch der Alte - „lassen Sie mich zufrieden. Ich will schlafen. Zum Henker auch, gehen Sie zum Nachtwächter und erkundigen Sie sich dort nach dem, was Sie erfahren wollen."

      Und damit auf das Entschiedenste dem Fremden den Rücken kehrend, schob Herr Hobelmann vorsichtiger Weise Uhr und Geldtasche unter sein Kopfkissen, und schnitt so jeder noch möglichen Unterhaltung den Faden ab. Aus dem Alten war nichts herauszubringen, das sah der junge Mann wohl ein, und kopfschüttelnd wandte er sich mit einem trockenen „Guten Morgen", der aber nicht einmal erwidert wurde, der Thür zu, an der ihn das Mädchen schon erwartete.

      „Nun ja, jetzt werd' ich's kriegen, wenn der alte Brummbär nachher wieder aufwacht," sagte diese, indem sie dem Eindringling die Vorsaalthür öffnete. „Wer stürmt denn aber auch den Leuten so mir nichts dir nichts in's Zimmer und an's Bett, ohne auch nur erst einmal zu fragen, wer da wohnt?"

      „Sagen Sie mir nur um Gottes willen, liebes Kind," bat sie aber der junge Fremde, „was mit dem Regierungsrath Kettenbrock vorgefallen ist, daß er dies Haus, in dem er so lange Jahre gelebt, verlassen hat?"

      „Vorgefallen? ich dachte gar!" versetzte das Mädchen - „nichts ist vorgefallen; er ist frisch und gesund und befindet sich wohl, das weiß ich gewiß, weil meine Schwester dort dient. Dies Haus hat er nur vor etwa acht Wochen verkauft, weil sich ihm rechts neben dem Garten ein Kupferschmied und links ein Blechschmied hingesetzt hatten, und er das Geklopfe nicht mehr aushalten konnte. Er wohnt jetzt am Obstmarkt Nummer 47."

      „Gott sei Dank, da ist mir ein Stein vom Herzen!" - sagte der junge Fremde, mit einem aus tiefster Brust herausgeholten Seufzer. /15/

      „Ja, Sie haben gut reden," schmollte das Mädchen, „aber ich bekomme nachher das Aufgebot, wenn der alte Brummbär aufsteht."

      „Da, nehmen Sie das indessen darauf," lachte der Fremde, indem er ihr ein Geldstück in die Hand drückte.

      „Danke schön," sagte das Mädchen, mit einem eben so zufriedenen als erstaunten


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