Das Geheimnis der alten Mamsell. Eugenie Marlitt

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Das Geheimnis der alten Mamsell - Eugenie Marlitt


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Gestalt der Einsamen, ein leiser Schrei entfloh ihren Lippen; sie nahm mit der zitternden Rechten die Brille ab und erhob sich, während sie sich auf das Instrument stützte.

      »Wie kommst du hierher, mein Kind?« fragte sie endlich mit unsicherer Stimme, die jedoch trotz des Schreckens sanft und mild blieb.

      »Ueber die Dächer,« versetzte das ängstlich gewordene kleine Mädchen beklommen und zeigte mit der Hand zurück nach dem Hofe.

      »Ueber die Dächer? – Das ist unmöglich! Komm her, zeige mir, wie du gegangen bist.« Sie faßte die Hand des Kindes und trat mit ihm auf die Galerie. Felicitas deutete auf das Mansardenfenster und nach den Rinnen. Die alte Dame schlug entsetzt die Hände vor das Gesicht.

      »Ach, erschrecken Sie ja nicht!« sagte Felicitas mit ihrer lieblich unschuldigen Stimme. »Es ging wirklich ganz gut. Ich kann klettern wie ein Junge, und Doktor Böhm sagt immer, ich sei ein Flederwisch und hätte keine Knochen.«

      Die alte Mamsell ließ die Hände vom Gesicht fallen und lächelte – es lag noch so viel Anmut in diesem Lächeln, das zwei Reihen sehr schöner, weißer Zähne sehen ließ. Sie führte die Kleine in das Zimmer zurück und setzte sich in einen Lehnstuhl.

      »Du bist die kleine Fee, gelt?« sagte sie, indem sie Felicitas an ihre Kniee heranzog. »Ich weiß es, wenn du auch nicht auf rosa Gazewolken zu mir hereingeflogen bist ... Dein alter Freund Heinrich hat mir heute mittag von dir erzählt.«

      Bei Heinrichs Namen kam die ganze Wucht des Leides wieder über das Kind. Wie heute morgen stieg eine glühende Röte in die Wangen, und Groll und Weh zogen jene herben Linien um den kleinen Mund, die über Nacht den Ausdruck des Kindergesichts zu einem völlig anderen gemacht hatten ... Den Augen der alten Mamsell entging diese plötzliche Veränderung nicht. Sie nahm schmeichelnd das Gesicht des kleinen Mädchens zwischen ihre Hände und bog es zu sich herab.

      »Siehst du, mein Töchterchen,« fuhr sie fort, »seit vielen Jahren kommt der Heinrich allsonntäglich herauf zu mir, um Verschiedenes für mich zu besorgen ... Er weiß, daß er nie gegen mich erwähnen darf, was sich drunten im Vorderhause ereignet, und bisher hat er auch nie das Gebot überschritten ... Wie lieb muß er die kleine Fee haben, daß er plötzlich gegen meinen so streng ausgesprochenen Wunsch handeln konnte!«

      Die trotzigen Augen des Kindes schmolzen.

      »Ja, er hat mich lieb – sonst niemand,« sagte sie, und ihre Stimme brach.

      »Sonst niemand?« wiederholte die alte Dame, während ihr unaussprechlich sanfter Blick ernst liebevoll auf dem Gesichte der Kleinen ruhte. »Weißt du denn nicht, daß einer da ist, der dich immer lieb haben wird, auch wenn sich alle Menschen von dir abwenden sollten? ... Der liebe Gott –«

      »O, der will mich ja gar nicht, weil ich ein Spielerskind bin!« unterbrach Felicitas die Sprecherin mit ausbrechender Heftigkeit. »Frau Hellwig hat heute morgen gesagt, meine Seele sei so wie so verloren, und alle drunten im Vorderhause sagen, er habe meine arme Mama verstoßen, sie sei nicht bei ihm ... Ich habe ihn aber auch nicht mehr lieb – ganz und gar nicht, und ich will auch nicht zu ihm, wenn ich gestorben bin – was soll ich denn dort, wo meine Mama nicht ist?«

      »Gerechter Gott, was haben diese Grausamen mit ihrem sogenannten christlichen Glauben aus dir gemacht, armes Kind!«

      Die alte Dame erhob sich hastig und öffnete eine Seitenthür. Es war dem Kinde, als umflatterten hier weiße Wölkchen des Himmels sein Haupt. Ueber das in einer Ecke stehende Bett, über Thüren und Fenster floßen weiße Mullvorhänge herab. Die blaßgrüne Wand des kleinen Gemachs tauchte nur in einzelnen schmalen Streifen zwischen dem wolkigen Gewebe auf ... Welch ein Kontrast zwischen diesem kleinen Raume, so frisch und makellos rein, wie der Gedanke, der aus einer gesunden, unbefleckten Seele kommt, und jenem düsteren Boudoir drunten im Vorderhause, in welchem Frau Hellwig während der frühen Morgenstunden auf dem Betstuhle kniete, auf jenem Betstuhle, dessen gestickte Polster wohl für die grausigen Marterwerkzeuge, nirgends aber für ein Symbol des Friedens und der Versöhnung Raum hatten.

      Auf dem Nachttische, neben dem Bette, lag eine große, vielgebrauchte Bibel. Die alte Dame schlug sie mit sicherer, kundiger Hand auf und las laut und tiefbewegt: »Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.« Und sie las weiter und weiter und schloß mit dem Verse: »Die Liebe hört nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden und die Sprachen aufhören werden und das Erkenntnis aufhören wird.«

      »Und diese Liebe kommt von ihm, ja, Gott ist diese Liebe selbst,« sagte sie und legte ihren Arm um die Schultern des Kindes. »Deine Mama ist sein Kind, wie wir alle, und sie ist eingegangen zu ihm, denn ›die Liebe hört nimmer auf‹ ... Suche sie getrost da droben, und wenn du nachts aufblickst zum Himmel mit seinen Millionen wundervoller Sterne, so denke du fest und sicher: ›Neben einem solchen Himmel gibt es keine Hölle!‹ ... Und nun hast du ihn auch wieder lieb, gelt, recht von Herzen lieb, meine kleine Fee?«

      Das Kind antwortete nicht, aber es schlug leidenschaftlich beide Arme um die milde Trösterin, und ein heißer Thränenstrom stürzte aus seinen Augen. –

      Zwei Tage darauf hielt ein Wagen vor dem Hellwigschen Hause. Die Witwe stieg ein mit ihren zwei Söhnen, um ihnen das Geleit bis zur nächsten Stadt zu geben. Johannes ging nach Bonn, um Medizin zu studieren, zuvor aber sollte er Nathanael demselben Institut übergeben, in welchem er erzogen worden war.

      Heinrich stand breitspurig und behaglich in der offenen Hausthür neben Friederike und sah dem Wagen nach, der langsam und schwerfällig über das holprige Pflaster des Marktplatzes hinschwankte. Es zog etwas wie ein leiser Pfiff über seine gespitzten Lippen – bei ihm stets das Anzeichen einer wohligen Stimmung – und beide Daumen steckten fest eingeklemmt in den gewaltigen Fäusten, was der Volksmund ungefähr in die Worte übersetzt: »Herr, behüte uns, daß das Unheil nicht wiederkehre!«

      »Da können nun so ein halb Mandel Jährchen vergehen, bis wir den einen oder den anderen wieder ins Haus kriegen,« sagte er seelenvergnügt zu Friederike, die sich pflichtschuldigst mit dem Schürzenzipfel über die Augen fuhr.

      »Und das ist dir wohl ganz recht, du Dickkopf?« fuhr sie ihn an. »Ein schöner Dank für das Trinkgeld, das du vom jungen Herrn gekriegt hast!«

      »Geh in deine Küche – auf dem Herde liegt das Zeug noch; ich rühr's mit keinem Finger an! Kannst dir meinetwegen einen roten Rock und gelbe Schuhe zum Vogelschießen dafür kaufen.«

      »Ach, du gottheilloser Mensch! ... Einen roten Rock und gelbe Schuhe, wie eine, die auf dem Seile tanzt!« rief die alte Köchin erbittert. »Na, es ist nur gut, daß man weiß, warum du so wütend bist – der junge Herr hat dir's heute morgen gut gegeigt!«

      »I, was du nicht alles weißt!« warf der Hausknecht gleichmütig ein. Er steckte die Hände in die Seitentaschen seines Rockes, zog die Schultern in die Höhe und pflanzte sich noch breiter auf die Schwelle als bisher. Diese Haltung empörte Friederikes Gemüt stets bis zur Leidenschaft, denn es lag die äußerste Verachtung dessen drin, was sie sagte.

      »Hat der Mensch da zwanzig Thaler Lohn und höchstens fünfzig Thaler in der Sparkasse,« fuhr sie giftig fort, »und stellt sich vor seine reiche Herrschaft hin wie der Großmogul und spricht: ›Geben Sie mir das fremde Kind, ich bringe es bei meiner Schwester unter, es soll Ihnen keinen Heller kosten,‹ und –«

      »Und da hat der junge Herr geantwortet,« ergänzte Heinrich, indem er das Gesicht langsam der Erzürnten zuwendete: »›Das Kind ist in den besten Händen, Heinrich; es bleibt bis zu seinem achtzehnten Lebensjahre unter allen Umständen hier im Hause, und du wirst dich nicht unterstehen, es je zu bestärken, wenn es widerspenstig gegen meine Mutter ist, und – solltest du einmal wieder die alte Küchenhexe draußen beim Horchen ertappen, so nagle sie ohne Gnade am Ohrläppchen auf der Thür fest.‹ Was meinst du denn, Friederike, wenn ich jetzt –« er hob den Arm, und die alte Köchin floh schimpfend in die Küche.

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