Leben mit narzisstischen Eltern. Andrea Pirringer

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Leben mit narzisstischen Eltern - Andrea Pirringer


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Heute werden Emotionen als ganz normaler Bestandteil des Lebens betrachtet. Ob Lachen oder Weinen, Schmerz oder Trauer: Alles kann und darf ausgelebt werden.

      Liebe Leserinnen und Leser, dieses Buch soll dazu dienen, die einzelnen Facetten dieser Problematik klar darzustellen und gangbare Lösungswege aufzuzeigen.

      Die Autorin

      Rosenheim, am 14. Februar 2015 – Valentinstag

      Narzissmus

       Der Narzissmus in der Gesellschaft

       Was ist Narzissmus? Narzissmus ist der Versuch, erlittene Kränkungen, Enttäuschungen und Entbehrungen auszugleichen, um sie besser ertragen zu können. – Dahinter steckt also in Wahrheit die Unfähigkeit, die Probleme zu benennen, sich ihnen zu stellen und sie zu bewältigen.

      Der Narzissmus ist in der Gesellschaft weiter verbreitet, als man glaubt. Narzissten finden sich in allen gesellschaftlichen Schichten. Sie können Familienväter (oder –mütter), Arbeiter, Angestellte, Unternehmer, Politiker oder Manager sein.

      Insbesondere in Deutschland und Österreich könnte man in diesem Zusammenhang – und vor dem Hintergrund des traumatisierenden Weltkriegs-Geschehens - von einer „gekränkten Gesellschaft“ sprechen.

       Häuslicher (familiärer) Narzissmus

      Narzissten treten oft in „Paaren“ oder in „Rudeln“ auf: auf wundersamen Wegen „finden“ sich Menschen, die eine ähnliche Vorgeschichte, ähnliche Lebenserfahrungen aufweisen.

      So werden aus Schicksalsgenossen Lebens- bzw. Ehepartner. Gemeinsam meint man, die Probleme leichter bewältigen zu können. Leider ist es jedoch häufig so, dass sich die psychischen Belastungen noch weiter verstärken. - Ein Blinder kann keinen Blinden führen. Sie werden beide in die Grube fallen.

      Sogar ganze Familienverbände können vom Narzissmus betroffen sein. Aus gemeinsamen Erfahrungen entwickeln sich gemeinsame Verhaltensmuster und Bewältigungs- (meist jedoch Verdrängungs-)Strategien. Es häufen sich bestimmte psychische und psychosomatische Erkrankungen, aber auch Erkrankungen, die auf den ersten Blick nicht damit in Verbindung gebracht werden.

      Die moderne Gesellschaft wird zunehmend narzisstischer, daher wird der Narzissmus – bis zu einer gewissen Ausprägung – als normal, ja sogar als hilfreich betrachtet (insbesondere, wenn es um die persönliche Weiterentwicklung und die Karriere geht).

      Über den problematischen häuslichen Narzissmus, mit dem sich dieses Buch befasst, wird dagegen wenig bis gar nicht gesprochen. Er wird weitgehend tabuisiert. Es ist die unschöne Seite, die sich im Privaten, in den Familien abspielt.

      Man kann davon ausgehen, dass es tausende Fälle, tausende Betroffene, und somit auch viel unausgesprochenes Leid gibt. Nur selten kommen diese ans Licht, und nur wenige werden einer breiteren Öffentlichkeit – wie z. B. der Fall Fritzl in der jüngeren Vergangenheit – bekannt.

       Narzissmus als Überlebens-Notwendigkeit

      Neben dem krankhaften Narzissmus gibt es auch einen natürlichen, gesunden Narzissmus. Das narzisstische Verhalten des Kleinkindes ist ein Aspekt des Überlebens-Triebes. Das Kind kämpft um Aufmerksamkeit, fordert Liebe und Zuwendung von den Eltern. Diese Form des Narzissmus ist nicht egoistisch oder „böse“, sondern ganz normal.

      Leider sehen viele NE dies nicht so. Sie deuten es als Bösartigkeit, Hinterhältigkeit, Verschlagenheit, Unaufrichtigkeit des Kindes. Sie fühlen sich angegriffen und reagieren entsprechend negativ und ablehnend. (→ Weitere Gedanken dazu im Kapitel: „Das „böse“ Kind“)

      Die Unfähigkeit zu lieben

      Liebe zu empfangen und Liebe zu geben: beides ist nicht selbstverständlich und muss erlernt werden. Viele NE handeln nach dem Motto: „Liebe mich, dann schlag‘ ich dich.“

       Gerade im Bereich der Zuneigung zeigt sich das ambivalente Verhalten der Eltern und entfaltet sich dessen zerstörerische Kraft.

      NE kennen die „wunden Punkte“ ihrer Kinder und „stechen“ bevorzugt dort zu, wo es am meisten weh tut. Kränkungen, Beleidigungen, Demütigungen, Unterstellungen und Vorwürfe werden gezielt dort platziert, wo die Eltern sicher sein können, dass sie wie eine Waffe wirken. Dieses Verhalten kann sadistische Züge annehmen.

      Als natürliche Reaktion darauf ziehen sich die Kinder zurück und bemühen sich, keinerlei Angriffsfläche zu bieten, um sich selbst zu schützen. Fälschlicherweise werden diese Kinder von Lehrern und Erziehern als „introvertiert“ oder „schüchtern“ eingestuft. Tatsächlich aber sind sie eingeschüchtert, weil sie Angst haben und massiv verletzt wurden!

      Das bloßgestellte, gequälte und entwürdigte Kind versucht, die Angriffe der Eltern abzuwehren. Es bemüht sich ständig, die erlittenen Kränkungen und den damit einher gehenden Liebesmangel anderweitig auszugleichen. – Dies ist auf die Dauer (dieser Prozess erstreckt sich z. T. über Jahrzehnte!) äußerst anstrengend und hinterlässt körperliche und seelische Spuren, welche sich häufig als Erkrankungen äußern.

      Das kleinere Kind fängt wieder an, am Daumen zu nuckeln, einzunässen, an den Nägeln zu kauen. Es bekommt Schlafstörungen und Alpträume. Es klammert sich an Kuscheltiere und sucht sich Bezugspersonen außerhalb der Kernfamilie (z. B. Oma, Opa, Tante, Kindergärtnerin etc.).

      Später können sich daraus psychische Störungen wie z. B. Kaufsucht oder Messie-Verhalten entwickeln. Das übersteigerte Bedürfnis, die seelische Leere mit materiellen Dingen auszugleichen, führt zu Verschuldung, Bindungs-Störungen, Beziehungs-Unfähigkeit, Vereinsamung, Depressionen oder gar zum Selbstmord.

      Die emotionale Sprachlosigkeit der Eltern wird von den Kindern als „emotionale Kälte“ empfunden. Da sich die Eltern schwer tun, über ihre eigenen Gefühle – und auch über ihre Gefühle, die sie zu den Kindern haben – zu sprechen, bleibt stets viel Unausgesprochenes im Raum.

      Dies erzeugt einerseits eine bedrückte Stimmung und andererseits beim Kind das Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Es denkt - und weiß inzwischen aus Erfahrung – dass Gespräche mit den Eltern in vielen Bereichen nur sehr begrenzt und über manche Themen so gut wie gar nicht möglich sind.

      Zur Unfähigkeit zu lieben zählt auch die Unfähigkeit, dem Kind etwas Gutes zu gönnen. Nicht selten empfinden NE Neid und Eifersucht gegenüber ihren Kindern. Psychisch gesunden Eltern ist es ein Bedürfnis, dass es dem Nachwuchs einmal besser gehen soll. NE hingegen empfinden Befriedigung darin, das Kind leiden zu sehen.

      Zerstörung des Urvertrauens

      Zu den schwerwiegendsten Folgen des familiären Narzissmus zählt die Zerstörung des Urvertrauens. Das Kleinkind empfindet ein natürliches Vertrauen zu den Eltern. Für die NE ist dieses Vertrauen (welches man als eine Form kindlicher Liebe betrachten kann) ein großes Problem. Die Hilflosigkeit des Säuglings spiegelt den Eltern die eigene Halt- und Hilflosigkeit wider.

      Das gesamte Verhalten des Kindes zielt darauf ab, bei den Eltern positive Emotionen auszulösen. Es fordert Zuwendung und Aufmerksamkeit. – Oft haben NE dies selbst in ihrer Kindheit nicht von ihren eigenen Eltern bekommen. NE reagieren daher entweder mit Liebesverweigerung oder mit Liebes-Unfähigkeit. Dabei sind die Grenzen fließend. Ob sie nun nicht lieben wollen oder gerne Liebe geben würden und es einfach nicht können, ist für das Kleinkind nicht erkennbar und auch nicht relevant.


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