Der dunkle König. Eckhard Lange

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Der dunkle König - Eckhard Lange


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von den Augen, blickte, aus der weiten Ferne seiner Gedanken zurückfindend, fragend dem Eingetretenen entgegen. "Die Männer warten auf den König," sagte dieser. "Du mußt dich zeigen, ihnen Mut zusprechen, ihnen den Sieg verheißen und Jahwes Beistand im Kampf."

      Der König lächelte, unmerklich fast, aber er ließ seinen Gedanken keine Zeit zum Widerspruch. Schwer stützte er sich auf die Königslanze, als er sich erhob. "Die Priester haben den Altar geschichtet aus dem Gestein, die Opferflamme entzündet. Sie warten auf deine Gegenwart, mein König."

      Und wieder lächelte der König - dieses unendlich traurige Lächeln, das seine Gefolgschaft so oft schon verwirrt hatte. War es nicht eben dieses Opfer vor dem Kampf, das einst Anlaß zum Schuldspruch wurde gegen den König, als er noch kämpfen wollte und konnte? War es nicht dieser Kampf vor dem Kampf, den er gewinnen wollte gegen sie alle, die nur das Alte, das Hergebrachte wollten, die ihrem Gott nichts Neues zutrauten, die keine Einsicht kannten in das Notwendige, sondern nur ihre Pflicht gegenüber dem Vertrauten? Er hatte diesen Kampf verloren - jenen, der vor dem Kampf auf dem Schlachtfeld stand. Er hatte streiten wollen für Offenheit, für Vernunft - für einen anderen Gott, an den er damals noch glaubte. Und er hatte verloren - gedemütigt von den Bewahrern des Alten, getroffen vom Fluch des Sehers, der nur den alten Gott kannte, weil der ihm die Macht verhieß und nicht dem König. Und aus dem Opferrauch wuchs ihm die Dunkelheit zu.

      Damals: Er hatte nicht warten wollen auf den angestammten Vollzieher des heiligen Ritus, weil die Vernunft es gebot und die Logik des Krieges, weil die Verantwortung es verlangte, die ihm auferlegt war als Heerführer und König, und weil die Berater ihn drängten. So hatte er selber das Opfer vollzogen, an jenem Tage, als eine Schlacht bevorstand wie heute. Er hatte nur den Auftrag erfüllt, den Gott ihm aufgebürdet mit dem Königsamt, aber sie nannten es Anmaßung, Lästerung Gottes, weil er tat, was allein dem Seher zustand. Und der Seher entzog ihm die Nähe Gottes mit seinem Spruch.

      Er wußte es wohl: Es war ein Kampf um die Herrschaft über die Seele des Volkes, der da zwischen den beiden entbrannt war - dem von Gott erwählten König und dem von Gott berufenen Seher. Und es war ein höchst menschlicher Kampf, aber einer auf Leben und Tod, und er - Saul - hatte ihn verloren. Er hatte sich dem Spruch des Sehers gebeugt, das Urteil angenommen, statt einen anderen, neuen Gott zu verkünden. Das, nur das, war seine Schuld, und er hat sie nun zu tragen für immer.

      Der König blickte auf: "Es ist gut." Er stützte sich schwer auf die Lanze, trat aus dem höhlenhaften Dunkel des Zeltes hinaus in das Licht, das ihn ansprang, wie der Löwe sich auf seine Beute stürzt, und winkte den Priestern, daß sie das Opfer vollziehen möchten nach altem Brauch.

      ZWEITES KAPITEL: DER GEIST JAHWES

      I

      Die Stadt lag wie viele israelitische Siedlungen auf der Höhe des Bergrückens, den das Kalkgestein des ephraimitischen Gebirges geformt hatte. Nur eine niedrige Mauer umgab die weißgekalkten Häuser, die Höfe und Gemüsegärten. Gibea war keine bedeutende Stadt wie etwa Mizpa oder Gilgal, die ein Heiligtum Jahwes, ihres gemeinsamen Gottes, beherbergten und Treffpunkt der Stämme waren, wenn hohe Feste oder auch wichtige Versammlungen die Männer dorthin riefen. Es war eher ein befestigtes Dorf, denn seine Bewohner waren Bauern, die ihr Erbteil aus fernen, vergangenen Zeiten bewirtschafteten, das das heilige Los damals ihrer Sippe zugewiesen hatte.

      Ölbaumhaine zogen sich die Hänge hinab, der Boden darunter war steinig und wenig ertragreich, reichte kaum, daß dort Ziegen und Schafe weideten. Aber weiter entfernt im Tal wurde der Acker rötlich, und dort ernteten die Männer von Gibea ihr Getreide, dorthin zogen sie mit ihren Ochsengespannen, um den hölzernen Pflug in den Boden zu drücken.

      Längs des Weges, der nach Beth-El führte, pflügte an diesem Nachmittag ein hochgewachsener Mann. Die dunklen Locken hatte der Schweiß an Stirn und Schläfen geklebt, ein kurzer Bart bedeckte die Oberlippe, das energische Kinn und die Wangen, die sich über zwei vorspringende Backenknochen spannten. Er trug den ungefärbten Leinenkittel des Bauern, mit dem Gürtel hochgeschürzt, um beim Ausschreiten nicht hinderlich zu sein. Die kräftigen Hände drückten die hölzernen Bügel des Pfluges, damit die bronzene Spitze den Boden tief genug aufreißen konnte. Die Zügel des Ochsengespanns hatte er lose über die Schulter geworfen, denn die Tiere kannten ihren Auftrag und zogen das Gerät Furche um Furche durch das Erdreich, während sich die Sonne tiefer und tiefer auf den Höhenzug im Westen herabsenkte. Endlich war der Acker umgebrochen, der Mann spannte den Pflug aus und schnalzte den Rindern, die sich in Erwartung einer gefüllten Krippe gemächlich auf den Weg zurück nach Gibea machten.

      Der Pflüger schritt hinter ihnen, sein Blick wanderte über das Feld, und er nickte zufrieden. In den nächsten Tagen konnte er die Saat einbringen und auf den Frühregen warten. Inzwischen hatte er die Ölbaumhaine erreicht, prüfend suchte er an den Zweigen die noch grünen Früchte, die eine gute Ernte verhießen. Plötzlich aber stutzte er und blickte spähend voraus: Von Gibea klang ein langgezogener Klageton herüber. Aber es waren nicht die Frauen, die einen Toten beweinten, wie es Sitte war seit alters, es waren Männerstimmen.

      Eine schlimme Nachricht mußte die Stadt erreicht haben, und beunruhigt schritt der Mann nun schneller aus, um das Tor zu erreichen, in dessen Geviert sich die Einwohner zu versammeln pflegten, wenn gemeinsame Anliegen zu besprechen waren. Die meisten Männer Gibeas waren schon dort, und erregtes Stimmengewirr wechselte immer wieder in lautes Klagen. Zwei Fremde standen in ihrer Mitte, der Staub auf ihren Kleidern verriet, das sie einen weiten Weg hinter sich gebracht hatten. Sie mußten diese böse Nachricht überbracht haben, die solches Klagen bewirkte. Der Mann hatte nun das Tor erreicht, er band seine Tiere an einen Maulbeerbaum, der neben der Ringmauer wuchs, und trat auf die Versammelten zu.

      "Jabesch ist verloren, wenn Israel nicht zu Hilfe kommt," so sagte gerade einer der Fremden. "Aber niemand ist bereit, zu den Waffen zu greifen." "Und was sagen die Ältesten der Stämme, was sagt der Seher?" fragte ein grauköpfiger Bauer. "Sie haben keinen Rat, sie fürchten den Krieg, wo jedermann jetzt auf den Feldern arbeitet. Sie klagen um Jabesch, aber sie sind nicht bereit, Entsatz zu schicken." "Und der Seher?" "Er schweigt, keine Weisung Jahwes weiß er zu melden." Der Mann, dem wir hierher gefolgt waren, fragte nun nach, ließ sich noch einmal erzählen, was die Boten berichtet hatten.

      Schweigend hörte er zu, und vor seinem inneren Auge sah er auf einmal, wie Jabesch eingenommen wurde vom Feind, er sah, wie die Alten, wie Frauen und Kinder grausam niedergemetzelt wurden, er sah, wie Brand in die Häuser fiel, Flammen in den Gassen wüteten und wie jene, die sich vor der Grausamkeit der Gegner geflüchtet hatten, im Feuer verbrannten. Und er hörte das trunkene Siegesgeschrei der Ammoniter, die den Gott Israels schmähten, weil er ohnmächtig war, sein Volk zu schützen vor dem Schwert ihrer mächtigen Götzen. Er sah das alles, hörte das alles, erschrocken und zornig zugleich.

      Aber dann war da noch etwas anderes, wie eine Stimme in ihm selbst, befehlend, alles übertönend, gewaltig und machtvoll, laut und zugleich doch leise und dringlich, drängend, besitzergreifend. Er zitterte, wollte sich wehren, wollte sich dem Befehl entziehen, aber die Stimme war da, ließ ihn nicht los, erfüllte ihn, machte ihn willenlos und zugleich voller Willen, voller Drang zur Tat. Es war, als hätte ein fremder Geist Einzug gehalten in seiner Seele, in seinem Herzen, in seinem Denken, und er zwang ihn, zwang ihn zu handeln. Einfach und sicher erschien ihm alles in diesem Augenblick, und offen lag der Weg, den er gehen mußte.

      Der Mann stöhnte laut, und dann war da ein Schrei, der alle erstarren ließ; hochaufgerichtet stand er da zwischen den Männern von Gibea, und seine Stimme war mächtig, war voller Gewißheit, als er sagte: "Jahwe wird Jabesch nicht in die Hand der Ammoniter fallen lassen. Auf, Israel, zu den Waffen! Jahwe ist mit dir!"

      Erschrocken erst blickten die Männer, hörten den Ruf, und plötzlich war alle Klage verstummt, sie schauten auf den Mann, den sie alle kannten als ihren Nachbarn, Saul, Sohn des Kis aus der Sippe Abiëls, doch nun war er ihnen zum Führer geworden, wie es so manches Mal geschehen war in vergangenen Zeiten, wenn Jahwe sich einen Mann aus Israel erwählte, um sein Volk zu retten; nun spürten sie den Geist Jahwes, der aus ihm gesprochen, und alle Furcht, alle Bedenken waren gewichen. "Zu den Waffen," riefen sie, "Jahwe ist mit


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