Märchen helfen heilen. Gudrun Anders

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Märchen helfen heilen - Gudrun Anders


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und klarer als ich es je gehört hatte. Nie hatte ich für möglich gehalten, dass man so schön tirilieren konnte. Unglaub versuchte, das kleine Vögelchen mit einer Hand zu erhaschen, mit der anderen Hand hielt es das Engelchen fest, das kaum noch zu leben schien. Wir mussten jetzt schnell handeln. Das Vögelchen wuchs über sich selbst hinaus. Geschickt entwischte es der Hand der Krake und jedes Mal, wenn es erfolgreich entwischt war, tirilierte es nur noch ein bisschen lauter und schöner als vorher, was die alte Krake nur noch wütender machte.

      

       Durch dieses Wirrwarr schien wieder Leben in das Engelchen zu kommen. Langsam, ganz langsam öffnete es ein Auge, sah sich verwundert um, schien aber noch nicht zu registrieren, was hier gerade vor sich ging.

      

       Das Vögelchen tat sein Bestes. Trickreich entging es den Klauen der Krake und ich hatte den Eindruck, als wenn es immer fröhlicher wurde, ja völlig über sich hinaus wuchs und immer größer und stärker dabei wurde. Jetzt begann ich, auf das Engelchen einzureden. „Du musst aufwachen. Es ist noch nicht zu spät. Du kommst hier wieder raus, wenn du nur willst. Du musst nur an dich glauben. Wir helfen dir, wir sind deine Begleiter. Wir waren immer bei dir, haben dich immer auf deinem Weg begleitet.

      

       Wir werden auch in Zukunft zu dir stehen. Komm’, lass dir helfen. Vertraue! Du schaffst es! Wach auf. Es wird Zeit, hier zu verschwinden. Es gibt noch so viele schöne Dinge auf der Welt. Sieh’ dir das Vögelchen an. So klein und doch so flink, dass diese alte Krake ihm nichts, absolut nichts anhaben kann. Höre auf sein Lied. Sing mit! Es ist das Lied des Lebens!“

      

       Und je mehr ich sagte, desto mehr drang meine Stimme offensichtlich in das Bewusstsein des Engelchens ein. Noch glaubte es mir nicht, aber es sah seine missliche Lage und ein kleiner Funke von Lebenswillen erschien auf seinem Gesichtchen. Und plötzlich rappelte es sich hoch. Die Krake war mit einer Hand mit dem Vögelchen beschäftigt - das war die Chance!

      

       „Los“, sagte ich, „befreie dich. Das ist deine Chance, hier zu entkommen. Wir helfen dir!“ Das Engelchen rappelte sich auf, bekam erst einen Arm frei, dann den zweiten und stand dann auf. Die Krake wusste nicht mehr, was sie machen sollte, das Vögelchen trampelte ihr auf dem Kopf herum, der Engel wollte sich befreien und ich schickte ihm den Nebel des Vergessens, den er bislang noch nicht kannte. Das war zu viel. Der Vogel schwirrte jetzt behände um den Kopf der Krake und das Engelchen hatte sich befreit und konnte zum nahen Ufer gelangen. Hierher kam die Krake nicht mehr, denn hier war bereits das Territorium des Guten. Hier versagten die Kräfte der Krake. Laut schimpfte sie: „Euch werde ich helfen, mir meine Mahlzeiten zu stehlen! Was seid ihr für gemeine Wichte! Überhaupt kann ich euch nicht leiden!“ Aber wir lachten bloß.

       Das Engelchen hatte sich inzwischen aufgerappelt und fing ganz langsam an zu lächeln. „Komm“, sagte ich, „da vorn ist der See der Liebe. Dort kannst du baden. Er wird dir Kraft geben.“ Und als das Engelchen den See erblickte, lachte es froh, fing an zu laufen und stürzte sich kopfüber in den See der Liebe, wusch sich von allem Matsch und Dreck frei, jauchzte und tirilierte und freute sich wieder des Lebens.

      

       „Siehst du“, sagte ich, „es geht auch anders. Bade dich frei und dann gehe deines Weges. Jetzt wirst du jeden Weg ohne Zweifel meistern!“ Und ich sah ihm glücklich beim ausgiebigen Baden zu. Er suhlte sich in dem feinen, weichen Wasser, ließ es durch seine Hände laufen, lachte und spritzte es umher. So ausgelassen ist das kleine Engelchen sicher selten gewesen.

      

       „Ja“, rief es zu mir herüber, „jetzt werde ich mein Leben meistern, denn jetzt weiß ich, wie ich meine Kräfte nutzen kann. Ich danke dir, Geist des Glaubens und Vertrauens, dass du mir in meiner schlimmsten Not geholfen hast und nicht von mir gewichen bist. Dir habe ich mein Leben zu verdanken und werde es niemals mehr vergessen!“ Und es hörte sich wie ein Versprechen an.

      Abends las mein Freund diese Geschichte und er hatte dabei Tränen in den Augen. „Das ist die Lösung all’ deiner Probleme“, sagte er schmunzelnd und ließ mich mit diesen Worten allein im Regen stehen. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir passiert war. Ich wusste nicht, woher diese Anwandlung, ein Märchen zu schreiben, plötzlich kam. Ich wusste nur, es war etwas überaus Wichtiges mit mir geschehen, und dass damit der Grundstein für ein neues Leben gelegt war. Aber erklären konnte ich es nicht.

      Richtig verstanden habe ich das Märchen erst viele Monate später, nachdem mir eine Frau, die ich – scheinbar zufällig - auf einem Vortrag kennenlernte, das Märchenschreiben beibrachte. Nachdem sie gehört hatte, was mit mir geschehen war, nahm sie sich die Zeit und half mir dabei, Märchen dann zu schreiben, wenn ich ein Problem hatte. Sie half mir, die Märchen zu strukturieren und anschließend zu analysieren.

      In der darauf folgenden Zeit versuchte ich, so, wie das Märchen mir gesagt hatte, mehr Glauben und mehr Vertrauen zu entwickeln. Keine leichte Aufgabe, wenn man davon überzeugt ist, vollkommen wertlos und minderwertig zu sein. Es war damals die Zeit in meinem Leben, in der große Veränderungen vor sich gingen. Ich hatte an mich geglaubt und fand einen neuen Arbeitsplatz in einer Firma, in der es freundlicher und kameradschaftlicher zuging, als in der vorigen.

      Es war nur ein kleiner Haken dabei: ich verdiente wesentlich weniger als vorher und hatte erhebliche Schwierigkeiten, mich daran zu gewöhnen. Ich musste, so meinte ich, einige Dinge, die ich gern hatte, aufgeben, damit ich sparen lernte. Aber das bedeutete für mich, Einschränkungen vorzunehmen, zu denen ich beim besten Willen nicht bereit war. Ich machte mir Sorgen. Meinen Lebensstil einschränken wollte ich nicht. Also blieb nur die andere Seite: ein Nebenjob. Aber war es das wert?

      Ein neuer Konflikt entstand für den mein ach so kluges Köpfen noch keine Lösung gefunden hatte. Mittlerweile konnte ich schon Märchen schreiben und ich dachte mir, wenn ich mich einige Zeit auf mein Problem konzentrieren würde, um dann das Märchen zu schreiben, wird es vielleicht eine Lösung für mich parat haben. So machte ich das dann auch und dabei entstand das Märchen „Die Zusammenkunft der großen Drei“, das sie später auch noch werden lesen können.

      Tagelang konnte ich mit diesem Märchen nichts anfangen. Überhaupt nichts. Was hatte die Geschichte mit meinem Geldproblem zu tun? Ich legte das Märchen weg und holte es erst viele Wochen später wieder hervor. Ich ging es systematisch durch. Gut, da war zunächst ein Paradiesapfel. Was war, wenn der nun einfach für die Nahrung stand, die ich ja notwendiger Weise zu Leben brauchte? Die war wichtig. Aber das wichtigste? Ich machte mir Gedanken und stellte fest, dass ich in der Vergangenheit ziemlich häufig essen gegangen war. Das war ja eine recht kostspielige Angelegenheit. Wie sagte doch der Apfel? „...denn durch mich werden die Menschen auch noch an das Gute und Schöne erinnert!“ Ja, und bequem ist es zudem.

      Lange Rede kurzer Sinn, ich beschloss kurzerhand, das Essen gehen einzuschränken. Und als ich das mit einer guten Freundin beredete, meinte diese dazu, dass es wohl sowieso ein wenig besser für mich wäre, wenn ich mich einmal auf meine hausfraulichen Qualitäten besinnen würde. Nun denn, ich legte mir endlich ein Kochbuch zu und im Laufe der Zeit hatte ich sogar Spaß an dieser mir sonst verhassten Aufgabe. Und mittags in der Firma gab es einen selbstgemachten Salat anstelle von Pommes aus der Würstchenbude. Das bekam nicht nur meinem Geldbeutel gut, sondern auch meiner damals etwas fülligen Figur.

      Punkt zwei des Märchens war eine Wolke. Wie sagte sie doch? „...was wäre die Menschheit ohne mich und das Wetter des Lebens?“ Wenn ich ehrlich war, so brauchte ich für meine Stimmungsschwankungen viele „Wetter des Lebens“. Disco, Kino, Spielhalle und am Wochenende kostspielige Fahrten nach Dänemark und sonst wohin, nur um etwas von der Welt zu sehen. Gut, das kostete eine ganze Menge Benzingeld, aber... O.k., dachte ich mir. Warum die Welt erkunden, wenn ich meine Heimatstadt


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