Das Geheimnis der alten Mamsell. Eugenie Marlitt

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Das Geheimnis der alten Mamsell - Eugenie Marlitt


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suchte sie zu beruhigen soweit er es in seiner ungelenken Redeweise vermochte. Er erzählte ihr schonend den schrecklichen Vorfall im Rathaussaale und sagte schließlich, daß ja die Mama, von der die Leute schon damals gesagt hätten, sie sähe aus wie ein Engel, nun auch droben im Himmel sei und jeden Augenblick ihre kleine Fee sehen könne. Dann streichelte er zärtlich das Köpfchen des Kindes, das aufs neue in krampfhaftes Weinen ausbrach.

      Kapitel 8

      Am anderen Morgen hallte das Ausläuten der Glocken feierlich über die Stadt. Die schmale, steile Gasse hinauf strömten die Andächtigen nach der hochgelegenen Barfüßerkirche. Samt und Seide und auch minder kostbare, aber doch sonntägige Stoffe wurden in die Kirche getragen, nicht allein zur Ehre Gottes, sondern auch um der Augen des lieben Nächsten willen.

      Aus dem stattlichen Eckhause am Marktplatze schlüpfte eine kleine, schwarz umhüllte Gestalt. Niemand hätte unter dem großen, plumpen Umhängetuche, das eine Nadel unter dem Kinne zusammenhielt, die feinen, graziösen Formen der kleinen Felicitas zu entdecken vermocht. Friederike hatte der Kleinen das häßliche, grobe Gewebe mit den wichtig betonten Worten umgelegt, daß die Madame ihr das schöne Tuch zur Trauer schenke; dann hatte sie die Hausthür geöffnet und dem hinauseilenden Kinde streng anbefohlen, ja nicht etwa, wie sonst, in den Familienkirchenstuhl zu gehen – es sei Platz für sie auf den Bänkchen der Schulkinder.

      Felicitas drückte das Gesangbuch unter den Arm und schritt hastig um die Ecke. Es war unverkennbar, sie strebte ungeduldig vorwärts zu kommen; aber da drüben schritten feierlich gemessenen Ganges drei schwarzgekleidete Gestalten, deren Anblick sofort ihre Schritte verlangsamte ... Ja, dort ging sie, die große Frau inmitten ihrer zwei Söhne, und alle Menschen, die vorüberkamen, neigten sich tief und respektvoll. Sie hatte zwar das ganze Jahr über fast für niemand einen guten Blick, und der Mund sprach oft unbarmherzig zu denen, die Hilfe suchten; und dort der kleinere Knabe an ihrer Linken schlug die Bettelkinder, die sich ins Haus wagten, und trat mit Füßen nach ihnen. Er log auch abscheulich und schwur dann heilig und teuer, daß er nicht gelogen habe – aber das schadete alles nicht. Sie gingen jetzt in die Kirche, setzten sich in den streng abgeschlossenen Kirchenstuhl, hinter vornehme Glasscheiben, und beteten zum lieben Gott, und er hatte sie lieb, und sie kamen in seinen Himmel: denn – sie waren ja keine Spielersleute.

      Die drei Gestalten verschwanden in der Kirchenthür. Das Kind folgte ihnen mit den ängstlichen Augen, dann huschte es vorüber, vorüber an all den offenen Thüren, aus denen bereits der Orgelklang scholl, und die einen Blick gewährten in das magische Düster der Kirchenhalle, über die dichtgedrängten Reihen der Andächtigen. An das trotzig empörte, heftig pochende Kinderherz aber, das da draußen vorübereilte, schlug der Orgelton vergeblich. Es konnte heute nicht zum lieben Gott beten; er wollte ja nichts wissen von dem armen, erschossenen Mütterchen, er litt es nicht in seinem großen, blauen Himmel – es lag einsam draußen auf dem Gottesacker, und da mußte das Kind hin und mußte es besuchen.

      Felicitas bog ein in eine zweite Gasse, die noch steiler den Berg hinauflief, als die drunten neben dem Hause. Dann kam das häßliche Stadtthor mit dem noch viel häßlicheren Turme, der auf seinem Rücken dräute, aber durch die Thorwölbung leuchtete es grün. Da schlangen sich die prächtigen, wohlgepflegten Lindenalleen in wunderlichem Kontraste um alte, geschwärzte Stadtmauern, wie ein frischer Myrtenkranz um einen ergrauten Scheitel ... Wie war es so feierlich still hier oben! Das Kind erschrak vor seinen eigenen Schritten, unter denen der Kies knirschte – es ging ja auf verbotenem Wege. Aber es lief immer rascher und stand endlich, tief Atem schöpfend, vor dem Eingangsthore des Gottesackers.

      Noch nie hatte Felicitas diesen stillen Ort betreten – sie kannte jene kleinen, gleichförmig nebeneinander liegenden Felder noch nicht, jene Schlußsteine, unter denen das vielgestaltige Leben urplötzlich verbraust und verklingt. Neben dem schwarzen Eisengitter der Thür streckten zwei große Holunderbüsche die Zweige hervor, gebeugt von der Last ihrer schwarzen, glänzenden Beerendolden, und da seitwärts erhob sich das graue Gemäuer einer alten Kirche – das sah düster aus: aber dort hinüber dehnte sich ein weiter Plan, bunt besät mit Blumen und Büschen, auf denen das Gold der milden Herbstsonne lag.

      »Wenn willst du denn besuchen, Kleine?« fragte ein Mann, der in Hemdärmeln an der Thür des Leichenhauses lehnte und blaue Wolken aus seiner Tabakspfeife in die klare Luft blies.

      »Meine Mama,« entgegnete Felicitas hastig und ließ ihre Augen suchend über das große Blumenfeld gleiten.

      »So – ist die schon hier? – Wer war sie denn?«

      »Sie war eine Spielersfrau.«

      »Ah, die vor fünf Jahren auf dem Rathause umgekommen ist? ... Die liegt da drüben, gleich neben der Kirchenecke.«

      Da stand nun das kleine, verlassene Wesen vor dem Fleckchen Erde, das den Gegenstand all seiner süßen, sehnsüchtigen Kindesträume deckte! ... Ringsum lagen geschmückte Gräber; die meisten waren mit buntfarbigen Astern so völlig bedeckt, als habe der liebe Gott alle seine Sterne vom Himmel schneien lassen. Nur der schmale Streifen zu des Kindes Füßen zeigte dürres, verbranntes Gras, gemischt mit üppig wuchernden Queckenranken. Unachtsame Füße hatten bereits einen Weg darüber gebahnt; die anfangs lockere, von Regengüssen durchwühlte Erde war tief eingesunken, und mit ihr der weiße, schmucklose Stein zu Füßen des vernachlässigten Grabes – »Meta d'Orlowska« stand in großen, schwarzen Lettern dicht am Erdrande ... An diesem Steine kauerte sich Felicitas nieder, und ihre kleinen Hände wühlten in eienr von Gras entblößten Stelle ... Erde, nichts als Erde! Diese schwere, fühllose Masse lag auf dem zärtlichen Gesichte, auf der lieben Gestalt im lichtglänzenden Atlasgewande, auf den Blumen in den lilienweißen, erstarrten Händen. Jetzt wußte das Kind, daß die Mutter damals nicht bloß geschlafen habe.

      »Liebe Mama,« flüsterte sie, »du kannst mich nicht sehen, aber ich bin da, bei dir! Und wenn auch der liebe Gott nichts von dir wissen will – er hat dir ja nicht ein einziges Blümchen geschenkt – und kein Mensch kümmert sich um dich, ich hab' dich lieb und will immer zu dir kommen! ... Ich will auch nur dich allein lieb haben, nicht einmal den lieben Gott, denn er ist so streng und schlimm gegen dich!«

      Das war das erste Gebet des Kindes am Grabe der verfemten Mutter ... Ein leichtes Lüftchen strich vorüber, weich und kühlend, wie sich die beschwichtigende Mutterhand um die klopfenden Schläfe des fieberkranken Lieblings legt. Die Astern nickten herüber zu dem tieftraurigen Kinde, und auch durch die dürren Blütenrispen der Gräser zog es leise flüsternd; und droben dehnte sich der Himmel in durchsichtiger Klarheit – der ewige, wandellose Himmel, den Menschenbegriffe zu einem Tummelplatze irdischer Leidenschaften machen.

      Als Felicitas später in das düstere Haus am Marktplatze zurückkehrte – das Kind wußte nicht, wie lange es träumend da draußen auf dem weiten, stillen Totenfelde gesessen hatte – fand sie die Hausthür nur angelehnt. Sie schlüpfte hinein, blieb aber sofort erschrocken in der nächsten Ecke stehen, denn die Thür zu des Onkels Zimmer stand ziemlich weit offen, Johannes' Stimme klang heraus, und Felicitas hörte, wie er mit festen, langsamen Schritten auf und ab ging.

      Ein so eigentümlich wilder Trotz auch seit gestern über die Kleine gekommen war, die Furcht vor jener unbewegten, grausam kalten Stimme und den unerbittlichen, grauen Augen war doch noch größer. Sie konnte unmöglich in das Bereich der halboffenen Thür treten – ihre kleinen Füße standen wie eingewurzelt auf den Steinplatten.

      »Ich gebe dir vollkommen recht, Mama,« sagte Johannes drinnen, indem er stehen blieb; »das kleine, lästige Geschöpf wäre am besten in irgend einer braven Handwerkerfamilie aufgehoben. Aber dieser unvollendete Brief hier ist für mich so maßgebend, wie ein rechtskräftiges Testament ... Einmal sagt der Papa, daß er das Kind um keinen Preis aus dem Schutze seines Hauses entlassen werden – es sei denn, daß es der Vater selbst zurückfordere – und hier mit den Worten: ›- ich würde deshalb auch unbedingt die Sorge um das mir anvertraute Kind in deine Hände legen –‹ macht er mich unwiderleglich zum Vollstrecker seines Willens ... Es kommt mir durchaus nicht zu, an der Handlungsweise meines Vaters irgendwie zu mäkeln, aber wenn er gewußt hätte, wie unsagbar zuwider mir die Menschenklasse ist, aus der das Kind stammt –


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