Rüpel in Roben. Tomek Lehnert

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Rüpel in Roben - Tomek Lehnert


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nach der Verbrennungszeremonie an beflügelt. Die Tibeter übertrafen sich gegenseitig im Entwickeln der ausgefallensten Ideen über die Umstände und die Identität seiner Wiedergeburt. Mit jedem Jahr wurden die vorgeschlagenen Theorien gewagter, und die Öffentlichkeit sah sich mit einer exotischen Auswahl von Anwärtern auf Karmapas Thron konfrontiert, die von einem bhutanesischen Adeligen bis zu einem in Amerika geborenen Tibeter reichte.

      Ein Beispiel für solche Spekulationen war die berühmt-berüchtigte Aktivität von Bardo Tulku, einem Lama aus Woodstock, einem Kagyü-Kloster nördlich von New York. Sein erster Versuch Berühmtheit zu erlangen war der bösartige Angriff auf Shamarpa und Topgala im Jahre 1983. Es war zwar nicht ganz klar, ob die böse gemeinte Kampagne, die er startete, Teil eines koordinierten Werkes oder nur seine eigene Idee war. Das Ergebnis waren auf jeden Fall eine Reihe giftiger Briefe, die an Könige und Würdenträger im Osten geschickt wurden. Lama Bardo erprobte sein literarisches Talent und seine Neigung Polizei zu spielen, und klagte den höchsten Linienhalter und den Generalsekretär des Diebstahls von Karmapas Eigentum in Delhi an. Topgala wurde nicht nur zum Dieb sondern sogar zum Dämon erklärt, dem es irgendwie gelungen sei, den jungen Shamarpa unter seinen korrupten Einfluß zu bringen. Bei seinem rechtschaffenen Versuch, zwei Schwindler zu entlarven, vergaß Bardo Tulku zu erwähnen, daß die hastig zusammengetragenen Beweise gegen die beiden nur auf einem gravierenden Fehler von Frau Lea Terhune basierten - ausgestoßen aus Rumtek und jetzt Situ Rinpoches Sekretärin. Die Fäden der Intrige schlossen sich zum Kreis.

      Weil er mit der geringen Resonanz, die seine literarischen Eskapaden hervorgerufen hatten, nicht zufrieden war, beschloß Bardo Tulku, seine Redetalent unter Beweis zu stellen. Mit großer Pracht und Fingerspitzengefühl segnete er die Öffentlichkeit mit der anmaßenden Ankündigung, daß die glückliche Frau, die den künftigen Karmapa in ihrem Leib trage, zufällig seine eigene sei. Wie er es geschafft hatte, einen so klaren Einblick in die Gebärmutter seiner Frau zu bekommen, blieb ein Rätsel. Aber seine schwülstige Art muß die Mitglieder seiner Organisation doch sehr beeindruckt haben. Denn dem gesunden Menschenverstand zum Trotz gelang es ihm, ein gewisses Maß an Unterstützung für seine Behauptung zu bekommen. Der Höhepunkt der ganzen Aufregung endete jedoch im Nichts, als seine Frau ein Mädchen zur Welt brachte. Traditionellerweise inkarnieren alle Karmapas in einem männlichen Körper.

      Von 1984 an sahen sich die Linienhalter einem immer größer werdenden Druck von Personen ausgesetzt, die eine Ankündigung über den nächsten Karmapa forderten. Tibeter sind wahre Meister, wenn es darum geht, ihre geliebten Rinpoches unter Druck zu setzen. Demütig bitten, betteln und loben sie und hören nicht auf, bis der bedrängte Lama geschlagen nachgibt. Alle diesen Hitzköpfen gab Lama Ole einen einfachen Rat: „Wir brauchen nichts zu überstürzen. Die Angelegenheit um die Inkarnation des 17. Karmapa liegt einzig und allein in der Verantwortung der vier Linienhalter und wenn die Zeit reif ist, werden sie sich ganz sicher entscheiden!“

      Und wie sie das taten! Im Jahre 1986 erklärten die vier Eminenzen, zur Freude und unter heftigem Applaus von Kagyü-Schülern auf der ganzen Welt, daß endlich der Brief mit den Voraussagen des 16. Karmapa gefunden worden sei. Die überschwengliche Ankündigung wurde aber durch die Bekanntgabe gedämpft, daß das Testament auch noch einen ergänzenden Brief enthalte. In dieser zusätzlichen Nachricht bat der 16. Karmapa seine Schüler, eine große Anzahl von Mantras und Zeremonien zu vollziehen, bevor der Inhalt des eigentlichen Briefes, der die Details seiner 17. Wiedergeburt enthielt, bekanntgegeben werden könnte. Die zusätzlichen Rituale waren nötig, um massive Hindernisse zu beseitigen. Obwohl die Anzahl der Mantras mehrere Milliarden betrug, krempelten die Kagyüs auf der ganzen Welt die Ärmel hoch und es dauerte nicht lange bis die Bedingungen erfüllt waren.

      Im Mai 1988 bestätigte der Stab von Rumtek, daß alle im Extrabrief erwähnten Rituale vollzogen worden waren und die Hindernisse, die der Testamentseröffnung im Wege standen, somit beseitigt wären. (*FN: Numerierung der im Anhang abgedruckten Dokumente.) (*DOK:1) Während die jubelnden Schüler ihre Errungenschaft feierten, verschleppten die Linienhalter weiterhin die ganze Sache und die langerwartete Ankündigung war nirgendwo in Sicht. Mit größter Entschlossenheit versuchten sie aus irgendeinem seltsamen Grund, das ganze Thema zu vermeiden.

      Mit derselben Entschlossenheit schienen sie auch sich gegenseitig gemieden zu haben. Nach ihrer inspirierenden Verlautbarung im Jahre 1986 gelang es den vier Linienhaltern, sich offiziell nur dreimal im Lauf der nächsten vier Jahre zu treffen. Ihre Treffen waren nicht nur selten, sondern auch größtenteils erfolglos. Diese Beratungen, die manchmal in Fünf-Sterne-Hotels stattfanden, schienen nicht bis zum Kern des Problems vorzustoßen. Das Treffen von Neu Delhi im März 1990 war typisch. Obwohl eine einstimmige Mitteilung an den Karmapa Trust veröffentlicht wurde, wagten die Linienhalter nicht mehr als eine historische Beurteilung der Aussagen, die die Inkarnationen Karmapas bezeugten. Sowohl eine Sammlung schriftlicher Anweisungen, als auch die Taten einer Reinkarnation waren zwei notwendige Bestandteile, um die Authentizität des Prozesses zu gewährleisten. Es war zweifelsohne eine ausgereifte Beurteilung, die aber verdächtigerweise mit keinem Wort den Testamentsbrief erwähnte, der, wie man sich gut erinnern konnte, von den Rinpoches im Jahre 1986 gefunden worden war und dazu geführt hatte, daß die Rituale vollendet wurden.

      *

      Von 1990 an wurde der Druck, Karmapa zu präsentieren immer stärker und die Forderungen wurden immer unverschämter, während die Begegnungen der vier Linienhalter sogar noch seltener wurden. Gerüchte kursierten und eine wilde Theorie jagte die andere. Plötzlich erschien eine stattliche Anzahl schillernder Gruppen in der politischen Szene des Ostens. Sie alle wiederholten die gleiche, wohlbekannte Melodie: sofortige Anerkennung des 17. Karmapa. Neu war diesmal eine Liste von Anschuldigungen, die sich vor allem gegen den Generalsekretär, aber auch gegen Shamarpa richtete. Sie wurden bezichtigt, absichtlich den Prozeß der Anerkennung zu behindern. Topgala, einer der finanziellen Hauptunterstützer Rumteks, würde das Kloster um dessen Vermögen bringen und selber große Ambitionen hegen. In einer Verschwörung mit Shamarpa würde er einen bhutanesischen Prinzen als 17. Karmapa inthronisieren. Die Tiraden gegen die beiden schienen wohlüberlegt und eine Reihe von Veröffentlichungen und Appellen wurden an Klöster und Politiker im Osten verschickt. Mit jeder folgenden Welle wurden die zügellosen Beschimpfungen immer aggressiver, bis sich Shamarpa und Topgala unter völliger Belagerung und dauerndem Beschuß von aufgebrachten „Verteidigern“ von Karmapas Erbe befanden.

      Charakteristischerweise hatten sich die „erbosten Bürger Tibets“ viel Lob für eine herausragende Persönlichkeit bewahrt: Situpa - der einzige unter den Linienhaltern, der schnelles Handeln befürwortete. Ein klares Muster in dieser hinterhältigen Kampagne wurde sichtbar. Und in diesem Muster unterschied sich Situpa, der zum Handeln bereit war und vorsätzlich agierte, von nahezu jedem anderen. Waren all die Forderungen und Anklagen nur ein spontaner, unverantwortlicher Ausbruch politisch erwachter Tibeter? Oder zog jemand heimlich im Hintergrund die Fäden? Dies war eine Frage, die niemand öffentlich zu stellen wagte. Jedenfalls nicht zu dieser Zeit.

      Während die tibetischen Gerüchteküche brodelte, wurde klar, daß die vier Rinpoches wenig taten, um diese Gerüchte zu zerstreuen. Wenn man die Briefe liest, die sie sich in jenen Tagen schrieben, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Stolz die Oberhand über ihre Urteilskraft behielt. Die meisten Treffen fielen aus, weil sich die Eminenzen weder über Zeit noch Ort der Zusammenkünfte einigen konnten, und Situpa und Shamarpa unter keinen Umständen bereit waren, die Vorschläge des jeweils anderen zu akzeptieren. Situpa machte sich nicht die Mühe, zu einem Treffen zu erscheinen, das von Generalsekretär Topgala einberufen worden war, während Shamarpa, in typisch königlicher Manier, einfach seinen Widersacher ignorierte. Tatsache war, daß sich die Linie an ihrer Spitze gespalten hatte.

      Der Versuch, Karmapas Herz nach der Verbrennungszeremonie an sich zu nehmen, die unglückselige Absicht, Shamarpa vor Gericht zu zerren und die jüngste Verleumdungskampagne waren alles Bestandteile eines bewußten Versuches, die Position des obersten Linienhalters zu schwächen. Wer war für solch ein Komplott verantwortlich? Künftige Ereignisse sollten auf die wichtigsten Drahtzieher hinweisen und das ganze Ausmaß der Verschwörung enthüllen. Zu dieser Zeit jedenfalls sah alles bloß nach einem Streit zwischen sturen Rinpoches aus. Shamarpa, mit jedem Zoll ein Gentleman, hatte keine Ahnung, daß der Boden unter seinen Füßen bereits brannte und


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