Im Reich des silbernen Löwen III. Karl May

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Im Reich des silbernen Löwen III - Karl May


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fragte ich mit gedämpfter Stimme.

      »Du brauchst nicht zu flüstern, sondern kannst so laut sprechen, wie es dir beliebt, Sihdi.«

      »Wo ist er jetzt?«

      »Er ruht in den Armen des heißen Zuckerwassers und hat den hineingegossenen Raki als Kissen unter den Kopf genommen.«

      »Und sein Gehilfe, der Somali?«

      »Bei dem ist's umgekehrt: Er liegt im Raki und hat das Zuckerwasser als Ruhekissen. Ihre Seelen lustwandeln in dem Lande der Träume, und aus ihren Kehlen erschallt die Musik aller Himmel Muhammeds. Horch!«

      Als wir still waren, hörten wir ein kräftiges, sägeartiges Schnarchen.

      »Das ist der Somali,« erklärte Halef. »Er liegt mit dem Kopfe in der Holzkohlenasche und schneidet mit dem Minschar seines Gaumens Baumstämme auseinander.«

      »Und der Kahwedschi?«

      »Der ruht am Ufer des Flusses und war um keinen Preis dazu zu bewegen, herunter in das Wasser zu steigen; dann schlief er ein.«

      »Am Flusse? Er hat das Haus verlassen?«

      »Nein. Er stieg mit mir, um mir dort etwas zu geben, die unter das Dach führende Leiter hinan. Bei der Rückkehr sank er in Frieden neben der Leiter hin und sagte, wenn ich ertrinken wolle, möge ich allein hinunterspringen, er aber werde vorsichtig auf dem Trockenen bleiben. Wenn du ihn sehen willst, will ich dir ihn zeigen.«

      »Was hat er dir gegeben?«

      »Einen Brief.«

      »An wen?«

      »Das weiß ich nicht.«

      »Wer hat ihn geschrieben?«

      »Auch das ist mir unbekannt.«

      »Ist er nicht mit einer Adresse versehen?«

      »Es stehen die Zeichen des Ringes darauf. Hier ist er.«

      Er zog ein viereckig zusammengefaltetes und mehrfach versiegeltes Papier aus der Tasche und gab es mir. Man hatte sich eines gewöhnlichen Geldstückes als Petschaft bedient. Auf der Adreßseite sah ich ein mit Tinte geschriebenes Sa, welches mit einem Lam verbunden war; darüber stand das Verdoppelungszeichen.

      »Er muß dir aber doch gesagt haben, für wen dieser Brief bestimmt ist,« sagte ich.

      »Das hat er auch gethan.«

      »Nun?«

      »Der Mann, der ihn bekommen soll, heißt Ghulam.«

      »Was ist er?«

      »Das weiß ich nicht.«

      »Wo wohnt er?«

      »Auch das weiß ich nicht.«

      »Höre, lieber Halef, du scheinst in dieser Angelegenheit nichts weniger als allwissend zu sein!«

      »Dafür kann ich nicht, Sihdi, sondern das heiße Zuckerwasser mit Raki ist schuld. Der Kahwedschi wollte mir so sehr viel sagen, konnte sich aber auf nichts besinnen, weil sein ganzes Gedächtnis in dieser süßen Flüssigkeit ertrunken war und alle meine Wiederbelebungsversuche nichts mehr fruchteten.«

      »So hast du dich ganz vergeblich bemüht; dieser Brief, der uns vielleicht von großem Vorteile sein könnte, wird uns keinen Nutzen bringen. Oder hast du es daran mangeln lassen, den Kahwedschi in der richtigen Weise auszufragen?«

      »Nein, gewiß nicht, ganz gewiß nicht, Sihdi. Du kennst mich da nur zu wohl und weißt, daß ich den Mund auf der Stelle habe, wo er sitzen muß, wenn man jemandem ein Geheimnis abzulocken hat; aber die Geheimnisse dieses Mannes waren infolge seiner Betrunkenheit so außerordentlich geheim, daß er sie selbst nicht mehr kannte. Da war alle meine Mhe umsonst. Wenigstens glaube ich nicht, daß du, wenn du an meiner Stelle gewesen wärest, mehr als ich erfahren hättest.«

      »Möglich! Erzähle mir richtig der Reihe nach, was du mit ihm gesprochen hast! Wir sind in Bagdad übereingekommen, daß du einen Ring der Sillan stets bei dir haben sollst. Ich brauchte dir ihn heut' also nicht erst zu geben. Als du hier von uns fortgingst, saß der Kahwedschi da draußen im Vorraume auf seinem Kissen. Der Somali war bei ihm, schnarchte aber schon. Wir haben uns hier absichtlich laut und angelegentlich unterhalten, als ob wir gar keine Zeit hätten, zu bemerken, daß du so lange Zeit nicht bei uns warst. Nun weiter!«

      »Weiter Sihdi? Ich habe ja noch gar nicht angefangen! Ich steckte den Ring an den Finger und schlenderte hinaus zu dem Kahwedschi hin. Ich war ihm sehr willkommen, und er fing sofort selbst mit mir an, denn er war sehr neugierig, zu erfahren, wer Ihr seid.«

      »Jedenfalls hast du da den Mund sehr voll genommen!«

      »Warum soll ich das nicht? Wenn ich einmal etwas in den Mund nehme, so muß es etwas Ordentliches sein, damit ich auch wirklich einen Genuß davon habe. Ich gab dich für den Minister des Sultans von Sitschilia und Mr. Lindsay für den obersten Sterndeuter des Kaisers von Antakijeh aus. Von mir selbst sagte ich, daß ich ein Montefik-Beduine bin und von Euch gemietet sei, Euch nach Buschehr und Schiras zu begleiten. Sobald mir dies über die Lippen gegangen war, glaubte ich, einen Fehler gemacht zu haben, denn der Kahwedschi brauchte doch nicht zu wissen, wohin wir wollen. Aber es waren mir nicht gleich andere Namen in den Mund und andere Gegenden in den Kopf gekommen, und es stellte sich nachher heraus, daß grad diese beiden Städte mir sein Herz geöffnet hatten. Er lud mich ein, mich zu ihm zu setzen, und als ich das gethan hatte, sprachen wir zunächst von den unendlichen Vorzügen des heißen Zuckerwassers, welches die eigentliche und richtige Weihe seines Vorhandenseins erst durch einen Zuguß von Araki bekommt. Dabei hielt und bewegte ich die Hand in der Weise, daß er den Ring sehen mußte. Es dauerte das zwar ziemlich lange, denn der Araki hatte die Zahl seiner Augen so vermehrt, daß er, wie er mir gestand, mich fünfzigmal sah und meine Hände sogar über zweihundertmal erblickte. Er schien also zweitausend Finger vor sich zu haben, was ihn so in Anspruch nahm, daß er für den Ring zunächst keine Spur von Aufmerksamkeit besitzen konnte. Aber als er ihn erst einmal entdeckt hatte, war der Eindruck, den er von ihm bekam, auch um so größer. Er bat mich, ihn betrachten zu dürfen. Natürlich erlaubte ich es ihm. Er gab mir die Hand und begrüßte mich als Sill, als »Schatten«, als Verbündeten, als heimlichen Kameraden. Er hielt mir eine große Rede, die aber so wenig Sinn hatte, daß sie nicht einmal als Unsinn bezeichnet werden kann. Ich konnte von hundert Worten, welche er sprach, kaum zehn verstehen, denn sein Mund glich einer mit Riri gefüllten Tandschara, in welcher sich die Zunge wie ein Quirl bewegte. Er erkundigte sich immer wieder, ob ich wirklich nach Buschehr und Schiras gehen werde, und als ich dies oft genug bejaht hatte, fragte er mich, ob ich da wohl der Sill sei, der den Brief abholen solle, welcher an Ghulam abzugeben sei. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich vorgab, dieser Mann zu sein und die beiden Fremden, den Minister und den Sterndeuter, nur aus dem Grunde in dieses Kaffeehaus geführt zu haben, um die Gelegenheit zu finden, den Brief in Empfang zu nehmen.«

      »Das war richtig, lieber Halef. Aber hast du denn nicht herausbringen können, wer und was dieser Ghulam ist?«

      »Nein. Ich sage dir, ich habe meinen ganzen Scharfsinn zusammengenommen; aber erstens war der Kahwedschi so betrunken, daß er alles vergessen hatte und sich auf nichts besinnen konnte, und zweitens mußte er doch annehmen, daß ich diesen Ghulam wenigstens ebenso gut kenne wie er. Eine unvorsichtige Frage hätte mich verraten; sie wäre das Eingeständnis gewesen, daß ich der Sill nicht sei, für den ich gelten wollte. Du siehst ein, daß ich mich sehr in acht zu nehmen hatte und keine Erkundigung, die ihm auffallen mußte, aussprechen durfte. Ich setzte zwar die Worte so, daß sie ihn eigentlich hätten zwingen müssen, sich über Ghulam auszusprechen, aber der Raki hatte ihm nur den hundersten Teil seines an und für sich schon armselig kleinen Verstandes übrig gelassen, und so redete er alles herüber und hinüber, herunter und hinauf, und brachte aber grad das nicht, was ich haben wollte.«

      »Das ist fatal!«

      »Vielleicht erfahren wir es unterwegs!«

      »Schwerlich. Die Mißlichkeit liegt in dem Umstande, daß Ghulam zwar ein Name ist, aber auch einen Stand bedeutet. Ghulam kann jeder Mensch heißen; dieses Wort kommt


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