Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten. Christian Springer
Читать онлайн книгу.war und für Eugenia Tadolini eingesprungen wäre, sondern auf die ursprünglich favorisierte Tadolini (Alzira), den Tenor Gaetano Fraschini (Zamoro) und den Bariton Filippo Coletti (Gusmano). Im ersten Brief des Copialettere war bereits von dieser Wunschbesetzung der Alzira die Rede (Punkt 4):
[Ich habe das Recht,] aus dem [Sänger-]Verzeichnis der Truppe die Sänger meiner Wahl auszuwählen, vorausgesetzt, daß in diesem Verzeichnis die Tadolini, Fraschini und Coletti aufscheinen.[238]
E
ugenia Tadolini (Forlì 1808 – Paris 1872) ist mehr durch Verdis berühmt gewordene Empfehlung, die Lady Macbeth mit „rauher, hohler, erstickter Stimme“[239] zu singen, als durch ihr anerkannt hervorragendes Können in die Musikgeschichte eingegangen. Es mutet merkwürdig an, daß die Siebenunddreißigjährige 1845 in der Literatur immer wieder als „nicht mehr jung“ beschrieben wird. Möglicherweise wird damit auf ihre stimmliche Verfassung angespielt, obwohl sie zum Zeitpunkt der Alzira-Premiere noch auf der Höhe ihres Könnens ist.
Abb. 22 – Die Sopranistin Eugenia Tadolini (1808-1872)
Sie kam als Eugenia Savonari zur Welt und wurde u.a. von ihrem Mann, dem Komponisten Giovanni Tadolini (Bologna 1789-1872), von dem sie sich 1834 wieder trennte, ausgebildet. Ihr Debut erfolgte 1828 in Florenz. Sie trat in Venedig und Triest auf, sang 1829 in Parma (Giulietta in Vaccajs Giulietta e Romeo), ging 1830 nach Paris, wo sie am Théâtre Italien in Rossinis Ricciardo e Zoraide, 1831 in Don Giovanni, Cimarosas Il matrimonio segreto und Donizettis Anna Bolena auftrat. Nach ihrer Rückkehr nach Italien debutierte sie an der Mailänder Scala im September 1833 in Luigi Riccis I due sergenti. Im Oktober trat sie dort in Donizettis Il furioso all’isola di San Domingo auf. 1835 lernte das Wiener Publikum sie in Donizettis L’elisir d’amore im Kärntnertortheater kennen, 1837 war sie in Florenz als Lucia di Lammermoor zu hören. 1838-39 kehrte sie mit Prigioni d’Edimburgo von Federico Ricci und Il bravo von Mercadante an die Scala zurück. Von 1839 bis 1843 sang sie in Genua, Bergamo, wiederum an der Scala, in Wien und Neapel. 1843 sang sie erstmals eine Verdi-Rolle: die Giselda in den Lombardi (im Oktober in Triest, im Dezember in Turin). 1844 ist sie in Wien als Elvira in Ernani zu hören. Sie ist als Donizetti-Spezialistin etabliert: der Komponist schreibt Rollen für sie (Linda di Chamounix, Wien 1842, Maria di Rohan, Wien 1843), sie singt die italienische Erstaufführung des Poliuto (Neapel 1848) und hat Donizetti-Opern wie Don Pasquale, Maria Padilla und Lucrezia Borgia im Repertoire. Donizettis böse Bemerkung über die Sängerin („Sie hat eine Stimme wie eine alte Zikade ...“[240]) bezieht sich auf ihre letzten Bühnenjahre. Die Alzira singt sie neben Attila und Don Pasquale in der Saison 1846-47 auch an der Mailänder Scala. Von diesem Haus, an dem sie 223 Mal aufgetreten ist, nimmt sie 1848 Abschied. Im selben Jahr tritt sie – mit geringem Erfolg – in London auf. 1851 nimmt sie in Neapel von der Bühne Abschied. Ihre letzten Auftritte erfolgen in Donizettis Maria di Rohan, Mercadantes La schiava saracena und in der Uraufführung von De Giosas Folco d’Arles. Sie lebt bis 1861 in Neapel und übersiedelt dann nach Paris.
Die Sängerin, die neben den erwähnten Donizetti-Rollen auch virtuose Bellini-Partien wie La sonnambula und I puritani sang, dürfte wie manch andere ihrer Kolleginnen ihre Stimme mit zu dramatischen Partien überanstrengt haben. Der Umstand, daß Verdi sie unter Vorwänden 1848 nicht in der Macbeth-Produktion in Neapel haben will, weist auf vorzeitige stimmliche Verschleißerscheinungen der Vierzigjährigen hin.
G
aetano Fraschini (Pavia 1816 – Neapel 1887) wird sich nach der Alzira-Uraufführung als einer der besten Verdi-Tenöre im Sinne des Komponisten erweisen. Verdi wird ihm die Tenorpartien in den Uraufführungen von La battaglia di Legnano, Il corsaro, Stiffelio und Un ballo in maschera anvertrauen und ihn in den jeweiligen Erstaufführungen von Simon Boccanegra (Neapel), I vespri siciliani (Turin), I due Foscari (London) und La forza del destino (Madrid) sowie in Wiederaufnahmen von Luisa Miller, Il trovatore, La forza del destino, Rigoletto, La traviata einsetzen. Der Umstand, daß Fraschini 1847 für Florenz nicht frei ist, führt dazu, daß Verdi den Macbeth komponiert, eine Oper, in der er keinen ersten Tenor benötigt.[241] Unter Verdis Anleitung entwickelt sich Fraschini im Laufe der Jahre von einem stentorischen Vokalisten[242] zu einem phantasievollen, nuancenreichen, den ganzen Dynamikbereich bewältigenden Interpreten, einem exemplarischen tenore di forza[243]. (Dieselbe Entwicklung wird, ebenfalls unter Verdis Anleitung, Francesco Tamagno, der erste Otello, durchmachen.)
Fraschini hatte als Kind im örtlichen Kirchenchor gesungen und debutierte 1837 in Pavia in Donizettis Gemma di Vergy. Über die Karrierestationen Bergamo, Lodi, Vicenza, Venedig, Piacenza und Turin gelangte er 1840 an die Mailänder Scala (Debut in Donizettis Marin Faliero, danach Auftritte in Cordellas Gli avventurieri) und danach an das Teatro San Carlo in Neapel (Faone in Pacinis Saffo), wo er bis 1848 regelmäßig engagiert war und auch nach 1852 wieder auftrat. Die erste Verdi-Oper, in der Fraschini auftrat, war Ernani im Teatro S. Benedetto in Venedig (Mai 1844), an der Seite von Filippo Coletti. Mit diesem Kollegen sang er 1845 auch die Erstaufführung der Foscari in Neapel. Fraschini sang im Ausland außer in London in Paris und in Wien, wohin er bis 1852 oft eingeladen wurde. Er trat auch in Uraufführungen von Opern von Pacini, Mercadante, Donizetti und Petrella auf. Sein Repertoire umfaßte 106 Hauptrollen. Er beendete seine Karriere 1873.
Abb. 23 – Gaetano Fraschini (1816-1887), der Lieblingstenor Giuseppe Verdis.
Das Notenbild der von Fraschini gesungenen Verdi-Partien gibt Aufschluß über seine stimmlichen Voraussetzungen. Seine Erfolge in den Tenorrollen in La battaglia di Legnano, I vespri siciliani, Un ballo in maschera, La forza del destino, Ernani, Luisa Miller, Il trovatore, Simon Boccanegra und Stiffelio, die den anspruchsvollen Verdi begeistern, bestätigen die Beschreibungen seines durchschlagskräftigen, jedoch auch zu Zwischentönen fähigen Tenors (den man sich – von der Stimmanlage, nicht jedoch vom Stil her – wie ein Mittelding zwischen Francesco Tamagno und Franco Corelli vorstellen kann). Es handelt sich fast durchwegs um sogenannte Zwischenfach-Partien, zu deren Bewältigung der Tenor eine robuste, technisch einwandfrei geführte Stimme mit ausgezeichneter Höhe[244] benötigt, Voraussetzungen, die Fraschini mit seiner leicht baritonalen Färbung voll erfüllt. Seine Stimme soll „wie ein großer Silberteller, der mit einem Hammer, ebenfalls aus Silber, angeschlagen wird“[245] geklungen haben. Sein Einsatz als Rigoletto-Herzog zeigt, daß die Rolle schon im 19. Jahrhundert von baritonalen Tenören mit heldischem Einschlag gesungen wurde. Der Umstand, daß Verdi den Riccardo im Ballo für Fraschini schrieb, ist ein Hinweis auf die vom Komponisten gewünschte Stimmcharakteristik. Erwähnenswert ist schließlich noch, daß der Stiffelio eine der stimmlich anspruchvollsten Verdi-Rollen ist. Er wird von vielen Tenören mit dem Radames und dem Otello verglichen und als kaum weniger anstrengend als diese Partien empfunden.
Zu seinen erfolgreichen Rollen anderer Komponisten zählen die Tenorpartien in Donizettis Lucia di Lammermoor, Caterina Cornaro, Lucrezia Borgia und Poliuto (eine ausgesprochen heldische Partie) sowie in Robert le diable oder Orazi e Curiazi (Mercadante).
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er Bariton Filippo Coletti (Anagni, Frosinone 1811-1894) debutierte 1834 in Neapel als Prosdocimo in Rossinis Il turco in Italia und etablierte sich im ersten Jahrzehnt seiner Karriere als Bellini- und Donizetti-Spezialist. 1836 debutierte er in Lissabon, 1840 in London und Wien, 1841 an der Mailänder Scala. In Neapel wurde er 1844 von Donizetti in der Uraufführung der Caterina Cornaro eingesetzt. Nachdem er in diesem Jahr mit großem Erfolg in Venedig den Don Carlo in Verdis Ernani und den Nabucco gesungen hat, wird auch er zu einem der bevorzugten Interpreten Verdis. Nach der Alzira besetzt ihn Verdi 1846 in der Pariser Erstaufführung der Foscari, 1847 in der Uraufführung