Der Plethora-Effekt. Jon Pan

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Der Plethora-Effekt - Jon Pan


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Schule in den langweiligen Lektionen immer beschäftigt hatte.

      Ich schloss das Fenster wieder, zog die Jalousien herunter. Die nun matt-düstere Atmosphäre im Zimmer machte die Luft noch schwerer zum Atmen. Mit einer ruckhaften Bewegung riss ich mir das Hemd über den Kopf und warf es in die Richtung, in der ich einen Sessel vermutete. Mein Arm schwenkte seitlich aus. Mit leicht geballter Faust schlug ich gegen den Lichtschalter. Eine zu dicht an der Decke montierte Hängelampe warf gelbliches Licht durch ihre milchige Halbkugel. Ich begab mich ins Bad, schlüpfte aus meinen restlichen Kleidern, stellte mich unter die Dusche und seifte mich tüchtig ein. Die Kühle des Wassers belebte mich sofort.

      Ich war heute Abend mit Martina verabredet. Keine Sekunde hatte ich das vergessen. Vielleicht hatte sie schon versucht, mich anzurufen? Einen besonderen Grund dazu gab es nicht, doch erwartete ich regelmäßig, wenn ich mich zuhause aufhielt, dass sie sich bei mir meldete. Sie wusste nicht, dass ich den ganzen Tag bei Onkel Samuel zugebracht hatte. Sie wusste überhaupt noch sehr wenig von mir. Ich kannte sie erst seit vier Wochen. Aus einem mir unerklärlichen Grund übte ich bei ihr eine erstaunliche Zurückhaltung aus und erzählte ihr kaum etwas über meine täglichen Verpflichtungen. Auch über meine Tätigkeit in einem Labor für chemische Analysen schwieg ich mich aus. Dabei war das sonst ein beliebter Gesprächsstoff von mir. Hatte ich Angst, ihr Bild, das sie sich von mir machte, mit Realitäten zu bewerfen und es somit, wenn auch nicht gleich zu zerstören, so doch erheblich zu beschmutzen? Aber ich war, was ich war. Und belogen hatte ich sie nie. Doch brauchte es unbedingt Worte, um zu lügen?

      Nein, ich belog sie nicht. Wieso hätte ich das auch tun sollen? Martina gefiel mir. Oder liebte ich sie? Das Duschwasser traf mich mitten ins Gesicht. Ich öffnete den Mund, schnappte nach einer Ladung der kühlen, klaren Flüssigkeit und veranstaltete damit gurgelnde Laute in meinem Rachen. Dazu legte ich den Kopf etwas zurück und kniff nun die Augen vor dem herab schießenden Nass zu. Die Seife rutschte mir aus der Hand und schlug wie ein Stein in dem blechernen Duschbecken auf. Warum erzählte ich Martina eigentlich nicht von Samuel? Warum gingen wir nicht mal zu ihm hin? Ich hatte ihm doch auch andere Mädchen vorgestellt. Er freute sich über jeden Besuch. Und die Sache mit Charlotte – da hatte er mir nie Vorhaltungen gemacht. Onkel Samuel war in Ordnung. Und trotzdem hielt mich etwas davon ab, Martina zu ihm mitzunehmen.

      Direkt unter der Brause stehend, suchte ich mit dem rechten Fuß nach der Seife, berührte sie, wollte sie mit den Zehen fassen, doch sie entschlüpfte mir wieder.

      Möglich, dass ich mir einbildete, Martina könnte glauben, ich sei von Onkel Samuel abhängig. Sie wusste ja nichts von meiner Arbeit. Nahm sie denn überhaupt an, ich würde arbeiten? Sie hatte sich bei mir nie danach erkundigt. Das erstaunte mich. Überhaupt überlegte ich mir plötzlich, ob meine Zurückhaltung bloß daraus resultierte, dass sie mich nie etwas fragte. Klar, ich wollte mich nicht aufdrängen.

      Meine Hand tauchte seitlich herab, um mit den ausgestreckten Fingern nach der Seife zu tasten. Ich bekam sie zu fassen und hob sie auf. Mit kreisenden Bewegungen seifte ich mich nochmals ein.

      Hatte mich Martina wirklich nie etwas gefragt? Was passierte mit mir? Da wuchs ganz unerwartet ein Problem in meinem Kopf heran. Die Seife hinterließ einen feinen Schaum auf meiner Haut, den das Wasser gleich wieder mitnahm. Martina war eben nicht besonders gesprächig. Aber das traf nicht zu. Ich wusste es, kaum hatte ich es gedacht. Was stand zwischen uns? Wir suchten beide mehr als ein Vergnügen. Ich auch?

      Die Seife rutschte mir erneut aus der Hand. Reflexartig spreizte ich die Füße auseinander, damit sie mich nicht traf. Dumpf knallte sie ins Blech.

      Das Telefon klingelte. Ich hatte den Eindruck, es unter dem prasselnden Wasser nicht gleich gehört zu haben. Das brachte mich dazu, die Dusche nun umso eiliger zu verlassen. Ohne mich abzutrocknen, rannte ich los. Die Ungewissheit, wie viele Male das Telefon schon geklingelt haben könnte, versetzte mich in eine zappelige Hetze. Ich hatte nicht einmal mehr die Zeit gefunden, die Dusche abzudrehen. Das Geräusch störte mich. Trotzdem riss ich den Hörer vom Apparat und meldete mich mit möglichst ruhiger Stimme.

      Es war Charlotte. Die Enttäuschung über meine falsche Erwartung konnte ich vor ihr nicht verbergen. Dabei schwieg ich. Doch genau das war es, was mich verriet.

      »Mich hast du nicht erwartet«, stellte sie trocken fest. »Aber ich bin’s.«

      »Was willst du?«, fragte ich und wischte mir mit dem Handrücken über das nasse Gesicht.

      »Wir müssen uns treffen«, antwortete sie. »Und zwar noch heute Abend.«

      Die Dusche im Hintergrund rauschte monoton vor sich hin. Ich bewegte mich, soweit es das am Telefonhörer befestigte Spiralkabel zuließ, zur Tür des Baderaums hin und stieß mit dem nackten Fuß hart dagegen. Mit einem rasanten Schwung fiel sie ins Schloss. Das Geräusch der ins Blech trommelnden Wasserdrähte wurde dumpfer.

      »Hallo? Bist du noch da?« Charlottes Stimme klang, wie meistens, gleichgültig. Dabei war die Person Charlotte das keineswegs.

      »Ja, ich bin noch da«, sagte ich.

      »Du bist also nicht allein?«

      »Was geht dich das an?«

      »Habt ihr gerade zusammen geduscht?« Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern fuhr ohne zusätzliche Betonung fort: »Bei dieser Hitze kommt man eben leicht ins Schwitzen.«

      Wenn sie wüsste! dachte ich mir. Martina war noch nie in meiner Wohnung gewesen. Auch das gehörte zu meiner für mich nach wie vor unerklärbaren Zurückhaltung. Aber Charlotte kannte mich von einer anderen Seite. Vielleicht war das der Grund, warum es mit uns nicht funktioniert hatte. Zu viel Nähe. Oder besser: zu viel falsche Nähe.

      »Was ist nun?«, sagte Charlotte, ohne ihre Stimme auch nur eine Spur mehr in der Sache zu engagieren. »Können wir uns heute Abend treffen?«

      »Nein«, sagte ich, während gleichzeitig ein großer Wassertropfen von meiner Nasenspitze herunter mitten auf die Sprechmuschel fiel. Ich wischte ihn nicht weg, sondern schaute zu, wie er sich, flacher werdend, verformte und durch die länglichen Ritzen ins Gehäuse hineinkroch.

      »Du weißt genau, dass wir miteinander noch nicht fertig sind« Charlotte ließ nicht locker. »So leicht kommst du mir nicht davon! Auch Onkel Samuel meint, du – «

      »Lass Samuel aus dem Spiel«, fiel ich ihr ins Wort. »Er hat damit nichts zu tun.«

      »Du profitierst von ihm genauso, wie du von mir profitiert hast.«

      »Ich arbeite«, betonte ich.

      »Seit einigen Wochen, ja.«

      »Dann lass mich jetzt bitte in Ruhe.«

      »Und was war vorher?«

      Sie wusste es doch genau. Also warum ließ sie mich damit nicht endlich in Frieden? Hatte ich denn so sehr am Lack ihrer Eitelkeit gekratzt? Oder ging es ihr um mehr? Liebte sie mich noch? Eine müßige Frage, denn selbst wenn es so wäre, wollte ich es nicht wissen.

      Die Hitze im Zimmer hatte meinen Körper unterdessen vollkommen getrocknet. Mich drängte es unter die Dusche zurück, die sich hinter der geschlossenen Tür sinnlos ergoss.

      »Also gut«, sagte Charlotte, »du bist nicht allein und kannst deshalb im Moment nicht offen reden. Am besten ist es, wenn wir uns treffen. Dann können wir alles besprechen.«

      Ich schwieg, legte kurzerhand auf und ging ins Bad zurück. Dort überraschte mich eine angenehme Frische. Nach einem großen Schritt stand ich wieder unter der Dusche. Im Zimmer nebenan klingelte das Telefon bereits wieder. Charlotte! Nur sie konnte es sein. Und wenn es Martina war? Nein, denn ich hatte ja vorhin mitten im Gespräch mit Charlotte aufgelegt. Schwang denn nicht ihre Hartnäckigkeit in jedem Klingelton mit? Ich war mir nicht sicher. Es könnte Martina sein! Also rannte ich wieder zum Telefon.

      »Lass diese unverschämte Tour!«, fuhr mir Charlottes Stimme ins Ohr. »Damit kommst du bei mir nicht durch! Das weißt du genau!«

      Ich schwieg, senkte den Kopf und schaute zu, wie das Wasser über meinen Körper perlte.

      Nun


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