Moderne Alchemie und der Stein der Weisen. Wilfried B. Holzapfel

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Moderne Alchemie und der Stein der Weisen - Wilfried B. Holzapfel


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die Kugeln herum jeweils symmetrisch auf alle Nachbarkugeln aufteilt, dann entsteht ein regelmäßiger Körper mit 12 gleichen Flächen, die jeweils zu den nächsten Nachbaratomen hinweisen.

      Was da entsteht, nennt man Rhombendodekaeder, weil dieser Körper 12 gleiche, rhombischen Außenflächen besitzt. Das ist zwar keiner der schönen Körper des Platon, aber mit vielen solchen Körpern als "Atomen" könnte man wie mit Lego-Steinen ein Kristallgitter aufbauen, das dann die gleichen Symmetrie-Eigenschaften hätte wie diese dichte Kugelpackung. Weißt du, ideal gewachsene Kristalle sind immer aus solchen kleinsten Einheiten ganz regelmäßig aufgebaut. Bei vielen Elementen enthalten diese Einheiten dann genau ein Atom in der Mitte, und wenn diese Einheiten dabei ohne Drehung nur gegeneinander verschoben sind, dann nennen die Kristallographen ein solches Gitter "primitiv". Die vielen verschiedenen Gittertypen, die bei den chemischen Elementen auftauchen, zunächst bei normalem Druck und später auch noch unter hohem Druck, führen ja gerade zu der bunten Welt der Elemente, die im Bild 2 schon mal vorgestellt wurde. Später werden wir uns dieses Bild noch in allen Einzelheiten ansehen!

      Pass auf, die nächste Abbildung 10 zeigt dir noch ein Beispiel!

Textfeld: Abbildung 10: Atome als Kugeln mit vier Bindungen im Diamantgitter und ein Tetraederstumpf (Wikipedia: Platonische Körper) als Baustein für lückenlosen Aufbau dieser Struktur.

      Im diesem Kristallgitter von Diamanten hat jedes Atom starke Bindungen zu 4 gleichwertigen, nächsten Nachbarn. Schneidet man hier genauso wie schon oben die kleinsten Kristallbausteine heraus, die wieder den ganzen Raum mit allen Zwischenräumen ausfüllen, dann haben diese "Atome" die Form von einem Tetraederstumpf. Die 4 großen Sechseck-Fläche liegen genau in den Mitten der Verbindungslinien zu den 4 nächsten Nachbaratomen und die 6 kleinen Dreiecksflächen an diesem Tetraederstumpf zeigen, dass jedes Atom neben den 4 nächsten Nachbarn genau von 6 zweitnächsten Nachbarn in diesen Richtungen umgeben ist.

      Helen: Diese Bilder erinnern jetzt aber recht genau an die Vorstellungen der alten Griechen. Da hat sich doch gar nicht soviel geändert. Die Griechen dachten vielleicht an Körper mit festen Oberflächen, und jetzt sind diese Oberflächen bei den neuen Konstruktionen nur gedachte Flächen und im Zentrum dieser Körper befindet sich jeweils ein Atomkern. Aber diese Vorstellungen sind doch sehr ähnlich!

      Marie: Ja und in modernen Büchern der Physiker oder bei Kristallographen kannst du noch viele solche Figuren heute wieder finden. Dort spricht man dann von der Wigner-Seitz-Zelle, weil die zwei Physiker E. P. Wigner und F. Seitz genau solche Formen für viele einfache Kristalle konstruiert haben, um damit die Eigenschaften der Kristalle besser zu beschreiben.

      Es gibt aber noch einige andere Gedanken der alten Griechen und alten Alchemisten, die wir in anderer Form heute noch in den Vorstellungen der modernen Naturwissenschaftler wieder finden.

      Das Sein und das Werden, das Ewige und das Vergängliche, die Ruhe und die Bewegung waren Begriffe, die für das Weltbild damals ganz wesentlich waren. Befruchtung, Geburt, Wachstum, Reifung, Vereinigung, Tod mit Transzendenz der Seele und Verwesung des Körper wurden als Begriffe auch in die Alchemie übernommen, um chemische Prozesse zu beschreiben. Unser Begriff Essenz zum Beispiel stammt aus dieser Zeit und ist von dem lateinischen Wort "esse" für unser Wort "sein" abgeleitet. Essenz ist das unveränderliche Wesen einer Sache. Bei allen Lebenszyklen muss es auch eine Essenz, etwas Ewig-Bleibendes geben. Zu diesem Bild gehörten auch die vier Elemente der Griechen, die vier Essentia der Alchemisten: Erde, Wasser, Luft und Feuer.

Textfeld: Abbildung 11: Die 4 Elemente der Griechen (Wikipedia: Vier-Elemente-Lehre)

      Latein war ja die Sprache der Gelehrten im Mittelalter und der lateinische Begriff Essentia für diese vier Elemente erinnert noch daran, dass diese Elemente anders als unsere heutigen chemischen Elemente nicht einzelne Stoffe, wie Kupfer, Silber, Gold, Quecksilber oder Schwefel bezeichneten, sondern Formen des Seins im Wandel der Natur.

      Im Mittelalter wurde viel mystisches Zeug an diese Vier-Elemente-Lehre angehängt. Neben den regelmäßigen Körpern des Platon und der Lehre des Aristoteles, der meinte, die vier Elemente würden verschiedene Mischungen der vier Eigenschaften heiß, trocken, feucht und kalt darstellen, tauchten dann auch bei Paracelsus Naturgeister wie Salamander, Sylphen, Undinen und Gnome auf. Oft wurde auch ein Zusammenhang zwischen den vier Elementen und den vier Erzengeln Uriel, Raphael, Gabriel und Michael hergestellt. Sogar die verschiedenen menschlichen Temperamente oder Typen wie cholerisch, sanguinisch, phlegmatisch und melancholisch wurden den vier Elementen zugeordnet.

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      Marie: Nach dieser Aufzählung all der Eigenschaften, die mit den vier Elementen im Mittelalter verbunden wurden, möchte ich dir jetzt doch zeigen, wie unser Alchemist das heute sieht. Dazu hat er in dem bunten Bild 13 für die vier Elemente zunächst mal vier bunte Symbole eingezeichnet. Am Rand hat er auch noch die von Aristoteles hinzugefügten Eigenschaften kalt-heiß sowie feucht-trocken eingetragen. Der Pfeil links zwischen kalt und heiß zeigt an, wie die Temperatur zunimmt. Zwischen feucht und trocken ist auch ein Pfeil eingefügt, der zum heutigen Weltbild besser passt, wenn man hier statt feucht und trocken einen Maßstab für die dichte des Stoffes oder noch besser für den äußeren Druck einführt. Der Temperaturachse gibt man dann natürlich auch noch einen passenden Maßstab. Du siehst schon, wenn man von Bildern der alten Alchemisten zu modernen Vorstellungen übergehen will, werden physikalische Größen, die man messen kann, sehr wichtig.

      Das waren neue Gesichtspunkte, die in der Zeit von Galileo Galilei um 1600 in die Naturwissenschaften eingeführt wurden. Sinngemäß soll er gesagt haben, dass man alles messen soll, was man messen kann, und alles, was man nicht messen kann, soll man messbar machen. Das war ein völlig neues Weltbild, eine Zeitenwende in der Naturbetrachtung!

Textfeld: Abbildung 13: Die 4 Elemente anders dargestellt

      Was diese Zeitenwende für das bunte Bild 13 bedeutet, werde ich dir gleich zeigen, aber vorher möchte ich dir noch die alte Frage stellen, ob man die Natur mit diesen vier Elementen, mit diesen vier Essenzen, vollständig erklären kann, oder ob nicht vielleicht doch noch eine fünfte Essenz, eine Quintessenz, zur vollständigen Beschreibung der Materie fehlt?

      Aristoteles sprach da von einem Äther, der die ganz Welt erfüllt. Andere Alchemisten glaubten wohl eher an einen Urstoff, den sie in ihrem Latein auch materia prima oder prima materia nannten. Sicher war dabei wohl immer umstritten, ob die prima materia eher der Urstoff für alle vier Elemente oder doch vielleicht eher so etwas wie eine fehlende Quintessenz sein sollte, eine himmlische, unwandelbare Substanz. Es gab also immer wieder die Fragen:

      Was ist denn diese Quintessenz?

      Marie: Wie mir unser Alchemist mal seine moderneren Bilder über die vier Elemente zeigte, hat er mir genau diese Frage gestellt! Es war die Frage nach dem, was neben den vier Elementen fehlen könnte, um die Natur vollständig zu beschreiben. Ist diese Quintessenz so etwas wie ein Äther, der der unbelebten Natur eingehaucht werden müsste, um Leben zu erzeugen? So etwas wie die Liebe, die als fünftes Element noch fehlte?

      Du siehst, dass diese Frage nur der Anfang von einem langen Gespräch sein


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