Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.die sich von Nord nach Süd hinunterstrecken. Der erste, nach den Pampas zu liegende Berg- oder Hügelstreifen - denn was in einem andern Lande recht gut ein Berg genannt werden könnte, erscheint hier, neben den gewaltigen Cordilleren, doch nur als Hügel - schmiegt sich dicht an den Hauptrücken, nur ein schmales Thal zwischen sich und diesem lassend, hin, ist aber hoch genug, sogar in dieser niedern Breite den Winter hindurch eine gar warme und behagliche Schneedecke zu tragen, während die Cordilleren selber schroff und gewaltig, in riesiger Masse aus dem nämlichen Thal emporsteigen - ein fester, compacter Körper von Schnee und Eis, auf granitenem Piedestal ruhend. So schroff und steil kommen /82/ dabei die einzelnen Bergwasser aus jenen riesigen Höhen herausgestürzt, daß es nur an einzelnen Stellen möglich ist, dem Lauf derselben aufwärts zu folgen, während die übrigen Gebirgsmassen eine feste, unersteigbare Wand bilden, die sich wolkenhoch, Berg auf Berg gehäuft, emporthürmt.
Aber selbst diese wenigen Pässe können nur für eine Strecke weit im Winter mit Maulthieren begangen werden; nachher muß der Wanderer, den sein Geschick in diese Wildniß getrieben, die Bahn zu Fuß weiter suchen, und nicht allein der Abgrund dicht unter dem schwankenden Schritt droht Verderben, nein, der geringste losgebröckelte Schnee, der ihn hier träfe, müßte ihn, durch das Gewicht seines Falles, in die Tiefe schmettern, und der Condor oder der Puma der Gebirge hätten dann ein treffliches Mahl.
Die beiden Peons kannten hier aber jeden Fuß breit Landes, und dem Thale folgend, das sich in ziemlich gerader Richtung gen Norden zog, erreichten sie gleich am nächsten Tage einen der Pässe, der eigentlich nur im Sommer benutzt wurde, den sie aber doch jetzt ebenfalls hofften passiren zu können, und hier hatten sie dann kaum eine weitere Verfolgung zu fürchten. Nur zu bald sollten sie aber diese Hoffnung getäuscht finden: ein gewaltiger Schneesturz hatte den schmalen Pfad so überschüttet, daß sie Wochen lang gebraucht haben würden, sich hier hindurch zu arbeiten, und wo indessen Provision hernehmen, während ein völliges Schneegebirge jeden weitern Fortschritt hemmte?
Selbst jetzt war die Gefahr groß genug, gerade an dieser Stelle von ihren Verfolgern überholt zu werden, denen sie dann nach keiner Richtung hin mehr hätten entfliehen können.
Langes Berathen half hier ebenfalls nichts; rasch umdrehend, eilten sie die eben gemachte Bahn in das Thal zurück, wo ihre Maulthiere noch zwischen den dort grünenden Myrtenbüschen reichliches Futter fanden, um den Tucunjado, ebenfalls einen der Bergströme, zu erreichen, ehe die Verfolger bis hierher ihre Spur aufgefunden /83/ haben könnten. Diese mußten übrigens schon in großer Anzahl kommen, wenn sie ihnen gefährlich werden sollten, denn die Gauchos, wie die Bewohner der Pampas genannt werden, führen selten oder nie Feuergewehre, mit denen sie auch nur höchst mittelmäßig umzugehen wissen, und die beiden Engländer waren mit Pistolen und Büchsen vortrefflich bewaffnet. Selbst Don José führte ein Paar Pistolen im Gürtel und ein Doppelgewehr, und die Peons hatten ihre gewöhnlichen langen Messer, ohne das ein Argentiner, besonders in damaliger Zeit, nie die Schwelle seines Hauses verließ.
Unten an der Mündung des Tucunjado, das heißt dort, wo der Bergstrom, von dem Hauptrücken der Kordilleren niederschäumend, seine Wasser mit einem größeren Bache vereinigt, der von Norden niederkommt und sich später seine Bahn in die freie Ebene bricht, liegt, hoch von den Schneegebirgen überragt, aber auch gegen all' die rauhen Südweststürme geschützt, in fast tropischem Klima, eine kleine freundliche Farm, die Grenzstation der Argentinischen Republik, und im Sommer der Stapelplatz der Mauthaufseher, die den Tucunjado-Paß niederkommenden Caravanen zu überwachen. Im Winter aber, wo fast jede Verbindung mit Chile, unbedingt jede mit Packthieren abgeschnitten ist, wird die Bewachung theils sehr lässig betrieben, theils ganz aufgegeben, und eine kleine Wirthschaft mit einigen Bergbewohnern und einem Dutzend starker, kräftiger Guanacohunde ist das Einzige, was zurückbleibt, bis der Schnee der Gebirge thaut, seine Massen in Sturzfluthen durch das Thal gesandt und die Pfade wieder freigegeben hat. Jetzt hausten dort nur ein paar alte Guanacojäger, und den hoch eingefriedigten Weideplatz, mit dem üppigsten Gras und Futterklee bedeckt, kannten die müden Thiere gut genug, um ihm schon von Weitem entgegen zu wiehern.
Ehe man sich aber in Sicht dieses Platzes wagte, wurde ein kurzer Kriegsrath gehalten, und zwar einstimmig dahin beschlossen, vorerst einen der Peons zum Recognosciren vor/84/auszuschicken und zu sehen, ob die Spione und Henkersknechte des Dictators selbst bis hierher gedrungen wären. War das der Fall, so mußten sie, wo sie sich eben befanden, die Nacht abwarten, nach einbrechender Dunkelheit am rechten Ufer des Bergstromes, so weit es die steilen Wände erlaubten, hinaufhalten, und den Fluß dann furthend den schmalen Pfad zu erreichen suchen, der an dem linken Ufer bis fast zu dessen Quellen auflief.
Der älteste der Peons, ein durchtriebener Bursche mit wilden, verlebten Zügen, aber einem Paar schlau und listig unter buschigen Brauen vorblitzenden Augen, wurde dazu gewählt und kehrte auch schon nach zwei Stunden mit der Nachricht zurück, daß allerdings elf Mann in dem Hause lägen und eben erst von einem kurzen Streifzug den Tucunjado hinauf zurückgekehrt wären, nachdem sie sich überzeugt hätten, daß die Flüchtigen noch nicht auf diesem Wege entkommen seien. Am nächsten Morgen würden sie aber unfehlbar das ganze Binnenthal absuchen und deshalb gar keine Wahl lassen, was man etwa thun sollte. Die einzige Möglichkeit, noch zu entkommen, sei, während der Nacht die Station zu umgehen und dann so rasch vorwärts zu rücken, wie es die Kräfte der Passagiere nur irgend erlaubten. An der Schneegrenze angekommen, wollten sie dann die Maulthiere absatteln und laufen lassen - den Rückweg suchten die klugen Thiere leicht allein, und hatten sie erst einmal den theilenden Gebirgsrücken erreicht, so waren sie sicher, denn Rosas durfte nicht wagen, die chilenische Grenze zu überschreiten.
Das Umgehen der Farm gelang, von einer ziemlich dunkeln Nacht begünstigt, vortrefflich. Noch lange vor Tagesanbruch hatten sie den schmalen Bergpfad erreicht, der sich am linken Ufer des jetzt niedern Stromes, oft kaum zwei Fuß Bahn neben einem Abgrund lassend, hinaufzog; hier aber mußten sie halten, bis das Tageslicht ihnen weiter helfe, denn es wäre mehr als Tollkühnheit gewesen, solchen Weg in dunkler Nacht zu verfolgen. Mit dem ersten Dämmerlicht brachen sie wieder auf, und selbst Señora Ellington, wenn auch nie im Leben an solche Strapazen gewöhnt, fühlte sich durch die kurze Rast /85/ wie neu gestärkt; kein Wort der Klage kam wenigstens über ihre Lippen.
Den schwierigsten Theil des Ueberganges hatten sie aber noch vor sich, jedenfalls den beschwerlichsten, und als erst ihre wirkliche Wanderung über den Schnee begann, drohten die Kräfte der jungen Frau sowohl wie die des alten Herrn den ungewohnten und gewaltigen Anstrengungen zu erliegen. Als sie am Abend, schon nach Dunkelwerden, die punta del vaca, eine kleine schmutzige Steinhütte, erreichten, mit einem Loch zur Thür und nichts als den kalten, gefrorenen Boden der Hütte selber zum Bett, wäre es der schwachen, zarten Frau nicht möglich gewesen, auch nur noch einen Schritt weiter zu setzen, und doch wußten sie Alle, daß vielleicht an der Verzögerung einer Viertelstunde schon der Tod hing.
Es mochte zehn Uhr Abends sein. Der Himmel war klar und sternenhell, und in der Hütte hatten sich die müden Wanderer, ohne selbst im Stande zu sein ein Feuer anzuzünden, in ihre Decken gehüllt und dicht neben einander geschmiegt, der Nacht vielleicht eine Stunde Schlaf und Ruhe abzustehlen. Nur der jüngere Peon stand, wohl dreihundert Schritt zurück, von woher sie gekommen, auf Posten, um hier an einer schmalen Stelle der Straße, an der kein Feind, noch dazu über den hellen Schnee, an ihn heranschleichen konnte, den Paß zu bewachen und bei dem geringsten Zeichen von Gefahr die kleine Schaar zu alarmiren. Von der Hütte her kamen jetzt Schritte, und wenige Minuten später stand der ältere Felipe an feiner Seite.
„Was sagst Du zu unserem Unternehmen, compañero?" frug er endlich leise den Kameraden, als er ein paar Minuten an dessen Seite gestanden und in die Nacht hinaus gelauscht hatte.
„Daß ich es herzlich satt habe, mich auf einer Seite mit einer papiernen Señorita herumzuquälen," brummte der Gefragte mürrisch, „die wir morgen wahrscheinlich noch das Vergnügen haben werden durch den Schnee zu schleppen, /86/ denn gehen kann die Puppe doch nicht mehr, und ich andererseits meinen Hals in Gefahr weiß, sobald uns die mashorqueros des Gouverneurs überholen. Pest und Gift, die Burschen verstehen keinen Spaß, und ich könnte mir eher Erbarmen von einer wilden Schaar der Pampas-Indianer erbitten, als von einem von Rosas' rothen Ponchos. - Ich wollte, wir hätten uns mit der ganzen Sache nicht eingelassen."
„Weißt