Das Wunder Mozart. Harke de Roos

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Das Wunder Mozart - Harke de Roos


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mit dem reichen Bayern anstrebte, verkuppelte ihren trauernden Sohn mit einer Prinzessin aus dem Hause Wittelsbach, Josefa von Bayern. Bereits im Januar 1765 fand die Hochzeit statt, aber diesmal hatte die Kaiserin sich in ihrer sonst so erfolgreichen Heiratspolitik verrechnet. Ihre neue Schwiegertochter wurde von Joseph so feindselig behandelt, dass die Beziehungen zwischen Österreich und Bayern darunter zu leiden hatten.

      Um sich an der Mutter, aber auf verschlungenem Wege sicherlich auch an der Schwester Marie Christine zu rächen, mied Joseph Josefa, wo er nur konnte, schimpfte über ihr Aussehen und ließ sogar Vorkehrungen treffen, damit ihm in seinen privaten Räumen ihr Anblick erspart blieb. Für die gutmütige junge Frau bedeutete diese Art von Zurückweisung eine Hölle. Bereits zwei Jahre später, am 28. Mai 1767, starb sie, offiziell an den Blattern, inoffiziell vor lauter Kummer.

      In den nun folgenden dreizehn Jahren bis zum Tod der Mutter 1780 lebte Joseph in einem Frauenhaushalt. Der Vater war bereits 1765 gestorben und Maria Theresia, die ihren Sohn zum Mitregenten ernannt hatte, aber alle Macht im Staate für sich beanspruchte, umgab sich gerne mit ihren Töchtern. In dieser Periode entwickelte sich Joseph, wohl aus Frust, zu einem der schlimmsten Fraueneroberer.

      Wohl verstanden: alle hohen Herren waren in der Regel unermüdliche Schürzenjäger. Auch Josephs Vater Franz Stephan jagte nicht nur Hirsche und Hasen, Staatskanzler Kaunitz liierte sich gerne mit schönen Sängerinnen, Reichsvizekanzler Colloredo-Waldsee galt ebenso als hemmungsloser Schürzenjäger wie Josephs Schwager Ferdinand in Neapel, ganz zu schweigen von historischen Exempeln wie August dem Starken oder Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. In Josephs Kreisen war die Promiskuität so gut wie legalisiert, sogar aus der Sicht der Kirche. Schließlich gehörte das „Recht auf die erste Nacht“ zum Unterdrückungsmechanismus der herrschenden Klasse, indem es sich gleichermaßen gegen die weiblichen wie gegen die männlichen Untertanen richtete. Zudem gab es unter den Zeitgenossen Josephs epochale Frauenhelden wie Casanova oder Beaumarchais.

      Bei Joseph treffen wir jedoch auf einen Aspekt, der bei allen anderen Vertretern seiner Spezies fehlt: die Abrechnung. Andere Schürzenjäger suchten das Liebesabenteuer, weil sie die Frauen liebten, Joseph brüstete sich dagegen damit, als Frauenhasser zu gelten. Ganz offensichtlich suchte er die körperliche Vereinigung mit dem anderen Geschlecht nicht, weil er sich in Frauen verliebte, sondern um sie zu erniedrigen, zu bestrafen oder zu besiegen. Dabei ging er äußerst gründlich vor: seine eigene Schwester Maria Karoline berichtet, dass es in Wien keine einzige Frau gab, mit der der Kaiser nicht geschlafen hätte. Für unsere Geschichte ist diese Aussage von Relevanz, denn es würde bedeuten, dass auch die Töchter eines gewissen Fridolin Weber, Aloysia und Konstanze, zur Beute Josephs gerechnet werden müssen.

      Zwar ist die Äußerung von Maria Karoline von einigen Historikern belächelt worden, aber dafür gibt es wahrhaftig wenige Gründe. Gerade Maria Karoline gehörte nicht zu denjenigen, die leichtfertig Gerüchte in die Welt zu setzen pflegten. Zudem wird ihre Aussage durch unveröffentlichte Passagen aus Leopolds geheimen Aufzeichnungen bestätigt. Joseph prahlte gerne beim Bruder mit seinen sexuellen Eskapaden, sowohl schriftlich als auch mündlich. Diesen widerten allerdings derartige Geschichten an, wie aus zwei tagebuchähnlichen Schriften hervorgeht, die in italienischer Sprache verfasst und mit einer selbst entworfenen Geheimschrift geschrieben sind. Adam Wandruszka hat diese Schriften, „Stato della famiglia“ und „Cose particulare“, entziffern können und Teile daraus in seine Leopold-Biographie aufgenommen. Aus Rücksicht auf die historischen Verdienste Josephs verzichtete er dabei freilich auf anstößige Abschnitte rund um die Person des Kaisers.

      Wandruszka hat kurz vor seinem Tod den Inhalt dieser Passagen dem Autor dieses Buches telefonisch angedeutet. In diesem nicht publizierten Teil ist die Rede davon, dass Joseph sich zu jedem Frühstück „frisches Frauenfleisch“ servieren ließ. Nicht weniger als vier Diener sollen darauf spezialisiert gewesen sein, dem Monarchen dieses Ritual zu ermöglichen, unter ihnen Johann Kilian Strack, der zu Mozarts Verlobungszeit häufig in dessen Haushalt anzutreffen war. Die Anstrengungen am frühen Morgen hinderten den hochgeborenen Schwerenöter im Übrigen nicht, sich am späten Abend anspruchsvolleren Zielen wie Prinzessinnen und Komtessen zu widmen.

      Es leuchtet ein, dass nicht sexuelle Begierde die Triebfeder Josephs war. Seine Schürzenjagd war vielmehr ein Krieg gegen das Tabu, eine Herausforderung des Teufels, eine Suche nach Sühne und Wahrheit, mehr noch: eine Expedition ins Jenseitige. Erkennbar ist eine dämonische Besessenheit, der Wunsch, herauszufinden, was an der Geschichte mit Gott und der Moral stimmt. Er wollte wie Don Giovanni die Grenze zwischen Gut und Böse erkunden.

      Diese Dämonie gilt nicht nur für den erotischen Bereich, auch Josephs Regierungsstil wurde von der gleichen Besessenheit geprägt. Die erste Maßnahme nach dem Tod der Mutter war die Entfernung der drei ungeliebten Schwestern aus der Hofburg. Maria Anna wurde als Äbtissin nach Prag geschickt, Maria Elisabeth als Äbtissin nach Innsbruck und Maria Christine als Statthalterin der österreichischen Niederlande nach Belgien. Danach richtete Joseph sich unter fast asketischem Verzicht auf Prunk und Luxus in seinem Arbeitszimmer ein und begann eine unabsehbare Kette von Reformen. In den zehn Jahren seiner Alleinregierung erließ Joseph 11.000 Gesetze und 6.000 Dekrete. Ein großer Teil dieser Maßnahmen hatte einen provozierenden Charakter wie die Schließung von 700 der 2100 Klöster.

      Zu den populärsten Maßnahmen Josephs gehörten das Toleranzedikt 1782, die Pressefreiheit und die Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern, wobei pikanterweise auch das „jus primae noctis“, das Herrenrecht auf die erste Nacht mit Bräuten frisch vermählter Untertanen, betroffen war. Bei näherem Hinsehen sticht allerdings unverkennbar reformerische Halbherzigkeit ins Auge. So mussten die Juden, um „toleriert” zu werden, eine hohe Schutzgebühr bezahlen. Die Leibeigenschaft wurde nur auf den Staatsgütern aufgehoben, in Ländern wie Böhmen und Regionen wie Siebenbürgen blieb sie weiterhin bestehen. Zudem wurde die gutsherrliche Verfassung überhaupt nicht angetastet. Der rumänische Bauernaufstand wurde mit Billigung Josephs auf brutale Art niedergeschlagen.

      Gegenüber der Schließung der Klöster stand die Errichtung von Hunderten neuer Pfarreien. Hier war es dem Kaiser um eine Verlagerung der Macht über kirchliche Angelegenheiten zu tun.

      Auch die Aufhebung der Zensur war alles andere als eine idealistische Maßnahme. Die Pressefreiheit wurde von Joseph als Mittel benutzt, die Kirche hemmungslos zu kritisieren, denn die Zensur wurde lediglich der Kirche entzogen und kam unter staatliche Regie. Unter strenge Zensur fielen vor allem die Gedenkschriften des Papstes zum Thema Kirchenreform in Österreich. Zuständig für die Zensur wurde übrigens Baron Gottfried van Swieten, der Sohn Gerhards und spätere Mäzen Mozarts.

      Zu den unpopulärsten Maßnahmen Josephs gehörte das Begräbnispatent vom 23. August 1784. Der kaiserliche Befehl, die Toten der 3. Klasse nicht in Särgen zu bestatten, sondern sie in leinenen Säcken in die Grube zu legen und mit ungelöschtem Kalk zu überwerfen, löste in der Bevölkerung derartig heftigen Widerstand aus, dass er bereits nach einem halben Jahr wieder zurückgenommen werden musste. Nichtsdestoweniger galt Joseph nach wie vor beim einfachen Volk als Störer der Totenruhe schlechthin. Kein zeitgenössischer Besucher der Aufführungen von Mozarts Oper Don Giovanni wird sich bei der berühmten Friedhofsszene der Assoziation mit dem Begräbnispatent entzogen haben können; dafür war das Bühnengeschehen einfach zu aktuell.

      Es leuchtet ein, dass die Wiener Reformen Josephs nicht mit den toskanischen seines Bruders verglichen werden können. Weil bei Josephs Reformen die idealistische Basis fehlte, war Leopolds Gesellschaftserneuerung konsequenter und radikaler. Trotzdem bildeten die unterschiedlichen Auffassungen keinen wirklichen Zankapfel zwischen den Brüdern. Solange es sich um innere Staatsangelegenheiten handelte und in beiden Territorien fleißig Krankenhäuser gebaut wurden, konnte es dem einen recht sein, was beim anderen reformiert wurde und was nicht. In der Außenpolitik und den familiären Angelegenheiten lagen die Dinge völlig anders. In diesen Bereichen gab es jede Menge Zündstoff, wie zum Beispiel Josephs Absichtserklärung, die relative Unabhängigkeit der Toskana („Sekundogenitur“) nach der Regierungszeit Leopolds aufzuheben und das Land dem Reich einzuverleiben. Sehr konfliktträchtig waren auch die Unterschiede in der Außenpolitik, vor allem gegenüber Russland und der Türkei. Joseph strebte, auf Kosten der Türkei, eine enge Allianz mit Katharina der Großen an. In geheimen Besprechungen wurde beschlossen, das geschwächte


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