Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.. Gerstäcker Friedrich

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Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol. - Gerstäcker Friedrich


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ist eine wunderliche Geschichte," brummte er in sich hinein. „Kein Gefangenwärter, kein Polizeidiener in der Nähe, und hier auf öffentlicher Promenade ein ganzer Trupp von Wahnsinnigen, - Aber was kümmert es eigentlich mich? Wenn sich Die, die es angeht, nicht daran kehren, brauch' ich mir auch keine Sorge weiter deshalb zu machen. Der alte Medicinalrath mag aber eine schöne Nase bekommen, wenn die Sache ruchbar wird."

      In solchen Gedanken und ganz mit den eben gesehenen /62/ Leuten beschäftigt, blieb er endlich stehen, als diese an ihm vorbeigegangen waren, und wußte jetzt wirklich nicht, was er thun solle: nach Hause gehen und sich weiter gar nicht um das Geschehene kümmern, oder die Flucht der Wahnsinnigen anzeigen. Gerade aber war er mit sich im Reinen, das erstere zu befolgen, als ein langer, breitschultriger Herr mit einem großen Schnurrbart auf ihn zukam und sagte:

      „Apropos, mein Herr, Sie treffe ich hier zur guten Stunde."

      „Ich weiß nicht, daß ich das Vergnügen hätte, Ihre werthe Bekanntschaft -" stammelte Herr Hobelmann, von der rauhen Anrede verblüfft.

      „Wir waren gestern Abend zusammen in Gesellschaft beim Regierungsrath Kettenbrock," unterbrach ihn aber der mit dem Schnurrbart, „und dort hatten Sie die Unverschämtheit, mir, als Sie gingen, nachdem Sie fast alle Damen der Gesellschaft beleidigt, einen Thalerschein in die Hand zu drücken. Herr, für wen halten Sie mich?"

      Bei diesen Worten nahm der Ergrimmte das sorgfältig aufbewahrte Papier aus der Tasche und hielt es dem bestürzten Herrn Hobelmann unter die Nase.

      Herr Hobelmann wollte eben dagegen protestiren, daß er je in einer Gesellschaft bei einem Herrn Kettenbrock gewesen wäre, als er die Persönlichkeit, den langen Mann mit dem großen Schnurrbart, wieder erkannte. Vor der trotzigen Anrede und dem finstern Blick übrigens einen Schritt zurückweichend, sagte er freundlich:

      „Sehr verehrter Herr, es ist mir außerordentlich beruhigend, daß ich Sie gerade jetzt, und jener Gesellschaft folgend, treffe. Was übrigens den Kassenschein betrifft, so hatte ich nicht die entfernteste Absicht, Sie zu beleidigen, sondern wollte Ihnen nur, als dem Krankenwärter der Anstalt, ein Trinkgeld geben. Heute scheinen indessen alle Ihre Kranken -"

      „Herr, sind Sie verrückt?" unterbrach der Hauptmann den Andern, indem er ganz bleich vor Wuth wurde. „Aber diesen Schimpf sollen Sie mit Ihrem Blute bezahlen. Ich ein Krankenwärter? - Tod und Teufel Wo ist Ihre Wohnung. Herr?"

      „Aber ich begreife Sie nicht -" /63/

      „Wo ist Ihre Wohnung, Herr - geben Sie mir Ihre Karte, oder Sie reizen mich, etwas zu thun, das ich später vielleicht bereuen würde," flüsterte der Hauptmann, und Herr Hobelmann bemerkte zu seinem Schrecken, wie der Fremde vor verhaltener Wuth förmlich blau im Gesicht geworden war. Von einem so entsetzlich aufgeregten Menschen ließ sich das Schlimmste erwarten, und um nicht auf offener Promenade angefallen zu werden, gab er ihm rasch die verlangte Karte. Damit hatte er aber auch jeder Anforderung, die der Beleidigte in diesem Augenblick an ihn stellen konnte, genügt, und der Hauptmann sagte, indem er ihm verächtlich den Rücken wandte:

      „Sie werden heut Abend von mir hören, da - nehmen Sie!" - und mit den Worten, indem er dem bestürzten Herrn Hobelmann seine eigene Karte und den Papierthaler in die Hand drückte, schritt er, ohne den verdutzten Advocaten weiter eines Blickes zu würdigen, die Promenade eilig hinab. Herr Hobelmann aber sprach bestürzt vor sich hin:

      „Wenn der nicht toller ist, wie irgend Einer der seiner Zucht anvertrauten Patienten, so will ich selber dort eingesperrt werden. Jetzt aber habe ich die Geschichte satt, und bis die ganze Bande nicht wieder eingefangen ist, setze ich keinen Fuß mehr vor die Thür."

      Damit bog er seitwärts der Stadt zu und in eine kleine Seitenstraße ein, und eilte so rasch er konnte seiner Wohnung zu.

      VII.

      Dort angekommen, suchte er aber unverzüglich seinen Wirth, den Geheimrath von Pottlitz, aus, um diesem die Begebnisse des letzten Abends und heutigen Tages zu erzählen und ihn um seinen Rath zu fragen, wie er sich dabei zu verhalten habe. Der alte Herr hörte ihm aufmerksam zu, schüttelte dabei erst langsam, dann jedoch immer bedenklicher mit dem /64/ Kopfe, und sagte endlich, als Herr Hobelmann fertig war und ihn erwartungsvoll ansah:

      „Hören Sie, mein guter Herr Hobelmann, das ist eine höchst wunderliche Geschichte, die Sie mir da erzählen. Vor allen Dingen möchte ich Ihnen aber Eins bemerken. Wir haben hier allerdings ein Irrenhaus, eine Privatanstalt, aber eine gute Stunde von der Stadt entfernt und weit außerhalb des Droschkenbezirks. Sind Sie gestern Abend dort gewesen?"

      „Gott bewahre," sagte Herr Hobelmann, „die Anstalt muß in der unmittelbaren Nähe der Stadt liegen, oder vielmehr in der Vorstadt da drüben. Wir sind keine zehn Minuten gefahren, und ich bin den Weg dann in nicht ganz einer Viertelstunde zurückgegangen."

      „Und bei wem sagte Ihr vermeintlicher Krankenwärter, daß sie einander gestern Abend in Gesellschaft begegnet wären?"

      „Der faselte von einem Regierungsrath Kettenbork oder Kettenbrock."

      „Und wer hat Sie in jene Anstalt eingeführt?"

      „Ein junger Mann, ein gewisser Doctor Franz, ein Neffe des alten Obermedicinalraths. Er nannte ihn auch Onkel."

      „Und die ganze Gesellschaft haben Sie heut Abend auf der Promenade getroffen?"

      „Die ganze Gesellschaft allerdings nicht, aber wenigstens sechs oder sieben Personen davon."

      „Soll ich Ihnen jetzt meine Meinung sagen?"

      „Ich bitte Sie darum."

      „Gut. Jener Herr Doctor Franz hat sich einen, allerdings ziemlich derben Spaß mit Ihnen erlaubt und Sie in eine ganz vernünftige, gewöhnliche Abendgesellschaft gebracht, unter dem Vorwände Sie in ein Irrenhaus zu führen."

      „Aber das ist nicht möglich!" rief Herr Hobelmann entrüstet aus. „Die Königin von Birma -"

      „Erlauben Sie mir," unterbrach ihn der alte Geheimrath. „Wir haben hier in der Stadt eine mit Kettenbrocks sehr befreundete und, wenn ich nicht irre, auch verwandte /65/

      Dame, eine Commerzienräthin Brummer, die in der ganzen Stadt herumläuft und für die Heidenkinder in Birma Collecten sammelt. Ihre ganze Beschreibung paßt auf die Dame ausgezeichnet."

      „Aber das ist ja gar nicht möglich!" rief Herr Hobelmann.

      „Ebenso findet sich eine Frau Steuerräthin Fischbach, die dort aus- und eingeht und verwandt mit Kettenbrocks ist."

      „Bei voller Vernunft?"

      „Ich möchte Ihnen wenigstens nicht rathen, sie ahnen zu lassen, daß Sie das Gegentheil vermuthen."

      „Aber meine Steuerräthin soll eine ungarische Gräfin sein?"

      „Unsinn! Ihr „Doctor Franz" hat Ihnen das mit dem Uebrigen aufgebunden. Wenn Sie am Ende wirklich gestern Abend unter solchen Auspicien bei Kettenbrocks in Gesellschaft gewesen wären, so erführ' es heute die ganze Stadt und Sie würden zum Gespött der Leute."

      „Kettenbrocks - unmöglich!" sagte Herr Hobelmann; „wie wir auf den Markt kamen, sah ich eine erleuchtete Etage und hörte Musik und frug den Diener, der mich geführt hatte, wer da wohne, und der sagte mir, wie ich mich jetzt recht genau entsinne, daß ein Ball bei Kettenbrocks sei."

      „Dann begreif' ich nicht, wo Sie gewesen sein können," erwiderte kopfschüttelnd der Geheimrath. „So viel aber ist sicher, in einer Irrenanstalt waren Sie nicht, sondern bei ganz vernünftigen Leuten. Auch wer Sie zur Zielscheibe seines Witzes gemacht haben kann, ist mir ein Räthsel, denn so viel ich weiß, kennen Sie ja noch keine Seele in der Stadt."

      „Es ist ein Bedienter draußen, der den Herrn Hobelmann zu sprechen wünscht!" meldete in diesem Augenblick das Dienstmädchen, das den Kopf zur Thür hereinsteckte.

      „Mich?" sagte Herr Hobelmann erschreckt.

      „Ja, ich weiß es nicht," versetzte das Mädchen - „er trug nach einem Herrn Grafen Hobelmann und zeigte mir die Karte hier." /66/


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