Der Plethora-Effekt. Jon Pan

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Der Plethora-Effekt - Jon Pan


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den Stein, hämmernd, bis mir die Fäuste schmerzten. Die Erschöpfung holte mich sehr schnell ein, doch die Wut peitschte mich weiterhin voran. Das Gefängnis musste aufgebrochen werden! Sollte das Raumschiff nur bersten! Das Schwarz des Alls würde mich verschlucken – dann hätte wenigstens diese panische Ungewissheit ein Ende.

      Keuchend lehnte ich mich an die Wand, mit hängenden Armen, gelockerten Fäusten. Wo war ich? Täuschte ich mich wirklich nicht? Gedanken sägten sich mit frostiger Klarheit durch den Morast meiner Gefühle, die mich in einen neuen Anfall hineinzutreiben drohten. »Was wollt ihr von mir!«, brüllte ich.

      Mitten im Beischlaf hatten sie mich weggeraubt. Mit Gewalt entführt. Und nun überließen sich mich einfach mir selbst. Ich war allein, furchtbar allein. Hier weiter existieren zu müssen war das Gegenteil von Leben. Stunden, Tage, Monate, Jahre – was bedeutete das hier für mich! Die Zerstörung meiner Uhr zeigte doch an, dass es keine Zeit mehr gab. Löste ich mich dadurch nicht auf? Ich taumelte mit Lichtgeschwindigkeit durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Da waren keine Punkte mehr, auf die ich mich beziehen konnte.

      Vielleicht stand ich stundenlang so da. Kein Hunger, nichts. Nur Luft, um zu atmen.

      Ein neues Geräusch ließ mich aufhorchen. Ein höherer Klang mischte sich in das tiefe Vibrieren. Und immer deutlicher konnte ich die Richtung, aus der er kam, orten. Mein Blick fraß sich an der mir gegenüberliegenden Wand fest. Das Weiß flimmerte. Wurde die Helligkeit allmählich zu viel für meine Augen? Der Klang kam näher. Was war das? Ein feiner Staub schien sich vor der Wand, die ich ununterbrochen fixierte, auszubreiten. Das Flimmern verstärkte sich, der hohe Klang wurde lauter, viel lauter.

      Es war kaum zu glauben, aber gegenüber erschienen hinter dem flimmernden Weiß die Gestalten der drei Außerirdischen von vorhin. In der Wand löste sich eine Fläche auf, durch die man hindurchtreten konnte. Der Stein, poröser und poröser werdend, wurde zu wirbelndem Staub. Die harte Materie verwandelte sich in eine Art Nebel. Der vorne und zugleich in der Mitte stehende Außerirdische hatte ein seltsames Gerät in der Hand. Ich begriff sofort, dass er damit diesen singenden Klang erzeugte. Es war ein schwarzer Trichter, der hinten einen ebenfalls schwarzen Resonanzkasten hatte, über den sich eine Saite spannte. Der Außerirdische zog mit einem dünnen und nicht sehr langen Bogen darüber. Auf diese Weise brachte er sie zum Schwingen. Der Trichter verstärkte den dabei entstehenden Klang und warf ihn gegen den weißen Stein. Ich nahm an, dass er sich infolge der Schwingung des Klangs auflöste.

      Die drei Außerirdischen befanden sich nun in dem Raum, in dem ich, restlos erstaunt, an der Wand stand. Sie beachteten mich auch diesmal nicht, sondern passierten den Durchgang zum Raum mit den fünf Würfeln. Ich konnte meinen Blick nur kurz vom flimmernden Teil der gegenüberliegenden Wand losreißen. Gespannt wartete ich darauf, ob sich die Materie wieder verdichtete. Tatsächlich, der wirbelnde Staub zog sich zusammen, zeigte erste Spuren eines porösen Steins. Warum rannte ich nicht einfach los und versuchte, noch durch die frisch entstandene Öffnung hindurch zu schlüpfen? Stattdessen verharrte ich bewegungslos. Es war inzwischen auch zu spät, denn die Wand hatte sich wieder geschlossen.

      Ich wagte einen Blick in den Nebenraum mit dem schwarzen Quadrat. Obwohl mir die drei Außerirdischen ihre Rücken zuwandten, sah ich, dass sie sich mit etwas beschäftigten. Vorsichtig löste ich mich von der Wand los und schritt auf den Durchgang zu. Einer der Außerirdischen hielt meine zerstörte Uhr in der Hand und streckte sie von sich. Was hatte er damit vor? Zwei der fünf auf den Würfeln sitzenden Außerirdischen hoben den Kopf. Dann wurde gesprochen. Meine Uhr blieb dabei zwischen ihnen.

      Ohne dass ich es gehört hatte, mussten sie vorhin schon einmal den Raum, in dem meine Uhr lag, betreten haben, und zwar auf dieselbe Weise, also mit dem Klang der schwingenden Saite und dem Trichter. Vielleicht waren sie im ersten Raum – also in jenem, wo ich nach meiner Entführung das Bewusstsein wiedererlangt hatte – durch die Wand eingetreten. Dann hätte ich sie, durch das andere, tiefere und ständig vibrierende Geräusch, möglicherweise nicht hören können. Doch was nützte es, mir darüber Gedanken zu machen! Sie waren im Besitz meiner Uhr. Nur, warum interessierten sie sich dafür? Ich selbst stand ihnen doch zur Verfügung.

      Es zog mich geradezu in den Raum hinein. Doch die drei Außerirdischen, von denen der in der Mitte sowohl den Trichter mit der Saite wie auch meine zerstörte Uhr in je einer Hand hielt, näherten sich mir.

      Warum stellte ich mich ihnen nicht mit ausgebreiteten Armen in den Weg? Sie mussten mich dann doch zur Kenntnis nehmen! Länger konnte ich diese Nichtbeachtung nicht ertragen. »Meine Uhr, das ist meine Uhr«, sagte ich, als die drei Außerirdischen nur noch zwei Schritte von mir entfernt waren. Sie reagierten nicht darauf, sondern gingen stur weiter. Der mittlere prallte hart gegen mich, wobei ich nach hinten geworfen wurde und stürzte. Auf dem Boden liegend, schaute ich hoch. Die drei blieben dicht neben mir stehen, und einer sagte sehr laut etwas in dieser seltsamen Sprache. Dann setzte das Schwingen der Saite ein. Ich robbte mit schnellen Bewegungen davon, erhob mich auf der entgegengesetzten Seite des Raums. Der durch den schwarzen Trichter verstärkte Klang löste die steinerne Mauer auf. Wieder entstand ein Durchgang, der stehend von einem Mann passiert werden konnte. Die drei Außerirdischen traten hindurch.

      Ich rannte los und folgte ihnen. Im Augenblick des Eintretens in die neblige Substanz hielt ich den Atem an und kniff die Augen zu. Dabei vergaß ich meinen nackten Oberkörper. Es war mir gleichgültig, ob ich ein Risiko auf mich nahm. Ich wollte nur eines: Raus aus diesen weißen Räumen. Und das hatte ich nun geschafft. Doch lief ich damit nicht in eine neue Falle? Die Antwort holte mich ein, kaum stand ich auf der anderen Seite, denn ich befand mich abermals in einem weißen Raum – genau in derselben Art und Größe wie derjenige, den ich soeben verlassen hatte.

      Verzweiflung befiel mich und löschte die Erleichterung, die ich für kaum eine Sekunde über meinen geglückten Ausbruch empfunden hatte, aus. Dazu verspürte ich ein Ziehen auf meiner Haut, das ich jedoch kaum beachtete. Aufmerksam richtete ich meinen Blick auf die drei Außerirdischen, die durch eine runde Öffnung im Boden hintereinander hinabstiegen. Meine Haut spannte sich wie bei einem Sonnenbrand. Ich rieb mir flüchtig mit der flachen Hand über Schultern und Arme und trat an die runde Öffnung im Boden heran. Den Kopf nach vorne gereckt, schaute ich in sie hinein. Helles Weiß blendete mir entgegen. Gab es hier denn nichts anderes? Nachdem ich eine Weile gewartet hatte, stieg ich ebenfalls in die Öffnung ein. Meine nackten Füße ertasteten eine Treppe, die aus steil aufgeschichteten Steinen bestand. Das tiefe Vibrieren war hier kaum mehr zu hören. Doch meine Haut schmerzte nun. In der Enge der Öffnung fand ich jedoch keine Zeit, mich darum zu kümmern. Ich musste den drei Außerirdischen folgen. Der eine hatte mich vorhin sogar umgestoßen. So wenig bedeutete ich ihnen also! Und meine Haut, was war mit meiner Haut los? Meine Hand fuhr prüfend darüber. Sie fühlte sich nicht heiß an, nur staubiger. Von dieser weißen Substanz konnte ich aber nach wie vor nichts auf ihr entdecken. Warum haftete das Zeug an den Außerirdischen, doch nicht an mir?

      Die steinerne Treppe endete in einem weiteren, weißen Raum. Mir fiel sofort auf, dass er nicht leer war. In der Mitte stand ein langer Tisch, der mich an einen Altar erinnerte. Er war ebenfalls aus diesem weißen Stein gefertigt. Da ich direkt daneben stand, legte ich meine Hand prüfend darauf. Er fühlte sich viel poröser als das Material der Wände an. Die drei Außerirdischen beschäftigten sich in einem weniger breiten Teil des Raumes mit einer Erhöhung, die durch schwarze Tücher genau aus demselben grobmaschigen Gewebe wie ihre Kleider abgedeckt war. Vorsichtig schritt ich auf sie zu. Ich sah, wie der eine ein rundliches Blatt in der Hand hielt, das von einer Pflanze stammen musste. Was mich allerdings verunsicherte, war die seltsame Farbe dieses, wie ich annahm, Teil eines Gewächses. Es schimmerte in einem aufdringlichen, stark glänzenden Purpurrot und wirkte prall, als wäre es mit einer Flüssigkeit gefüllt. Unter dem schwarzen Tuch entdeckte ich weitere dieser Blätter, die ganze Erhöhung bestand offenbar aus ihnen.

      Sofort musste ich an Nahrung denken. Bestimmt aßen die Außerirdischen diese Blätter. Ohne einen Beweis dafür zu haben, war ich mir dessen absolut sicher. Und tatsächlich wurden einige der Blätter auf den langen Steintisch gebracht und aufgeteilt. Die einzelnen Portionen bestanden allerdings bloß aus zwei Blättern. Besonders hungrig schienen die Außerirdischen also nicht zu sein.

      Ich schaute unter den Tisch, was mir Mühe


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