Raus aus der Krise. Geri Schnell

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Raus aus der Krise - Geri Schnell


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Zug weiter. Mustafa späht aus dem Zug und beobachtet unauffällig den Gang, in welchem anscheinend immer noch die Zugsbesetzer patrouillieren.

      Plötzlich, nach unendlich langer Zeit, flüstert Mustafa: «Komm!», blitzschnell verlässt Max sein Versteck, hastet das kurze Stück durch den Gang zur Tür und springt vom langsam fahrenden Zug, in die Finsternis und landet, für ihn völlig überraschend im Wasser. Er getraut sich fast nicht aufzutauchen, doch langsam geht ihm die Luft aus. Vorsichtig schaut er sich um, er ist offensichtlich im Nil gelandet und der Zug fährt, ohne seine Fahrt zu verlangsamen weiter. Ihre Flucht ist von niemandem bemerkt worden.

      In langen Zügen schwimmt er dem Ufer entlang, bis er eine Stelle findet, an der er an Land robben kann. Er hört Mustafa neben sich flüstern, «Geht’s dir gut?»

      «Ja und dir?»

      Mustafa hat den Sprung ebenfalls unverletzt überstanden. Nun kann ihn Mustafa aufklären. Die Fundamentalisten haben zum Sturz der Regierung aufgerufen. Die Lage ist noch total verworren, niemand weiss, auf welcher Seite das Militär steht, aber das kümmert die Fanatiker nicht, auch wenn es Tote gibt, für eine gerechte Sache lohnt es sich zu sterben.

      Max merkt, dass es Mustafa im Prinzip mit den Putschisten hält, doch nun ist er unerwartet auf die falsche Seite geraten, denn einen Freund lässt man nicht aus einer politischen Überzeugung hängen. Max ist erleichtert, dass er endlich weiss, was los ist. Er muss sich so arabisch wie nur irgendwie möglich präsentieren. Das Äussere ist eigentlich kein Problem, sein von der Sonne gebräuntes Gesicht und seine hagere Gestalt machen ihn nicht verdächtig. Schwieriger wird das Sprachproblem sein, auch die Ausweise, welche in solchen Situationen, doch sehr oft gezeigt werden müssen, könnten ihn verraten.

      Da auch Mustafa keine Ahnung hat, wo sie sich genau befinden, schleichen sie dem Ufer entlang auf der Suche nach einem Versteck. Wo sind sie sicherer? In der Wüste, oder sollen sie versuchen, in einer Ortschaft in der Menge unterzutauchen?

      Bis zum Morgengrauen halten sie ein abgelegenes Versteck für besser, nachts fällt man auch in einer grösseren Ortschaft auf, also verlassen sie das Nilufer und schleichen auf eine Hügelkette zu, welche bereits in der Wüste liegt.

      In einer Felsnische setzen sie sich und versuchen abwechslungsweise zu schlafen, was allerdings nicht gelingt. Am Morgen will Mustafa an das Nilufer zurückkehren, um sich besser zu informieren.

      Als Mustafa aufbricht, verabschieden sie sich, als ob es für immer wäre. Max gibt ihm ein Teil seines ägyptischen Geldes, damit er Verpflegung kaufen kann. Für den Fall, dass sie durch die Wüste flüchten müssen, soll er versuchen, einen Esel zu beschaffen. Aus seinem Versteck späht Max Mustafa lange nach, bis er hinter einem Felsvorsprung verschwindet. Wird Mustafa wiederkommen? oder rettet er seine eigene Haut und verschwindet mit dem Geld? Max will auf der Hut sein. Er verändert seinen Standort so, dass ihn Mustafa, falls er ihn verraten würde, nicht so leicht findet. Ausserdem will er einen besseren Rundblick, damit er bei Gefahr Zeit zum Reagieren hat. Er klettert deshalb eine steile Wand hinauf. Der Fels ist recht griffig, so dass er leicht vorankommt. Bald ist er mit seinem Standort zufrieden, hoch auf dem Felsen, hat er eine gute Übersicht auf das vor ihm liegende Niltal, er kann sich notfalls in einer Felsspalte so gut verstecken, dass er vom Nil aus nicht gesehen werden kann. Diese Stellung hätte er vermutlich lange verteidigen könne, auch wenn er kein Gewehr hat. Wie bei der Schlacht am Morgarten die Eidgenossen, sucht er sich einige Felsbrocken zusammen und ist vorbereitet, sich zu verteidigen, komme da was wolle. Der schwache Punkt liegt eigentlich nur darin, dass er keine Verpflegung hat, und dass ihm schwindlig wird, wenn er nach unten schaut.

      Als am Mittag Mustafa noch immer nicht zurück ist, macht er sich Sorgen. Auf jeden Fall muss er den Abend abwarten, ehe er seine Stellung aufgibt. Er hat grossen Hunger und ist durstig. Doch er kann sich damit abfinden, in solchen Situationen stellt der Körper automatisch auf Notfall um und ist bedeutend weniger anspruchsvoll.

      Seine Gedanken durchwandern noch mal sein Leben, als ob das Ende nahe wäre. Seine schönste Zeit hatte er, als er mit seinen drei Freunden die eigene Firma betrieb und auch die ersten Jahre mit seiner Frau waren recht glücklich. War das nun das Ende? Wieso hängt er eigentlich noch so an seinem Leben, wenn er daran denkt, was ihn in Olten erwartet, gibt es eigentlich keinen Grund, Angst zu haben, er hat den Zenit in seinem Leben überschritten. Doch dann denkt er wieder an Rebekka, an die Frage, welche er ihr noch beantworten will und die nach diesen Erlebnissen noch schwerer zu beantworten sind.

      Gegen Abend erspäht er eine Gestallt auf einem Esel. Ist es Mustafa, oder jemand der zufällig hier vorbei reitet? Max ist insofern beruhigt, dass die Person allein kommt, denn wenn es die Polizei oder die Revolutionäre wären, dann würde sicher eine ganze Horde von Leuten anmarschieren, so eine Verhaftung ist etwas, bei der man Lorbeeren ernten kann. Da kommt sicher nicht einer allein. Nachdem er den Eseltreiber einige Zeit beobachtet hat, weiss er, dass es sich um Mustafa handelt und er macht sich an den Abstieg.

      Sie begrüssen sich hastig und ziehen sich wieder in die Felsnische zurück. Mustafa informiert Max über die Lage. Zurzeit putschen die religiösen Führer, sie wollen Ägypten in einen streng muslimisch geführten Staat verwandeln. Wer in diesem Machtkampf die Oberhand gewinnt, ist zur Stunde noch offen, im Moment ist es für jeden Ausländer, respektive nicht Moslem, gefährlich. Für die religiösen Führer sind die Touristen das Hauptübel für den Sittenverfall im Land.

      Mustafa hat herausgefunden, dass sie etwas südlich von Girga aus dem Zug gesprungen sind. Es ist klar, dass Max Ägypten verlassen sollte, nur wie? Der Weg über Kairo ist zu gefährlich, da gibt es viele Kontrollen, ausserdem ist der Flughafen zurzeit geschlossen. Durch die Wüste nach Libyen? Über die Berge zum Roten Meer und dort versuchen ein Schiff zu finden, oder südwärts in den Sudan bis nach Karthum? Aber das sind fast fünfhundert Kilometer.

      Das Rote Meer liegt rund hundertfünfzig Kilometer weit weg, man muss aber noch den Nil überqueren. Sich nach Libyen durchschlagen ist sowieso zwecklos. Erstens ist die Wüste lebensfeindlich, zweitens wird die Grenze sehr gut bewacht und drittens herrscht in Libyen Chaos.

      Nach gründlichem Abwägen entscheiden sie sich, für das Rote Meer. Mustafa wird sich sofort mit seinem Esel auf den Weg machen und auf einer Fähre versuchen über den Nil zu gelangen. Er übergibt Max einige Datteln, dann verabschiedet er sich von seinem Freund. Bis zum Einbruch der Nacht zieht er sich in sein Versteck zurück.

      Vorsichtig, jede Deckung ausnützend, schleicht er an das Ufer des Nils und sondiert die Lage. Es ist niemand zu sehen. Max versucht abzuschätzen, wie stark die Strömung ist und wie weit das andere Ufer entfernt liegt. Bevor er sich in das Wasser wagt, verdrückt er noch die restlichen Datteln, welche ihm Mustafa als Proviant mitgegeben hat. Dann beginnt er zu schwimmen.

      Ohne Hast, Zug um Zug schwimmt er los. Die Strömung ist stark. Er muss sich nicht allzu sehr beeilen, denn es dauert lange, bis das nächste Dorf kommt. Er versucht seinen Körper so im Wasser zu halten, dass ihm die Strömung hilft, an das andere Ufer zu treiben.

      Der Aufenthalt im Wasser kommt Max endlos vor, dank seinem dosierten Krafteinsatz, hat er keine Konditionsprobleme, das Wasser ist angenehm warm. Nur die Strudel sind eine echte Gefahr. Wenn er aufpasst, kann er sie rechtzeitig erkennen und es gelingt ihm auszuweichen. Endlich steht Max tropfnass am andern Ufer und versteckt sich sofort hinter einem Strauch.

      Nach Mitternacht macht er sich auf den Weg zum Eingang der Schlucht. Max wählt nicht den Weg im bewachsenen Teil des Tals, sondern entfernt sich sofort vom Ufer. Der Felswand entlang schleicht er weiter, auch wenn er sich nun schlechter verstecken kann. Er hat Angst, dass er im Landwirtschaftsteil, überraschend auf Häuser treffen könnte. Wenn sich die Bauern Hunde halten, könnten diese angeben und sie verraten.

      Vorsichtig schleicht er der Felswand entlang nach Süden. Er ist doch sehr weit nach Norden abgetrieben worden, so dass ein längerer Fussmarsch auf ihn wartet. Er erreicht den Treffpunkt noch vor der Morgendämmerung und ist sehr froh, als er die Stimme von Mustafa flüstern hört. Bis zur Dämmerung können sie sich noch einige Kilometer weit das Tal hinaufkämpfen und finden wieder eine Felsnische, in welcher sie den Tag verbringen wollen.

      Abwechselnd wird geschlafen. Das einzige kleine Problem ist


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