Wie konnte Gott Mensch werden?. Lukas Ohly

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Wie konnte Gott Mensch werden? - Lukas Ohly


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genus maiestaticum vertreten zu müssen.

      Zwei Folgeprobleme hätten allerdings die Lutheraner dann zu lösen. Zum einen wäre offen, wie das „Blut“ im Kelchwort zu verstehen ist. Hat Gott auch ein eigenes Blut? – Zum anderen droht das Abendmahlsverständnis wegzukippen, wonach Leib und Blut Christi „nicht allein geistlich“, sondern „mündlich“ (799) empfangen werde. Wie kann der Heilige Geist geschmeckt werden?

      Das erste Problem ließe sich relativ leicht lösen: Unter „Blut“ kann nämlich die menschliche Natur verstanden werden, wenn es heißt: „Das ist mein Blut des Bundes“ (Mt. 26,28; Mk.14,24) oder gar „der neue Bund in meinem Blut“ (Lk. 22,20; 1.Kor. 11,25). Das Blut der menschlichen Natur Christi ist dann nur im Gedächtnis an die Knechtsgestalt anwesend, die geschehen und nun abgelegt ist. Der neue Bund ist besiegelt worden durch das menschliche Blut Christi, das in Knechtsgestalt vergossen worden ist. Nicht das Blut muss dazu anwesend sein, sondern der Bund Gottes mit den Gläubigen ist gegenwärtig. Entsprechend könnte die Formel „mein Blut des Bundes“ die Präsenz des Bundes herausstellen und nicht die Präsenz des Blutes Christi. Das ist deswegen möglich, weil sich in dieser Formel auf „Blut“ zwei Genitive beziehen: „mein“ und „des Bundes“. Es muss sich also nicht um „mein Blut“ handeln, sondern um das „Blut des Bundes“, der von Gott („mein“) eingesetzt worden ist.

      Das zweite Problem, wie Leib und Blut Christi „mündlich“ empfangen werden, wenn der Leib der Geist ist und das Blut die abgelegte Knechtsgestalt, bedarf dagegen einer genaueren Prüfung. Denn die Lutheraner weisen ja die römisch-katholische Transsubstantiationslehre zurück, wonach sich Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi verwandeln. Schon Luther hat bekannt: „Ich glaube, daß Brot und Wein bleiben“ (H 226). Im Sakrament empfangen wir die Vergebung der Sünden „darum, daß die Wort da stehen“ (H 228). „Nicht am Brot und Wein, nicht am Leibe und Blut Christi, sondern am Wort“ (ebd.). Das Wort ist daher das Verbindungsstück, das die Identifikation zwischen Brot und Leib überhaupt erst erreicht.[43] Zwar weist Luther zurück, dass das Brot den Leib Christi nur „bedeute“ (ebd.). Und doch wird die Identifikation nur vermittelt durch das Wort. Wie in der katholischen Messe Brot und Leib Christi durch die Wandlung vermittelt wird, so wird sie im lutherischen Verständnis durch das Wort vermittelt. Das Wort ist das Vorzeichen, das überhaupt erst das Gleichheitszeichen wirkt. An dieser Stelle besteht ein Vorrang des Bedeutens vor dem Sein: Brot und Wein bedeuten das auf sinnliche Weise, was das Wort sagt. In diesem Bedeutungsrahmen aber sind Brot und Wein der Leib und das Blut Christi.

      Wenn nun Christi Leib „mündlich“ empfangen wird, so wird Gottes Leib „mündlich“ empfangen, aber nicht unvermittelt, sondern durch das Wort. Ebenso wird nicht Jesu Blut getrunken, sondern der Bund Gottes geschmeckt, dessen Bedeutung im Wort gegeben wird.

      Nach meinem Eindruck ist also die Realpräsenz Christi nicht auf das genus maiestaticum festgelegt. Es ist der Geist, der auch vom Sohn ausgeht und deshalb der Geist Christi ist, der im Abendmahl anwesend ist und in Brot und Wein geschmeckt wird. Anstelle der Übereignung der göttlichen Eigenschaften auf die menschliche Natur kann eine trinitätstheologische Antwort gegeben werden, wie der Leib Christi im Abendmahl präsent ist. Wird dagegen am genus maiestaticum festgehalten, so muss ein ontologisches Zwischenstück zwischen beiden Naturen gefunden werden, das beide vermittelt, ohne dass sie fusionieren. Dieses ontologische Zwischenstück habe ich in der Konkordienformel mit dem Begriff der Knechtsgestalt ausgemacht. Die Knechtsgestalt muss dabei keine eigene Natur oder Kategorie sein, wohl aber etwas ontologisch Eigenes. In meiner Weiterinterpretation ist sie ein geschichtlicher Effekt der Gemeinschaft beider Naturen. Weil die menschliche Natur nicht sterblich und unsterblich zugleich sein kann, ereignet sich unter geschichtlichen Bedingungen die Knechtsgestalt als die Darstellung dieses Widerspruchs. Gerade darin liegt die Knechtsgestalt, dass sich Christus unter irdischen Bedingungen nicht entfalten kann als der, der er ist. In seiner Erhöhung dagegen ist der Widerspruch aufgelöst, dass die erhöhte menschliche Natur unsterblich ist, obwohl sie gestorben ist. Die Eigenschaften der menschlichen Natur sind zwar vergangen, aber dennoch geschehen. Sie werden nicht dadurch rückgängig gemacht, dass die menschliche Natur nun vollständig von den übereigneten Eigenschaften der göttlichen Natur Gebrauch macht.

      Abschließend möchte ich den Erklärungswert einer Communicatio Idiomatum überhaupt untersuchen, also vor allem in den beiden Genera, die zwischen Lutheranern und Reformierten unumstritten sind. Das Chalcedonense hat die Aufgabe umrissen, wie die Einheit Christi in seinen zwei Naturen zu bestimmen ist, ohne diese Aufgabe selbst übernommen zu haben. Erfüllt die Lehre von der Communicatio Idiomatum die Anforderungen des Chalcedonense? Und ist sie ontologisch adäquat? Die Communicatio Idiomatum ist der Versuch, der Personalunion der zwei Naturen gerecht zu werden und beide Naturen dabei unvermischt und ungetrennt sein zu lassen. Das Anliegen von Chalcedon ist damit sichtbar aufgegriffen worden. Die beiden unumstrittenen Genera finden jeweils in der Person das Integral der beiden Naturen. Nur beim genus maiestaticum wird dieser Weg durchbrochen. Schon darum wirkt es wie ein Fremdkörper in die Lehre der Communicatio Idiomatum.

      Fraglich ist allerdings, ob die Communicatio Idiomatum mehr sein kann als eine bloße Zuschreibung von Eigenschaften im Sinne einer Sprachregelung. Oder verbindet sie auch einen ontologischen Anspruch? Beim genus maiestaticum haben wir gesehen, dass ontologische Interessen dabei leitend waren, es zu vertreten oder zurückzuweisen. Ist das auch bei den anderen Genera der Fall? Sowohl das genus idiomaticum als auch das genus apotelesmaticum schreiben den Naturen Eigenschaften zu, während sie zugleich zurückweisen, dass die Naturen diese Eigenschaften besitzen. Sie haben sie nur vermittelt über die Personeinheit. Die göttliche Natur kann nicht leiden, hat aber vermittelt über die Person Christi gelitten. Wird hier nicht ein Widerspruch vertreten, sobald ein ontologischer Anspruch vertreten wird? Als bloße Zuschreibung (1028) oder gar als hermeneutische Regel für das Verständnis biblischer Texte mag sich eine solche Paradoxie noch eignen.[44] Man müsste sich aber dann zugleich der Sache nach enthalten oder sogar inhaltliche Gehalte ontologisch zurückweisen, die hermeneutisch empfohlen werden.

      Immerhin beziehen sich hermeneutische Regeln insofern auf ontologische Sachverhalte, als sie festlegen, wie etwas nicht gemeint ist. Die Communicatio Idiomatum legt hermeneutisch den ontologischen Anspruch fest, dass die beiden Naturen in Christus zu keinem Zeitpunkt seit seiner Zeugung getrennt voneinander wirken. Das Wirken einer Natur mit ihren spezifischen Eigenschaften auf die Person Christi hat immer auch Folgen für die andere Natur, weil beide persönlich miteinander verbunden sind.

      Was die Communicatio Idiomatum aber offen lässt, ist die Frage, ob diese Folgen persönlicher oder natürlicher Art sind. Um diesen Unterschied zu verdeutlichen, soll das folgende Beispiel herangezogen werden: Ich kann meine Arme heben, aber nicht meine Leber. Beide haben also verschiedene Eigenschaften und sind insofern von unterschiedlicher Natur. Diese Körperteile sind aber persönlich miteinander verbunden, so dass das Wirken des einen Körperteils vermittelt über die Personeinheit auch Folgen für das andere Körperteil hat. Das Heben der Arme muss keine natürlichen Konsequenzen für die Leber haben. Wenn aber die Leber so schwer erkrankt ist, dass ich daran sterbe, dann können sich auch meine Arme nicht mehr heben. Das Wirken der Leber hat in diesem Fall also natürliche Konsequenzen für die Arme. – Umgekehrt können meine Armbewegungen aus persönlichen Gründen vollzogen werden: Ich melde mich etwa, um mich mitzuteilen, oder ich hantiere mit den Armen, um eine Handlung auszuführen, die nur für meine Person Sinn macht, nicht aber für meine Arme. In diesem Fall hat die Armbewegung persönliche Folgen für meine Leber: Meine Armbewegung verändert etwa meinen persönlichen oder sozialen Status: Ich werde drangenommen, wenn ich mich melde, oder aufgrund meiner Armbewegung erfahre ich Anerkennung. Die Leber hat die Handlung zwar nicht ausgeführt, aber die persönliche Äußerung und die Konsequenzen, die sie nach sich zieht, beziehen meine Gesamtintegration ein, zu der auch meine Leber gehört. Diese persönliche Gesamtintegration wird aber vermittelt über Ziele und Mittel, die über beide Körperteile hinausgehen und von ihnen nicht einmal erfasst werden. –

      Entsprechend könnte die göttliche oder die menschliche Natur durch das Wirken der jeweils anderen entweder natürlich oder auch persönlich getroffen werden. Eine natürliche Konsequenz für die andere Natur liegt dann vor, wenn die Existenz der Person durch das Wirken einer Natur stabilisiert oder gefährdet wird. Bei Jesus hätte dies


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