Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.ist. So, meinetwegen magst Du gehen, amigo, Du bist auch wohl rascher und gewandter als der /91/ Alte da, und find' ich Dich noch zwei Minuten später hier, den zottigen Schädel kratzend, so schneide ich Dir Nase und Ohren ab und schicke Dich zur Abkühlung in den Tucunjado hinunter - marsch fort - eine halbe Minute ist schon vorbei."
Der arme Teufel von Peon zweifelte nicht im Mindesten, daß der mashorquero Ernst machen würde, denn schlimmere Thaten hatten diese entsetzlichen Menschen oft nur zum Spaß und aus reinem Muthwillen verübt; - würden sie deshalb hier gezaudert haben, wo es wirklich der Ausführung eines wichtigen Planes galt? Pedro kannte auch seine Leute, und nur noch mit wenigen Worten dem Führer Vorsicht empfehlend, nicht eher loszubrechen, bis er selber entweder zurück sei, oder ein Schuß in der punta del vaca ihnen sage, er sei genöthigt gewesen, auf diese Art sich Luft zu verschaffen, glitt er, sein Messer, das man ihm zurückgab, wieder in den Gürtel schiebend, um die nächste Felsecke, und war bald in dem Dämmerlicht, das wie ein dünner Nebel auf dem glitzernden Schnee lag, verschwunden.
II.
Während sich die beiden Peons heimlich entfernten und von einem wachsameren Posten überrascht wurden, hatte Charles Ellington schon mehrmals lauschend den Kopf erhoben, um das Zurückkehren der abgelösten Wache zu erwarten. Lange schon wäre er aufgestanden, aber die Kälte war scharf, und er scheute sich, die neben ihm Schlafenden, doch jedenfalls nutzlos zu stören. Endlich aber, da der eine Peon noch immer nicht wiederkehrte, kroch er leise unter der Decke vor, und den Rock fester zuknöpfend, um den kalten Zug abzuhalten, der durch die niedere Oeffnung ihm entgegenschlug, stand er eine Zeit lang lauschend und horchte hinaus in die Stille der Nacht, die durch keinen Laut irgend eines lebenden Wesens /92/ unterbrochen wurde. Nur der Bergbach tief unten rauschte und murmelte dumpf herauf, und da drüben, wo sich der Felsenhang steil in das Thal hinunterwarf und den Strom gegen die andere Wand hinüberzwang - das war wohl ein Fuchs gewesen, der hier, in seinem Abendmarsch gestört, die Fremden witterte und gegen den Wind und die verdächtige Nachbarschaft anbellte.
„Felipe!" rief er jetzt, erst mit vorsichtig gedämpfter, dann mit etwas lauterer Stimme - „Felipe!" - Niemand antwortete, nichts ließ sich hören noch sehen, und wenn er auch für einen Augenblick glaubte, der Laut einer Menschenstimme dränge zu ihm herüber, so war das doch so rasch wieder verhallt, daß er sich auch eben so gut geirrt haben konnte. Die furchtbare Wahrheit tauchte jetzt, erst in flüchtigem Verdacht, der ihm schon das Blut in den Adern gerinnen machte, dann in entsetzlicher Gewißheit in ihm auf: - ihr Führerpaar war entflohen, und ihre kleine Schaar dadurch nicht allein um ein Bedeutendes geschwächt, sondern die Gefahr, gerade von den früheren Führern verrathen zu werden, so dringend geworden, daß jeder Augenblick, den sie an der argentinischen Seite der Gebirge verträumten, ihr Verderben rettungslos auf sie niederführen konnte.
Hier galt entschlossenes Handeln - den Weg über die Gebirge getraute er sich schon, wenn es sein mußte, allein zu finden, denn von hier aus lag das anscheinend schmale Thal des Tucunjado lang ausgedehnt vor ihnen, ein Abweichen zur Rechten oder Linken nicht einmal gestattend, und nur beim Niedersteigen waren sie größerer Gefahr ausgesetzt, in mit Schnee gefüllte Abgründe zu stürzen; keineswegs war die aber dringender, als das Bewußtsein gewissen Todes, wenn sie den Henkersknechten des Dictators in die Hände fielen, und es blieb deshalb keine Wahl.
Rasch weckte er Don José, dem er seine Befürchtungen in wenigen Worten mittheilte, und als dieser ebenfalls ihm bei- und zu augenblicklicher Flucht stimmte, hob sich auch die arme junge Frau von ihrem traurigen Lager, ihren Gatten über dessen Befürchtungen, sie selber betreffend, zu beruhigen, /93/ indem sie sich durch die wenigen Stunden Rast wie neu gestärkt fühle und die Männer wenig in ihrem Fortschreiten behindern werde. Wenige Minuten später fanden sie Alle zum neuen Marsch durch eine Schneewüste, nur mit dem ungewißen Licht des Schnees selber, gerüstet, als Ellington, der, immer aufmerksamer geworden, nach der Thalschlucht hinüber lauschte, plötzlich ausrief, er sähe einen der Peons kommen.
„Gott sei Dank!" flüsterte mit gefalteten Händen die junge Frau, „also waren es doch keine Verräther, und unsere Befürchtungen grundlos."
„Das gebe die heilige Jungfrau!" murmelte Don José, indem er die sich rasch nähernde Gestalt vorsichtig und mißtrauisch beobachtete und fast unwillkürlich nach den schon wieder im Gürtel geborgenen Pistolen griff, - „ich wollte, ich wüßte genau, wo der andere Schuft steckt."
„Am Ende haben wir ihnen doch Unrecht gethan," flüsterte Ellington, „und können nun wenigstens Tageslicht abwarten, um unsern Weg fortzusetzen. Wozu die arme Candelaria mehr erschöpfen, als eben unumgänglich nöthig ist."
„Erst wollen wir aber wissen, was der Bursche zu seiner Entschuldigung zu sagen hat," beharrte Don José, der seine Landsleute besser kennen mochte als der Engländer, - „jedenfalls müßen sie, selbst im günstigsten Fall ihrer Rechtfertigung, irgend etwas Verdächtiges gesehen oder gehört haben, sonst wären sie schon gar nicht so weit von hier fortgegangen - aber ruhig - es ist Pedro - der Alte scheint also doch seinen Posten zu halten." -
Der Jüngere der Peons kam indessen rasch näher, und seine Füße draußen an der Thür gegen die Steine klopfend, daß er den Schnee aus den Falten des um die Knöchel geschlagenen Schaffelles abschüttelte, betrat er mit dem frommen, aber vollkommen leise und kaum hörbar gemurmelten Gruß: „Ave Maria purisima!" die Hütte.
„Para siempre!" erwiderte halb unbewußt mit lauter Stimme und recht aus tiefstem, innerstem Herzen heraus die Frau, und der Peon, der in dem vollkommen dunkeln Raum, /94/ bei dem schwachen Schein, der dürftig durch die niedere Eingangspforte fiel, seine Umgebung nicht gleich erkennen konnte, sagte mit kaum unterdrücktem Ausruf der Ueberraschung, aber bald gefaßt:
„Pero, amigos - was ist das? - die Señorita - ei wahrhaftig, Alle zusammen auf und munter - es ist noch lange nicht Morgen. Aber ich glaub' es wohl, daß Ihnen die Zeit hier in dem kalten Loch lang geworden - wir können noch fünf oder sechs Stunden schlafen."
„Und wo bist Du gewesen, amigo?" frug Don José den Führer, der noch immer, halb unschlüssig, was er selber thun sollte, ob sich zum Schein niederlegen oder offen entfliehen und dadurch den vollen Alarm geben, in der Thür stehen blieb, „wo ist Dein compañero, und weshalb habt Ihr Beide Euern Posten verlassen?"
Der Peon lachte.
„Es war ein Puma da drüben," sagte er endlich nach einer kleinen Pause, „und wir konnten das Thier im Schnee hören und auch manchmal den dunkeln Schatten seiner Gestalt sehen. Um ganz sicher vor Ueberraschung zu sein, umschlichen wir die Stelle, wo wir ihn vermutheten, aber er entfloh in langen Sätzen, und erst nachdem wir dort eine Zeit lang gelauscht und gewartet, ob sich nichts Verdächtiges weiter regen würde, kehrte ich zurück - aber der Puma ist noch draußen," setzte er dann plötzlich, von einem neuen Gedanken durchzuckt, hinzu, „und Felipe schickte mich hier herein, eins der Gewehre zu holen - die Haut des Thieres gäbe ein herrliches Lager für die Señorita."
„Ich will selber mit Dir gehen," sagte Ellington rasch, aber Don José ergriff seinen Arm.
„Das wäre doppelter Wahnsinn," rief er in englischer Sprache; „drohte hier wirklich Verrath, so liefst Du den Schuften selber in die Schlinge, - selbst das aber angenommen, daß sie ehrlich sind, dürfen wir hier gar nicht schießen, denn der Schall würde unendliche Strecken in die Berge donnern und unseren Feinden, sollten uns diese wirklich nachfolgen, genaue Kunde von unserer Nähe geben. - Mir gefällt auch der Rath des Burschen nicht - der alte Peon ist viel zu schlau und vorsichtig, um sich selber zu verrathen, und außerdem glaub' ich nicht einmal, daß er ein Gewehr ab- feuern könnte."
Der junge Bursche hatte indessen dem Gespräch, von dem er keine Silbe verstand, unruhig und mißtrauisch gelauscht; - was beriethen die Männer, und was thaten indessen die vielleicht ungeduldig werdenden mashorqueros, wenn er zu lange zögerte? Er erkannte jetzt recht gut, daß Alle auf und zum Weitermarsch gerüstet waren, und was blieb da für ihn selbst das Sicherste?
„Aber wo ist Felipe?" wandte sich Don José jetzt plötzlich gegen ihn, - „Euer früherer Posten war gerade da drüben, und ich kann nichts mehr von ihm erkennen."
„Er ist an der Spitze da vorn stehen geblieben," erwiderte,