Ein Kind unserer Zeit. Ödön von Horváth

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Ein Kind unserer Zeit - Ödön von Horváth


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Kunst und Sport. Und dort hinten am Ende das verwunschene Schloß.

      An den ersten Schießbuden gehen wir noch vorbei, aber bei der vierten oder fünften können wir es nicht mehr lassen, es zwingt uns zu schießen. In dieses Schwarze zu treffen ist für uns ein Kinderspiel und das Fräulein, das unsere Gewehre ladet, lächelt respektvoll.

      Wenn Soldaten schießen, schauen immer viele zu. So auch jetzt. Besonders zwei Fräulein sind dabei, sie lachen bei jedem Schuß, als gälte er ihnen. Dadurch erregen sie unsere Aufmerksamkeit. Mir gefallen sie nicht, aber meine Kameraden fangen mit ihnen an. Ich will ihnen prinzipiell nicht im Wege stehen, so als überflüssiges Rad am Wagen, und überlasse sie ihrem Schicksal.

      Sie gehen tanzen, ich bleib allein zurück.

      Ich schau ihnen nach.

      Nein, diese beiden Fräulein könnten mich nicht interessieren –

      Die eine hat krumme Beine, die andere hat überhaupt keine Beine und wo der Hintern sitzen soll, sitzt nichts. Und die erste hat vorn einen schwarzen Zahn und einen schmutzigen Büstenhalter. Nein, mich stören diese Kleinigkeiten der Liebe, ich bin nämlich sehr anspruchsvoll.

      Ich betrete das Hippodrom.

      Dort reiten zwei andere Fräulein und ein Kind.

      Die Musik spielt, die Peitsche knallt, die alten Pferde laufen im Kreis.

      Das Kind hat Angst, die Fräulein sind sehr bei der Sache.

      Das Kind verliert seine Matrosenmütze und plärrt, die beiden Fräulein lächeln.

      Ihre Röcke sind hoch droben und man kann es sehen, daß sie dort nackt sind, wo der Strumpf aufhört. Die könnten mir schon gefallen, besonders die Größere!

      Aber ein reitendes Fräulein täuscht.

      Denn ein Fräulein hoch zu Roß kann gar leicht gefallen, das ist keine Kunst. Aber wenn sie hernach herunten ist, dann merkt mans erst, was in Wirklichkeit los ist – ich kenn das schon, diese Enttäuschungen!

      Jetzt steigen sie aus dem Sattel und die Größere gefällt mir noch immer. Und die Kleinere auch.

      Aber sie haben schon einen Kavalier.

      Ein kleines Männchen, eine elende Ratte.

      Die beiden hängen sich in die Ratte und lächeln: »Wir wollen noch reiten – bitte, bitte!« »So oft ihr wollt«, sagt die Ratte.

      Ich blicke nach der Preistafel.

      Einmal reiten kostet fünfzig.

      Und so oft ihr wollt?

      Viel zu teuer für mich.

      Aber so treibens halt die feschen Weiber!

      Lieber eine alte Ratte, die nach Geld stinkt, als ein junger durchtrainierter Mann, der außer seiner selbst nur zwei silberne Sterne am Kragen besitzt.

      Da nützen auch die weißen Handschuhe einen großen Dreck.

      Ich verlasse das Hippodrom und wandle langsam die Buden entlang, ohne ein direktes Ziel.

      Rechts gibts den Mann mit dem Löwenkopf und links die Dame mit dem Bart.

      Ich bin etwas traurig geworden.

      Die Luft ist lau – ja, das ist der Frühling und nachts konzertieren die Katzen. Wir hören sie auch in der Kaserne.

      Der Abend kommt und am Horizont geht der Tag mit einem lila Gruß. Hinter mir ist es schon Nacht.

      Und wie ich so weiterwandle, treffe ich einen unangenehmen Gedanken: es fällt mir auf, daß diese Ratte im Hippodrom mein Volksgenosse ist. Und ich sehe mich im Kasernenhof stehen und schwören, für das Vaterland zu sterben, jederzeit für unser Volk.

      Also auch für diese elende Ratte?

      Nein, hör auf! Nur nicht denken! Durch das Denken kommt man auf ungesunde Gedanken.

      Unsere Führer werdens schon richtig treffen!

      Und da kommt ein zweiter Gedanke, ich kenne ihn schon.

      Er begleitet mich ein Stück und läßt mich nicht los.

      »Eigentlich«, sagt er, »liebst du ja niemand« – Ja, das ist wahr.

      Ich mag keine Seele leiden –

      Auch mich nicht.

      Eigentlich hasse ich alle.

      Nur unseren Hauptmann nicht. –

      Und weiter wandle ich die Buden entlang dem Ende zu und erreiche das verwunschene Schloß mit seinen Giebeln und Türmen und Basteien. Die Fenster sind vergittert und die Drachen und Teufel schauen heraus.

      Aus dem Lautsprecher tönt ein leiser Walzer. Es ist eine alte Musik. Sie wird immer wieder übertönt, diese Musik, durch Gelächter und Gekreisch. Das sollen die Leute von sich geben, die drinnen sind. Man solls nämlich draußen hören, daß es ihnen drinnen gefällt.

      Aber ich kenne das schon.

      Alles Schwindel!

      Es ist eine Grammophonplatte, diese ganze laute Freude – nur um das Publikum anzulocken. Es ist nichts dahinter, und ich fall nicht drauf rein, auf solche Narrenpaläste, in denen man das Gruseln lernen soll. Das ist mir zu blöd.

      Ich will schon wieder zurück, da blicke ich nach dem Eingang, ohne mir dabei etwas zu denken, gewissermaßen automatisch. Und ich halte an.

      Oder wars mir nur so und ich bin weiter?

      Möglich. Aber nach zwei Schritten halte ich tatsächlich und schaue noch immer hin.

      Es ist jetzt ganz finster geworden und ich steh in der Nacht.

      An der Kasse des verwunschenen Schlosses sitzt eine junge Frau.

      Sie rührt sich nicht.

      Es kommt kein Mensch.

      Und einen Augenblick lang ist mir alles so fern, die ganze Welt, und ich denke, das Herz bleibt stehen. Es rührt sich kein Blatt, nur aus dem verwunschenen Schlosse tönt leise die alte Musik.

      Sie hat große Augen, die junge Frau, aber es waren nicht ihre Augen, nicht der Mund und nicht die Haare – ich glaube, es war eine Linie –

      Doch was red ich da?! Lauter Unsinn!

      Ich weiß ja nur, daß ich stehen blieb, als war plötzlich eine Wand vor mir –

      Unsinn, Blödsinn! Geh weiter!

      Ich gehe weiter und stolpere.

      Über was?

      Über nichts. Es ist ja nichts da.

      Aber nun lächelt die Frau, weil ich gestolpert bin. Sie hat es gesehen. Sie lächelt noch immer.

      Ich betrachte sie genau.

      Da schaut sie nicht mehr her. Sie nimmt einen Bleistift und schreibt vor sich hin – oder tut sie nur so, damit sie mich nicht sieht?

      Warum will sie mich denn nicht sehen?

      Wahrscheinlich weil ich ihr nicht gefall –

      Sie wird schon einen haben, irgendeinen Budenkönig.

      Einen Seiltänzer, Messerschlucker, dummen August –

      Geh weiter!

      Ich geh, aber ich komme nicht weit. Nur über die Straße. Dort steht ein Eismann und ich kaufe mir ein Eis. Ich kanns noch genau sehen, das verwunschene Schloß und die schreibende Frau.

      Es kommt noch immer kein Mensch.

      Ich schlecke mein Eis.

      Es schmeckt nach nichts.

      Es ist so kalt, daß ich lange Zähne bekomm wie ein altes Pferd.

      Es tut schon direkt weh –

      Warum kaufte ich es mir denn nur, dieses gefärbte Zeug?

      Ich


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