Das Geheimnis der alten Mamsell. Eugenie Marlitt

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Das Geheimnis der alten Mamsell - Eugenie Marlitt


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Hellwigs hatte den Garten in altfranzösischem Stile angelegt. Es war sicher eine Meisterhand gewesen, von welcher die rings verteilten, lebensgroßen mythologischen Figuren und Gruppen aus Sandstein herrührten. Freilich hoben sich die hellen Gestalten scharf ab von den düsteren, steifen Taxuswänden. Die reizenden, aber ziemlich unverhüllten Formen einer Flora, die entblößten zarten Schultern und Arme der sich sträubenden Proserpina und die muskulöse Nacktheit ihres gewaltigen Entführers mußten den Blick des Eintretenden sogleich auf sich ziehen – und das waren in der That Steine des Anstoßes für Frau Hellwig. Sie hatte anfänglich die Hinwegschaffung dieser »sündhaften Darstellung des menschlichen Leibes« gebieterisch verlangt, allein Hellwig rettete seine Lieblinge durch Vorzeigung des väterlichen Testaments, in welchem ausdrücklich die Entfernung der Statuen untersagt wurde. Hierauf hatte Frau Hellwig nichts Eiligeres zu thun, als zu Füßen der mythologischen Zankäpfel eine Wildnis von Schlingpflanzen anlegen zu lassen, und nicht lange dauerte es, so erschien Herrn Plutos grimmiges Gesicht unter einer ehrwürdigen, grünen Allongeperücke. Eines schönen Morgens aber riß Heinrich auf Befehl seines Herrn mit einem wahren Wonnegefühl die grünen Schmarotzer bis auf das kleinste Wurzelfäserchen aus der Erde, und seit der Zeit vermied es Frau Hellwig im Interesse ihres Seelenheils, noch mehr aber darum, weil die Statuen hohnlächelnde Zeugen ihrer Niederlage waren, den Garten zu betreten. Gerade deshalb wurde er aber auch die eigentliche Heimat der kleinen Felicitas.

      Hinter den großen Taxuswänden dehnte sich ein großer, prächtiger Rasenfleck. Riesige Nußbäume senkten die Stämme tief ein in das blumengesprenkelte Gras, und ein rauschender Mühlbach durchschnitt zum Teil die grüne Fläche; seine Borde umsäumte dichtes Haselgesträuch, und der kleine beraste Damm, den man zum Schutze gegen das im Frühling reißende Gewässer aufgeworfen hatte, schimmerte im Mai gelb von Schlüsselblumen, und später lugten die rosenroten Aeuglein der Feldnelken zwischen den wehenden Halmen.

      Felicitas lernte unermüdlich und saß mit merkwürdig beherrschter Haltung in den Lehrstunden. Wenn aber Hellwig am späten Nachmittage den Unterricht für beendet erklärte, dann erschien sie plötzlich völlig umgewandelt. Noch hochrot vom Lerneifer, war sie doch wie toll, wie berauscht von der Freiheit: sie konnte immer und immer wieder mit hochgehobenen Armen, wie ohne Zweck und Ziel, über den Rasenplatz jagen, ungebändigt, in wilder Grazie, wie das junge Roß der Steppe. Dann glitt sie blitzschnell am Stamme eines Nußbaumes empor, tauchte den Kopf, umwogt von aufgelösten Haarmassen, jauchzend aus der höchsten Spitze des Wipfels und lag dann plötzlich wieder drunten am Mühlbache; die gefalteten Hände unter den Kopf gelegt und in das grüne Düster der droben leise auf und ab wehenden gefiederten Nußblätter schauend, träumte sie, träumte jene hellen, trügerischen Gebilde von Welt und Zukunft, die sich wohl hinter jeder lebhaft denkenden Kinderstirne aus gehörten goldenen Märchen und der eigenen Einbildungskraft zusammenweben ... Drunten rauschte das Wasser eintönig vorüber; die Sonnenstrahlen taumelten auf den Wellen und drangen gedämpft durch die dunklen Haselbüsche wie halbverschleierte, geheimnisvolle Glutaugen; Bienen und Hummeln summten vorüber, und die Schmetterlinge, die, im Vordergarten gelangweilt, die sorgfältig gepflegten exotischen Gewächse umflattert hatten, fanden hier das gelobte Land und hingen sich furchtlos an die Blumenkelche dicht neben der Wange des kleinen Mädchens ...

      Es zogen wohl auch phantastisch geformte, weiße leuchtende Wölkchen droben über den Baumwipfel – dann stand plötzlich eine rätselhafte Vergangenheit vor den Augen des tief sinnenden Kindes. Weiß und leuchtend war ja auch das Gewand der Mutter gewesen; das Kerzenlicht hatte sich förmlich in dem milchweißen Glanze des Stoffes gespiegelt, der lang und mit Blumen bestreut über das vermeintliche schmale Bett herabgeflossen war. Felicitas wunderte sich noch immer, daß die Mutter Blumen in den Händen gehabt und ihr keine einzige geschenkt hatte; sie grübelte und sann, weshalb man ihr damals nicht erlauben wollte, die Mama wach zu küssen, was doch sonst jeden Morgen unter gegenseitiger Schelmerei, zum großen Jubel des Kindes, hatte geschehen dürfen – sie wußte nicht, daß das bezaubernde Mutterantlitz, welches sich stets in leidenschaftlicher Zärtlichkeit über sie herabgeneigt, längst unter der Erde moderte. Hellwig hatte nie gewagt, ihr die Wahrheit zu sagen; denn wenn sie auch nach einem Zeitraume von fünf Jahren nicht mehr so bitterlich weinend und mit stürmischer Heftigkeit nach den Eltern verlangte, so sprach sie doch stets mit rührender Zärtlichkeit von ihnen und hielt ihres Pflegevaters doppelsinniges Versprechen, daß sie die Ihrigen dereinst wiedersehen werde, mit unzerstörbarer Ueberzeugung fest. Ebensowenig kannte sie den Beruf ihres Vaters; er selbst hatte es so gewünscht, und deshalb sah Hellwig streng darauf, daß niemand im Hause mit der Kleinen von der Vergangenheit spreche. Es fiel ihm nicht ein, daß der wohlthätige Schleier, den er vor ihren Augen festhielt, vor der Zeit seiner Hand entfallen könne – er dachte nicht an seinen eigenen Tod; und doch schritt dies furchtbare Gespenst längst unhörbar, aber sicher neben ihm. Er war unheilbar brustleidend, allein, wie alle derartigen Kranken, hatte er die unerschütterlichsten Lebenshoffnungen. Er mußte bereits auf dem Rollstuhle in seinen geliebten Garten gefahren werden – das nannte er vorübergehende Schwäche, die ihn durchaus nicht hinderte, großartige Bau- und Reisepläne zu entwerfen.

      Eines Nachmittags trat Doktor Böhm in Hellwigs Zimmer. Der Kranke saß an seinem Schreibtische und schrieb emsig; verschiedene Kissen, die man hinter seinem Rücken und zu beiden Seiten in den Lehnstuhl gesteckt hatte, hielten die abgezehrte gebrochene Gestalt aufrecht.

      »Heda!« rief der Doktor, indem er mit dem Stocke drohte. »Was sind denn das für Extravaganzen? .. Wer, ins Henkers Namen, hat dir denn das Schreiben erlaubt? Willst du wohl gleich die Feder hinlegen!«

      Hellwig drehte sich um – ein heiteres Lächeln spielte um seine Lippen. »Da hast du wieder einmal das Exempel!« erwiderte er sarkastisch. »Doktor und Tod gehören zusammen ... Ich schreibe da an den Jungen, den Johannes, über die kleine Fee, und da fällt mir, der ich in meinem ganzen Leben nie weniger ans Sterben gedacht hatte, als gerade jetzt, in dem Augenblicke, wo du ins Haus trittst, der Satz da aus der Feder.«

      Der Doktor bog sich nieder und las laut: »Ich halte viel von Deinem Charakter, Johannes, und würde deshalb auch unbedingt die Sorge um das mir anvertraute Kind in Deine Hände legen, falls ich früher aus der Welt gehen sollte, als –«

      »Basta, und nun für heute kein Wort weiter!« sagte der Lesende, während er einen Kasten aufzog und den halbvollendeten Brief hineinlegte. Dann griff er rasch nach dem Pulse des Kranken, und sein Blick glitt verstohlen über die zwei zirkelrunden roten Flecken, die auf den scharf hervortretenden Backenknochen glühten.

      »Du bist wie ein Kind, Hellwig!« schalt er. »Ich darf nur den Rücken wenden, so machst du sicher dumme Streiche.«

      »Und du tyrannisierst mich himmelschreiend. Aber warte nur, mit nächstem Mai brenne ich dir durch, und dann magst du mir meinetwegen bis in die Schweiz nachlaufen.«

      Tags darauf standen die Fenster des Krankenzimmers im Hellwig'schen Hause weit offen. Ein durchdringender Moschusduft quoll hinaus in die Straße, und ein Mann in Trauerkleidung schritt durch die Stadt, um den Honoratioren im Auftrage der trauernden Witwe anzuzeigen, daß Herr Hellwig vor einer Stunde das Zeitliche gesegnet habe.

      Kapitel 6

      Unter dem grünverhangenen, nach der Hausflur mündenden Fenster, da, wo vor fünf Jahren die schöne unglückliche Frau des Taschenspielers die Pein tiefer Demütigung erlitten hatte, stand der Sarg mit Hellwigs sterblichen Ueberresten. Man hatte die Hülle des ehemaligen Kauf- und Handelsherrn noch einmal mit allem Glanze des Reichtums umgeben. Massiv silberne Handhaben schimmerten am Totenschreine, und das Haupt des Heimgegangenen ruhte auf einem weißen Atlaskissen. – Schrecklicher Kontrast! Neben dem eingefallenen Totengesichte dufteten frisch abgeschnittene Blumen, junges, unschuldiges Leben, bestimmt, vor der Zeit zu sterben, zur Ehre des Toten!

      Viele Leute kamen und gingen, flüsternd und geräuschlos. Der da lag, war ein reicher, angesehener und sehr freigebiger Mann gewesen, aber nun war er ja tot. Fast aller Augen huschten scheu und rasch über die bleichen, zerstörten Züge und konnten sich nicht satt sehen an dem Prunke, dem letzten Aufflackern irdischer Herrlichkeit.

      Felicitas kauerte in einer dunklen Ecke, hinter den Kübeln mehrerer Oleander und Orangenbäume. Zwei Tage


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