Moderne Alchemie und der Stein der Weisen. Wilfried B. Holzapfel

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Moderne Alchemie und der Stein der Weisen - Wilfried B. Holzapfel


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Was ist die Quintessenz dann heute?

      Der Alchemist: Das war mir schon klar, dass diese Frage kommen muss, denn selbst in einer modernen Alchemie ist es nicht einfach, darauf eine gute Antwort zu geben. In den alten Bücher über Alchemie findest du auf solche Fragen keine klaren Antworten. Diese Bücher sind ja meist nur Bücher über die Alchemisten und nicht von Alchemisten selbst geschrieben. So wie heute über einen Harry Potter geschrieben wird, konnte man auch zu jener Zeit mit Bücherschreiben wohl eher Geld verdienen, wenn man phantastische Geschichten über Alchemisten erfand statt über ihre Arbeiten und Denkweisen zu berichten. Selbst wenn die Namen der Alchemisten nicht frei erfunden waren, wurden neben Tatsachen immer viele Legenden mit eingefügt. Schon damals verkauften sich Legenden besser als reine Sachbücher!

      So gibt es viele Schriften über die großen arabischen Wissenschaftler Gabir und Avicenna, die wohl überwiegend mystische Legenden wiedergeben. Wer konnte damals wohl naturwissenschaftlich-philosophische Schriften aus dem Arabischen so übersetzen, dass auf dem langen Weg in unsere Welt der Inhalt noch verständlich blieb? Überall wurden Legenden den einzelnen Alchemisten angedichtet, so dass fast nur noch Märchen übrig blieben. Was wurde aus dem Dr. Faust bei Goethe? Wie diese frühen Naturforscher und Philosophen die Grundlage für unsere heutigen Naturwissenschaften schufen, will ich dir gleich erklären.

      Hier will ich aber erst noch mal daran erinnern, dass der Begriff Alchemist im frühen Mittelalter entstand, als Christen in der Zeit der Kreuzzüge der islamisch-arabischen Welt begegneten. Zu dieser Zeit pflegten im Abendland die Klöster die Wissenschaft und unabhängige Forschung war kaum denkbar. Die Kirche besaß die alleinige Wahrheit und bestimmte das Weltbild. Unabhängige Denker, die womöglich auch noch verbotene Schriften der satanischen Araber lasen, konnten als Ketzer verurteilt werden. Was blieb diesen Alchemisten anderes übrig, als ihre Arbeit in mehr oder minder geheimen Zirkeln zu diskutieren und in ihre Schriften christliche Symbole mit einzuarbeiten. Gott, der alleinige Schöpfer, musste auch dem Stein der Weisen seine Kraft verliehen haben, andernfalls wären der Stein der Weisen und alle Alchemie ja Teufelswerk. Wer mit medizinischen Kenntnissen aus dem Morgenland heilen wollte, hatte doch sicher einen Pakt mit dem Teufel abgeschlossen! Das Bild der Alchemisten dieser Zeit war sicher stark von der Kirche und von der wenig gebildeten, christlich-fundamentalistischen Bevölkerung geprägt. Erst in der Zeit der Renaissance und der Aufklärung wurde unabhängige Forschung langsam möglich. Galilei wurde für die Verbreitung seiner Überzeugung noch verurteilt! Wenn man spitzfindig ist, wurde er verurteilt, weil er behauptete, die "Wahrheit" zu kennen! Die "Wahrheit" ist aber eine Glaubenssache, für die die Kirche ein Monopol besitzt. Wissenschaftler sind heute bescheidener und sprechen nur noch von "Erkenntnissen", die sich im Laufe der Zeit ändern können, und die Erkenntnisse der Astronomen jener Zeit werden von der katholischen Kirche auch nicht mehr so bekämpft. Die düstere Darstellung und Verleumdung der Alchemisten wurde aber bis auf den heutigen Tag kaum revidiert!

      Und wie sieht es heute mit der Lehre von Charles Darwin über die Entwicklung der Arten aus?

      In wissenschaftlichen Kreisen ist diese Lehre durch eine riesige Zahl einzelner Erkenntnisse umfassend bestätigt, aber dennoch gibt es nicht nur in den USA weit verbreitete, fundamentalistische Sekten, die göttliche Einzelschöpfung verschiedener Lebewesen und der Menschen allein mit Zitaten aus der Bibel begründen und alle wissenschaftlichen Erkenntnisse verwerfen. Dieser Kreationismus ist heute wohl noch ein gutes Beispiel für die eigenartige Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch Fundamentalisten.

      In diesem Sinne waren die Alchemisten nur Wissenschaftler ihrer Zeit, die durch ihr unabhängiges Denken und Forschen mit einem Blick über die engen Grenzen des Abendlandes hinaus in Schwierigkeiten mit der Gewalt der Kirche und der indoktrinierten Bevölkerung gerieten. Es ist also gar nicht verwunderlich, dass dieses Brandmarken der Alchemisten erst im Laufe der Aufklärung verloren ging. Dann sprach man auch nicht mehr von Alchemisten sondern von Humanisten, Universalgelehrten oder Naturforschern. Eine wirkliche Rehabilitierung der Alchemisten steht aber noch aus!

      Marie: Wolltest du mir nicht die Quintessenz erklären?

      Der Alchemist: Ja, ich weiß schon, dass ich manchmal zu weit aushole, aber ohne einen kleinen Einblick in die Welt der Alchemisten, kann man doch kaum verstehen, was heute "Quintessenz" bedeuten soll. Wenn ihr darauf wirklich eine vernünftige Antwort wollt, muss ich eben doch noch etwas weiter ausholen.

      Moderne Alchemie

      Der Alchemist: Schaut euch dazu zunächst mal hier in dem schematischen Bild 14 das Phasendiagramm eines einfachen Stoffes an, mit dem ich euch zeigen kann, dass in der modernen Chemie und Physik noch viele Bilder der Alchemisten auftauchen.

Textfeld: Abbildung 14: Phasendiagramm eines einfachen Stoffes

      Die vier Elemente der Alchemisten, die vier Essentia, sind hier mit den modernen Namen für die vier möglichen Zustände oder Phasen eines einfachen Stoffes beschriftet. Statt Erde steht hier "fest", statt Wasser gibt es hier den Bereich für "flüssig", statt Luft steht hier "gasförmig" und in dem Bereich des Feuers steht hier "Plasma". Dabei sind hier die Atome, Ionen und freien Elektronen schematisch als rote Kugeln, violette Sterne und eckige Ringe dargestellt, um anzudeuten, was in einem mikroskopischen Bild die wesentlichen Unterschiede zwischen diesen Bereichen sind. Flüssig, fest und gasförmig kennt ihr als die verschiedenen Erscheinungsformen von reinen Stoffen. Den Plasmazustand der Luft habt ihr in Blitzen schon gesehen! In Blitzen ist die Luft so stark erhitzt, dass viele Moleküle oder Atome so heftig aneinander stoßen, dass einzelne Elektronen aus der Hülle dieser Atome heraus geschlagen werden. Dann können sich diese Elektronen frei bewegen oder an andere Atome anlagern, so dass neben den freien Elektronen auch positiv und negativ geladene Ionen entstehen, die dann den elektrischen Strom im Blitz zwischen den Wolken und der Erde transportieren. Auch in unseren Energiesparlampen wird in ähnlicher Weise aus Quecksilberdampf ein Plasma gebildet, das dort den Strom leitet und dann durch Stöße der Ionen und Elektronen mit der besonders beschichteten Glaswand zu dem bekannten, energiesparenden Leuchten führt. Auch die heiße, leuchtende Sonnenoberfläche befindet sich in einem solchen Plasmazustand. Ihr seht, der Plasmazustand der Materie kann nicht nur im Feuer, sondern auch noch an vielen anderen Stellen beobachtet werden. Er ist wohl sogar der überwiegende Zustand der Materie im Weltall und gehört damit wie die drei anderen bekannteren Zustände zu jedem vollständigen Zustandsdiagramm eines beliebigen Stoffes. Bei Molekülen sind solche Phasendiagramme manchmal nicht ganz so einfach, weil in der flüssigen und gasförmigen Phase bei hohen Temperaturen die Moleküle chemisch reagieren und zerfallen können.

      (Interessante Wikipedia-Stichworte sind in diesem Zusammenhang Plasma (Physik) und Plasmasphäre.)

      Am linken Rand der Abbildung 14 seht ihr wie im Bild 13 einen Pfeil für zunehmende Temperatur und am unteren Rand wieder einen Pfeil für zunehmenden Druck. Wenn man vom Bild der alten Alchemisten zur neuen naturwissenschaftlichen Beschreibung übergeht, wird diese Landschaft durch besondere Grenzlinien aufgeteilt. Auf normalen Landkarten ist nach oben die Richtung nach Norden, nach rechts die Richtung nach Osten und am Kartenrand meist mit kleinen Stichen die Entfernung in Metern oder Kilometern eingetragen. In einem modernen Phasendiagramm entspricht die eine Richtung zunehmender Temperatur und die andere Richtung zunehmendem Druck. So kann man in der Welt der hohen Drücke für alle möglichen Materialien Phasendiagramme genau wie Landkarten erstellen. Da die Physiker und Chemiker heute immer alles genau vermessen, werden die Ränder dann auch ordentlich mit Zahlenwerten für Temperatur und Druck beschriftet. Die Grenzlinien zwischen den verschiedenen Phasen erhalten dabei eine ähnliche Bedeutung wie in einer Landkarte die Grenzen zwischen verschiedenen Ländern.


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