Wir statt Gier. Gordon Müller-Eschenbach

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Wir statt Gier - Gordon Müller-Eschenbach


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an die bekannte Vergangenheit klammern. (John Naisbitt)

      Unsere Wirtschaft ist ein Spiegel der seelischen Verfasstheit unserer Gesellschaft. Je nach Blickwinkel kann das eine fröhliche oder eine ziemlich düstere Botschaft sein: Eine Wirtschaft ist immer nur so beseelt, wie der Antrieb der Menschen es zulässt, die an ihrem Gelingen arbeiten.

      Blicken wir uns auf der ökonomischen Landkarte des Jahres 2011 um, stellen wir schnell fest, dass der Erfolg in der Tat dort ist, wo es jenseits des pekuniären Erfolgs ideell am meisten zu gewinnen gibt. China erlebt das lange prognostizierte Wachstum, angetrieben von der Hoffnung seines Volkes wie seiner Mächtigen, sich von seiner globalpolitischen Außenseiterstellung zu befreien. Die japanische Wirtschaft dreht nach langem Abschwung wieder auf, weil sie eine Katastrophe zu bewältigen hat. Die USA dagegen erleben ein wirtschaftliches Debakel und steuern mit Macht auf den Staatsbankrott zu, nachdem der Schwung einer politischen Neuorientierung der Ernüchterung über die Grenzen des Möglichen gewichen ist. Und Deutschland? Deutschland hat sich weitgehend von der letzten Finanzkrise erholt und hat in Erwartung besserer Zeiten endlich mal wieder Gas gegeben – droht aber bereits wieder über seine politischen Bremsklötze zu stolpern und der Gier der Hochfinanz ins Fangseil zu torkeln. „Etwa 200 Banker aus Kreditinstituten mit Staatshilfe kämen wieder auf ein Jahreseinkommen von mehr als 500.000 Euro“, wusste die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schon im September 2010 zu berichten. Von wirksamen politischen Eingriffen, wie sie im Nachgang der Krise angekündigt wurden, keine Spur.

       Der gehemmte Aufschwung

      

      Dabei könnten wir längst viel weiter sein. Der Aufschwung, den wir in den letzten Jahren gesehen haben, war nur ein Bruchteil des Erfolgs, zu dem wir eigentlich in der Lage wären. Die Gründe dafür sind unendlich komplex und doch ganz simpel: Wir leben im 21. Jahrhundert, doch unsere Wirtschaft agiert unter der Oberfläche in weiten Teilen noch immer mit dem ethischen (oder unethischen) Instrumentarium der Feudalwirtschaft – und das ist schon optimistisch gedacht. Erfolg, in diesen Zeiten, war gesetzt, in aller Regel vererbt. Das Hauptansinnen der Erfolgreichen war deshalb der Machterhalt – und damit einhergehend die Erfolgsverhinderung bei anderen, um Meutereien auszuschließen. Heute ist es nicht viel anders, nur viel hübscher: Vieles, was möglich wäre, wird im Sinne des Machterhalts einzelner, fest installierter Instanzen verhindert, um eine Neudefinition der Wirtschaftslandschaft und letztlich der Gesellschaft als Ganzes zu unterbinden, die die ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verschieben würde.

      Dieses defensive Gebaren der Macht kommt nicht von ungefähr: Die Möglichkeiten der Instanzen sind den Möglichkeiten der gesellschaftlichen Erneuerung längst nicht mehr gewachsen. Starre Apparate wie Regierung (Ämtermonopoly), Verwaltung (Beamtenbürokratie), Kirche (codehafte Regularienverwaltung mit mangelndem Realitätsbezug) oder Großkonzerne (Sklaven der Hochfinanz mit unentwirrbaren politischen Verstrickungen) versuchen angestrengt, von den Manövern ihres Machterhalts mit pseudoethischen Mitteln abzulenken – oder, wenn keine öffentlichkeitswirksame Naturkatastrophe zur Verfügung steht, ihre Verfehlungen zumindest unter der Decke zu halten. Es gelingt ihnen immer seltener. Macht hat keine Chance, wenn die Machthelfer den Dienst verweigern. Den neuen Möglichkeiten sozialer Vernetzung sei Dank: Immer mehr tun es.

      Das möchte ich von Anfang an klarstellen: Mit der Kritik an Obrigkeiten allein und der Aufforderung, sie mögen ihren Aufgaben effektiver nachkommen, ist noch gar nichts erreicht. Gesellschaftlicher Dialog, wirtschaftlicher Erfolg, Unternehmenskultur, sogar Politik werden letztendlich von der Gesamtheit der Menschen gemacht, die sich daran beteiligen. Wer sich nicht daran beteiligt, sondern nur von außen nörgelt – obwohl auch das wichtig und notwendig ist im gesellschaftlichen Diskurs –, der verändert gar nichts. Und wer nichts verändert, darf auch keine Veränderung erwarten. Jeder Einzelne von uns, wirklich jeder Einzelne – und sei sein Beitrag noch so klein – kann an gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Erneuerung teilhaben. Wer das nicht wahrhaben will, kann aufhören, auf Verbesserungen zu hoffen. Er verdient sie nämlich gar nicht.

       Die neue Aufklärung

      

      Zum Glück beteiligen sich immer mehr von uns, und legen den Finger in die Wunde gesellschaftlicher Missstände. Die Zahl der Offenbarungen wächst täglich: Von scheinbar ethikfreien Politikern wie zu Guttenberg oder Koch-Mehrin über die gänzlich unchristlichen Deckelungsversuche bei den Skandalen der katholischen Kirche bis hin zu den schlichtweg egogetriebenen Pokertricks von Imperiumslenkern wie Zumwinkel oder auch Blatter.

      Nötig ist es allemal, die Bosse der alten Schule bei den Schultern zu packen und kräftig durchzurütteln. Der Erfolg, den die bestehende so genannte Wirtschaftselite sich erarbeitet hat, ist ganz und gar nicht selten auf unethischem Weg entstanden und in aller Regel in irgendeiner Form erkauft. Es ist ein Erfolg der Partikularinteressen. Es ist der Erfolg nicht einer Gesamtwirtschaft, sondern einzelner gesellschaftlicher „Pockets“, die in ihren Nischen sitzen wie angeklebt und nicht nur das Kapital kontrollieren, sondern auch die Quantität und Qualität des gesellschaftlichen Fortschritts steuern.

      Der Erfolg all jener hingegen, die tatsächlich alltäglich zum Wohle der Wirtschaft und damit der Gemeinschaft ackern, wächst weitaus langsamer und in streng begrenztem Ausmaß. Jene Gruppen, die sich selbst gern als Eliten inszenieren, werden durch ihre Marktmacht und ihren politischen Einfluss zu Instanzen, die die Frequenz der gesellschaftlichen Erneuerung vorgeben. Sie tun das, indem sie Wertediskussionen prägen – nicht im Sinne der Gemeinschaft, als deren Vordere sie per Definition die Rolle einer Avantgarde übernehmen sollten, sondern im Sinne ihres Machterhalts. Da Fortschritt im System aber nicht ohne Kompromisse auf der Individualebene möglich ist, müssen sie sich vorwerfen lassen, dass sie gezielt gegen den natürlichen Lauf der Dinge arbeiten: gegen machbare Innovation, gegen notwendige Perspektivwechsel, gegen die maximal mögliche Freiheit der Gemeinschaft.

       Gemeinschaft ist das Zauberwort

      

      Gemeinschaft ist wohl das am meisten unterschätzte Wort der Gegenwart – insbesondere in der Wirtschaft. Das Problem besteht darin, dass die Gesamtheit der Betroffenen auch im größten Konzern noch hinter den Partikularinteressen einzelner Entscheider anstehen, wenn es hart auf hart kommt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Egothemen auch vor den höchsten Positionen in der Wirtschaft nicht Halt machen. Und diese Erkenntnis ist nicht einmal im entferntesten neu: „Der ökonomische Mensch im allgemeinsten Sinne ist … derjenige, der in allen Lebensbeziehungen den Nützlichkeitswert voranstellt. Alles wird für ihn zu Mitteln der Lebenserhaltung, des naturhaften Kampfes ums Dasein und der angenehmen Lebensgestaltung.“ Der homo oeconomicus, der Eduard Spranger im Jahre 1914 vorschwebte, als er diesen Typus charakterisierte, war eine fiktive Entität: Der Mensch, der so ist wie alle Menschen innerhalb der gleichen Wirtschaftsordnung. Der homo oeconomicus ist ein kleinster gemeinsamer Nenner. Diese Definition erlaubt es, jedes beliebige Partikularinteresse im Sinne der Lebenserhaltung und eines „naturhaften Kampfes“ um dieselbe zu rechtfertigen.

      Es ist ein gesellschaftliches Armutszeugnis, dass sich die „Eliten“ der großen Wirtschaftsnationen, deren Partikularinteressen sich weit über diesen Kampf erhoben haben, bis heute moralisch auf dieser Survival-Logik ausruhen. Sie verpassen die Möglichkeit etwas zu schaffen, das anderen, aufstrebenden Ländern ein Vorbild im ursprünglichen, moralischen Sinne des Wortes sein könnte: Eine Form von Erfolg, die nicht allein die Erfüllung von Eigeninteressen, sondern von gemeinschaftlichen Interessen zum Ziel hat. Gemeint sind gemeinschaftliche Interessen, die eben nicht verordnet sind (wie im Fall von China), sondern aus dem Inneren der Gemeinschaft erwachsen. Alles andere ist gefährlich und freiheitsfeindlich. Doch die Politik vergibt die Chance, Bedrohungen der Freiheit und Menschenrechtsverletzungen durch undemokratische Länder von der glaubwürdigen Position dessen zu geißeln und gegebenenfalls sogar abzustrafen, der ein intaktes Wertegerüst vorlebt.

      Stattdessen pochen Politiker auf die Einhaltung von Werten, deren Bedeutung sie selbst längst verlernt haben. Gleichzeitig verdienen machtnahe Wirtschaftszweige Billionen damit, Terroristen mit Waffen zu beliefern und


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