Propellerheim. Thomas Noll

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Propellerheim - Thomas Noll


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Regen verflucht sagt „Das kann nicht sein, da sind keine Regenwolken auf meiner Radar-Seite!“

      Binnen von Minuten sind sechs Steckdosen belegt: Handy, tablet-PC, mini-TV/DVD-Player, Radiowecker, Laptop und meine CPAP, die Atemmaske, welche ich des Nachts wegen Atemaussetzern benötige. Es sieht ein bisschen aus wie in einer Kommandozentrale von irgendwas… das Flair des ungestörten Kämmerchens im Grünen ist dahin. Ich habe aber was Kommunikation angeht meine eigene Meinung, die sich nicht ganz mit der landläufigen Theorie des „immer erreichbar-seins“ deckt. Richtig angewandt hatten wir noch nie so viele Möglichkeiten wie heute, Kommunikation in unserem Sinne zu selektieren. Früher ging man immer an das graue Wahlscheiben-Telefon im Flur – es konnte die Firma sein, Tante Hedwig könnte gestorben sein oder war es die Lotterie-Gesellschaft? Heute sehe ich vor dem Abheben, wer etwas von mir will – die Firma, die Krankenkasse, eine gute Freundin? Und bei Skype, sms und email kann ich antworten, wann ich will und Zeit und Lust habe. Am Ur-Telefon war man erst mal gefangen. Von daher machte mir die eingerichtete Kommunikationszentrale im Krankenzimmer kein Kopfzerbrechen.

      Allerdings wird diese später im Abschlussbericht erwähnt, im Zusammenhang mit ´Einsamkeit, Zurückgezogenheit, Patient nutzt elektronische Mittel zum Kontakt mit Freunden´ und Ähnlichem. Nun ja, meine Freunde wollten partout nicht mit in diese Anstalt, und den Kontakt wollte ich nicht verlieren; und hier neue Freunde für´s Leben zu finden ist teil-problematisch, oder sagen wir ´neuralgisch-prekär´…

      Meine Klamotten schmeiße ich in den riesigen Schrank, die sind nicht so wichtig wie der Aufbau der Fenster zur Welt. Ich habe nicht viel mit, nur kurze Sachen, T-Shirts, Badebekleidung, FlipFlops. Es ist Sommer, wir sind in einer Klinik… Danach werfe ich mich müde auf das Bett. Ich kann mich nicht einmal lang ausstrecken, als es klopft. Nicht zum letzten Mal in dem 6wöchigen Aufenthalt… dem Klopfen ist ein eigenes Kapitel gewidmet! In diesem Fall ist es meine Patin. Ich kenne es schon aus einer der beiden anderen Kliniken: Neupatienten bekommen einen älteren Patienten zur Seite gestellt, welcher ihnen alles zeigt und ein bisschen vom Klinikalltag erzählt. Also „auf, auf!“ zum 2. Klinikrundgang. Es hat sich allerdings nichts verändert seit dem ersten vor 2 Stunden, auch die Wegweiser, die auf den Zimmern liegen, stimmen akkurat. Die Klinik ist klein, hat keine 200 Betten, ist U-förmig mit zwei kleinen Nebengebäuden aufgebaut. Zur besseren Übersicht hat man sogar die Räume einfach den Flur entlang durchnummeriert, und Raumnummern beginnen mit dem Stockwerk, also 423 ist im 4. Stock und 124 im 1. Stock. So könne ich mir das merken und auch selbständig was finden. Wir gingen aber die ersten beiden Male zusammen zum Essen (Küche und Kantine sind unverfehlbar in einem Stockwerk, in dem sich sonst nichts befindet); wenn ich wollte, auch ein drittes Mal, was ich aber dankend ablehnte.

      Mir wird etwas unwohl bei den Erklärungen, welche Patienten verkehren hier normalerweise…? Der Alltag erfordert solche Kenntnisse doch dauernd… auf dem Amt, im Urlaub? Nichts schöner, als im Hotel herumzustöbern, schöne Plätze und Bars und das Restaurant zu finden? Eine Vorahnung auf heitere 6 Wochen schleicht sich leichtfüßig in mein fieberndes Gehirn…

      Todkrank?

      Eines sollte ein neu-Rehaianer gleich als Erstes wissen: Die Klinik wird zu Anfang eine schwere Zusatz-Erkrankung feststellen! Trotz meiner Erfahrung lasse ich mich auch ein Drittes Mal hereinlegen: nach einer Leberkrankheit (1. Reha) und schwerster Gicht (2. Reha) habe ich diesmal Zucker!

      Ein ´umfangreicher´ Test (kleines Blutbild) wird gleich am ersten Morgen nach dem Anreisetag gemacht. Und zwar morgens um 07:00 Uhr! Zu dem Thema „Morgen“ wird in einem späteren Kapitel noch näher eingegangen. Jedenfalls hatte ich um 07:00 Uhr erst 3 Stunden geschlafen und erst seit 4 Stunden nichts gegessen. Und mir wurde an einem Freitag gesagt (Donnerstagsnachmittags kam ich an), dass ich wohl Zucker hätte. Ob auch nahe Verwandtschaft von mir daran litte. Ich meinte „Ja, mehrere!“ Ich war wie vom Blitz getroffen! Zucker! Ich auch! Ob das sicher wäre? „Ja, wir prüfen das nochmal am Montag mit einem weiteren Test!“ So verbrachte ich das Wochenende mit innerer Angespanntheit ob einer neuen Krankheit, befragte schon einen Mitpatienten mit Diabetes, was mir nun bevor stünde, er wollte mir gleich ein Spritzenset schenken, und ich sah beide Füße schon ab, als es Montagsmorgens erneut zum Bluttest ging. Beim Montagsnachmittags-Arzttermin lag der aber noch nicht vor, das Labor hätte Rückstände. Der Blutdruck stieg, ich wurde auf morgen, Dienstag vertröstet. Dienstags hieß es dann, mein Arzt sei heut´ nicht da, ich solle halt bis Mittwochs warten. Beziehungsweise besser bis Donnerstag, Mittwoch habe er Urlaub. Ich forderte einen anderen Arzt – das ginge nur morgens! Ich lief der zuständigen Schwester in den Aufzug hinterher und bat nun einfach um eine Kopie meines zweiten Bluttests, ich würde den Wert selber erkennen, natürlich hatte ich über das Wochenende und Montags das gesamte internet über Zucker-Blutwerte durchgeackert. Man soll die Kopie einfach unter meiner Zimmertür durchwerfen.

      „Ahaha!“, lachte sie, „das wird niemand machen!“

      Die Abweisung war für mich nicht hinnehmbar.

      Ich wusste, das Ergebnis liegt vor, schlummert in seiner Akte vor sich hin, und niemand in einer Klinik voller Leute macht es mir zugänglich! Ich war als Banker mehr als genug geschult, meine Anliegen zu einem Ergebnis zu bringen.

      Ich drückte auf die Stopp-Taste vom Aufzug, der auch sofort mit einem Ruck stehen blieb. Die Schwester stutze – und ich monologisierte, ohne Kommentare oder Widersprüche zuzulassen (wofür sie auch in der Situation zu überrascht war): „So, jetzt reden wir beide mal über mein Anliegen! Ihre Klinik, Sie! [mein Zeigefinger fuhr aus], haben eine potentiell tödliche Krankheit bei mir festgestellt! Am Freitag! Ein Gegentest, der dies bestätigt oder nicht liegt nun seit gestern in meiner Akte! Ich könnte in naher Zukunft Füße oder Augen verlieren, verstehen Sie, dass mich das ein klein bisschen anspannt??? Also, noch in dieser Stunde [hielt ihr die Uhr unter die Nase] erfahre ich den zweiten Blutwert, egal, wer ihn mir gibt, egal, wer ihn mir vorliest!“

      Das zeigte Wirkung! „Ma muss nur schwetze mit de Leit!“, sagt man bei uns im Saarland [saarl.: Man muss nur mit den Leuten reden, um ans Ziel zu kommen!]. Sie stotterte etwas und bat mich dann, ihr zu folgen in die Ärztestation. Dort machte nichts den Eindruck, als störe mein Anliegen besonders… eine fremde Ärztin las mir mit vollen Backen kauend den zweiten Blutwert vor. Er sei bedenklich, ließe aber nicht den Schluss zu, dass ich die Zuckerkrankheit hätte. Es wurde noch mehr getestet und gedruckst, um mich möglichst lange im Unklaren zu lassen. Dank email wusste ich inzwischen aber von meinem Hausarzt, dass die Werte für mich in Ordnung seien. Diese Werte gelangten zuhause wieder in den Standard-Bereich, als um 10:00 Uhr Blut abgezapft wurde, nach 6 Stunden Schlaf und 8 Stunden Nüchternheit.

      Genauso normal wie damals bei den letzten beiden Rehas meine Leber- und Gichtwerte zuhause wieder in Ordnung waren… Zwischen hohen Gichtwerten in einer Klinik könnte man einen Zusammenhang mit dem dortigen Essen wähnen… es gibt zum Frühstück Wurst und Käse, mittags Fleisch, abends Fleischsalat und kalter Braten… dass man dort eventuell der Gesundheit wegen dreimal die Woche Fleisch durch Tofu oder Seitan ersetzt, ist nicht möglich.

      Genauso wenig wie späteres Blutabnehmen als Nachts um 07:00 Uhr… Übrigens stand in dieser Station auch die einzige Waage der Klinik. Daneben hing ein Schild: „Wiegen Mo, Mi, Fr um 07:00 Uhr.“ Meine Frage, ob man mal dazwischen schnell auf die Waage springen könnte, ohne Krankenakten-Vermerk, nur für sich selbst zur Kontrolle, die Station sei ja immer besetzt; wurde natürlich auch verneint, das sei nicht möglich!

      „Aha!“, dachte ich, „draußen nur Kännchen! Und das alles zum Wohle des Patienten!“

      Also, seid bereit: niemand verlässt die Eingangsuntersuchung ohne Tiefschlag!

      Warum Kliniken das machen, erfuhr ich von kliniknahen Quellen etwas später: a) geht es darum, den Patienten gefügig zu machen, damit er alles Angeordnete sofort umsetzt, da er ja schwer krank ist. Und b) sichern sich Kliniken gerne ab, falls Patienten während des Aufenthaltes etwas passiert… da werden dann auch nur leicht abweichende Daten vom Idealwert „literarisch übertrieben“, so möchte ich es mal ausdrücken…

      Da


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