Marie Antoinette. Stefan Zweig

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Marie Antoinette - Stefan Zweig


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allem Anbeginn: sie wollte als Frau siegen statt als Königin, ihre kleinen weiblichen Triumphe zählten ihr mehr als die großen und weithinreichenden der Weltgeschichte, und weil ihr verspieltes Herz der königlichen Idee keinen seelischen Inhalt zu geben wußte, sondern nur eine vollendete Form, schrumpfte ihr unter den Händen eine große Aufgabe in ein vergängliches Spiel, ein hohes Amt in eine schauspielerische Rolle. Königin sein, heißt für Marie Antoinette fünfzehn leichtsinnige Jahre lang ausschließlich: als die eleganteste, die koketteste, die bestangezogene, verwöhnteste und vor allem die vergnügteste Frau eines Hofes bewundert zu werden, der arbiter elegantiarum, die tonangebende Mondäne jener vornehm überzüchteten Gesellschaftswelt zu sein, die sich selbst für die Welt hält. Zwanzig Jahre lang spielt sie auf ihrer Privatbühne von Versailles; die wie ein japanischer Blumensteig über einen Abgrund gebaut ist, selbstverliebt die Primadonnenrolle der vollkommenen Rokokokönigin mit Stil und Anmut. Aber wie arm bleibt das Repertoire dieser Gesellschaftskomödie: ein paar kleine flüchtige Koketterieen, ein paar dünne Intrigen, sehr wenig Geist und sehr viel Tanz. Bei diesen Spielen und Spielereien hat sie keinen rechten Partner als König zur Seite, keinen wahrhaften Helden als Gegenspieler und eine immer gleiche, gelangweilt snobistische Zuschauerschaft, indes außerhalb der vergoldeten Gittertore ein Millionenvolk auf seine Herrscherin harrt. Aber die Verblendete läßt nicht von der Rolle, sie wird nicht müde, immer mit neuen Nichtigkeiten ihr törichtes Herz zu betören; selbst als von Paris her schon der Donner über die Gärten von Versailles drohend heranrollt, läßt sie nicht ab. Erst da sie die Revolution gewaltsam von dieser winzigen Rokokobühne auf die große und tragische der Weltgeschichte reißt, erkennt sie den ungeheuren Irrtum, daß sie zwanzig Jahre lang eine zu geringe Rolle gewählt, die der Soubrette, die der Salondame, indes das Schicksal ihr Kraft und Seelenstärke für eine heldische verliehen hatte. Spät erkennt sie diesen Irrtum und doch nicht zu spät. Denn gerade in dem Augenblick, da sie die Rolle der Königin nicht mehr zu leben und nur noch zu sterben hat, im tragischen Nachspiel der Schäferkomödie, erreicht sie ihr wirkliches Maß. Erst als das Spiel Ernst wird und man ihr die Krone nimmt, wird Marie Antoinette wirklich vom Herzen her Königin.

      Diese Gedanken- oder vielmehr Gedankenlosigkeitsschuld Marie Antoinettes, daß sie fast zwanzig Jahre lang das Wesenhafte dem Nichtigen aufopfert, die Pflicht dem Genuß, das Schwere dem Leichten, Frankreich dem kleinen Versailles, die wirkliche Welt ihrer Spielwelt, – diese historische Schuld ist beinahe unfaßbar. Um sie in ihrer Sinnlosigkeit sinnlich zu begreifen, nimmt man am besten zur Probe eine Karte Frankreichs zur Hand und zeichnet sich dort den winzigen Lebensraum nach, innerhalb dessen Marie Antoinette die zwanzig Jahre ihrer Regierung verbrachte. Das Ergebnis ist verblüffend. Denn dieser Kreis ist so klein, daß er auf einer mittleren Karte fast zum Pünktchen wird. Zwischen Versailles, Trianon, Marly, Fontainebleau, Saint-Cloud, Rambouillet, sechs Schlössern innerhalb eines lächerlichen Raumes weniger Wegstunden, rollt der goldene Kreisel ihrer betriebsamen Langeweile unablässig hin und her. Nicht ein einziges Mal hat, räumlich so wenig wie geistig, Marie Antoinette das Bedürfnis empfunden, dieses Pentagramm zu überschreiten, in dem sie der dümmste aller Teufel, der Vergnügungsteufel, eingeschlossen hielt. Nicht ein einziges Mal in fast einem Fünftteil eines Jahrhunderts hat die Herrscherin Frankreichs dem Wunsch Folge geleistet, ihr eigenes Reich kennen zu lernen, die Provinzen, deren Königin sie ist, zu sehen, das Meer, das die Küsten umspült, die Berge, Festungen, Städte und Kathedralen, das breite und vielfältige Land. Nicht ein einziges Mal stiehlt sie ihrem Müßiggang eine Stunde Zeit, einen ihrer Untertanen zu besuchen oder auch nur an sie zu denken, nicht ein einziges Mal betritt sie ein bürgerliches Haus: all diese wahrhafte Welt außerhalb ihres Adelskreises war faktisch für sie nicht vorhanden. Daß sich rund um das Opernhaus von Paris eine riesige Stadt dehnt, dicht gefüllt mit Armut und Unmut, daß hinter den Teichen von Trianon mit den chinesischen Enten und wohlgefütterten Schwänen und Pfauen, hinter dem sauber und schmuck von Hofarchitekten entworfenen Paradedorf, dem Hameau, die wirklichen Bauernhäuser verfallen und die Scheunen leer stehen, daß hinter den vergoldeten Gittern ihrer Parks ein Millionenvolk arbeitet, hungert und hofft, hat Marie Antoinette nie gewußt. Vielleicht konnte dem Rokoko nur jenes Nichtwissen und Nichtwissenwollen um alle Tragik und Trübe der Welt jene bezaubernde Grazie, jene leichte, sorglose Anmut geben; nur wer den Ernst der Welt nicht kennt, kann ja so selig spielen. Aber eine Königin, die ihr Volk vergißt, wagt hohes Spiel. Eine Frage hätte Marie Antoinette die Welt aufgetan, aber sie wollte nicht fragen. Ein Blick in die Zeit, und sie hätte begriffen, aber sie wollte nicht begreifen. Sie wollte in ihrem Abseits heiter, jung und unbehelligt bleiben. Von einem Irrlicht geführt, geht sie unablässig im Kreise und versäumt mit ihren Hofmarionetten und inmitten einer künstlichen Kultur die entscheidenden und nicht wieder einzuholenden Jahre ihres Lebens.

      Das ist ihre Schuld, ihre unleugbare: mit einem Leichtsinn ohnegleichen hingetreten zu sein vor die gewaltigste Aufgabe der Geschichte, mit einem weichen Herzen in die härteste Auseinandersetzung des Jahrhunderts. Eine unleugbare Schuld und doch eine läßliche, weil begreiflich durch ein Maß der Versuchung, der auch ein stärkerer Charakter kaum hätte widerstehen können. Aus der Kinderstube ins Ehebett geholt, aus den Hinterzimmern eines Palastes über Nacht zur höchsten Macht gleichsam noch träumend gerufen, noch nicht fertig, noch nicht geistig erweckt, fühlt sich diese arglose, nicht sonderlich starke, nicht sonderlich wache Seele plötzlich sonnenhaft umkreist von einem Planetentanz der Bewunderung; und wie schurkisch gut ist dies Geschlecht des Dix-huitième geübt, eine junge Frau zu verführen! Wie durchtrieben geschult in der Giftmischerei feiner Schmeicheleien, wie erfinderisch in der Fertigkeit, mit Nichtigkeiten zu entzücken, wie meisterlich in der hohen Schule der Galanterie und der phäakischen Kunst, das Leben leicht zu nehmen! Erfahren und übererfahren in allen Verlockungen und Schwächungen der Seele, ziehen die Höflinge dieses unerfahrene, dieses auf sich selbst noch neugierige Mädchenherz gleich von Anfang an in ihren zauberischen Kreis. Seit dem ersten Tage ihres Königinnentums schwebt Marie Antoinette in einer Weihrauchwolke maßloser Vergötterung. Was sie sagt, gilt als klug, was sie tut, als Gesetz, was sie wünscht, wird erfüllt. Sie hat eine Laune, und morgen schon ist sie Mode. Sie macht eine Torheit, und ein ganzer Hof ahmt sie begeistert nach. Ihre Nähe ist Sonne für diese eitle, ehrgeizige Schar, ihr Blick ein Geschenk, ihr Lächeln Beglückung, ihr Kommen ein Fest; wenn sie Empfang hält, machen alle Damen, die ältesten wie die jüngsten, die vornehmsten wie die eben zum Hofe zugelassenen, die krampfhaftesten, die heitersten, die lächerlichsten, die läppischsten Anstrengungen, um Gottes willen nur für eine Sekunde ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, eine Artigkeit zu erhaschen, ein Wort, und wenn nicht dies, so doch wenigstens bemerkt und nicht übersehen zu werden. Auf den Straßen wiederum jubelt ihr das Volk, zu Scharen gereiht, gläubig entgegen, im Theater erhebt sich vom ersten Platz bis zum letzten die versammelte Zuhörerschaft, und wenn sie an den Spiegeln vorbeischreitet, sieht sie darin, herrlich gekleidet und vom eigenen Triumph beschwingt, eine junge hübsche Frau, sorglos und glücklich, so schön wie die schönsten am Hofe und somit auch – sie verwechselt ja diesen Hof mit der Welt – die schönste auf Erden. Wie mit einem kindischen Herzen, wie mit einer mittleren Kraft sich wehren gegen einen so betäubenden Rauschtrunk des Glücks, der aus allen scharfen und süßen Essenzen des Gefühls gemischt ist, aus dem Aufblick der Männer, dem bewundernden Neid der Frauen, der Hingabe des Volkes, aus dem eigenen Stolz? Wie nicht leichtsinnig werden, da alles so leicht ist? Da das Geld herschwebt auf immer neuen papiernen Zetteln und ein Wort, das eine Wort »payez«, flüchtig auf ein Blatt geschrieben, Dukaten tausendweise herrollt und kostbare Steine, Gärten und Schlösser hervorzaubert? Da die linde Luft des Glückes so süß und locker alle Nerven entspannt? Wie nicht sorglos und leichtherzig werden, wenn sich solche Schwingen vom Himmel her an die jungen leuchtenden Schultern heften? Wie nicht den Boden verlieren unter den Füßen, wenn einen solche Verführung entführt?

      Diese Leichtfertigkeit der Lebensauffassung, von dem Aspekt der Geschichte aus gesehen zweifellos ihre Schuld, war zugleich Schuld ihrer ganzen Generation: gerade durch ihr völliges Eingehen auf den Geist ihrer Zeit ist Marie Antoinette die typische Vertreterin des Dix-huitième geworden. Das Rokoko, diese überzüchtete und zarteste Blüte uralter Kultur, das Jahrhundert der feinen und müßigen Hände, des verspielten und verzärtelten Geistes, wollte, ehe es unterging, sich darstellen in einer Gestalt. Kein König, kein Mann hätte nun dies Jahrhundert der Dame im Bilderbuch der Geschichte repräsentieren können, – nur in der Figur einer Frau, einer Königin konnte es sich sinnlich abbilden, und diese Königin


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