Das Geheimnis der alten Mamsell. Eugenie Marlitt

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Das Geheimnis der alten Mamsell - Eugenie Marlitt


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war Kaufmann. Erbe eines bedeutenden Vermögens, hatte er dasselbe durch verschiedene industrielle Unternehmungen noch vermehrt. Er zog sich jedoch, weil er kränkelte, ziemlich früh aus der Geschäftswelt zurück und privatisierte in seiner kleinen Vaterstadt. Der Name Hellwig hatte da einen gewichtigen Klang. Die Familie war seit undenklichen Zeiten eine der angesehensten, und durch viele Generationen hindurch hatte immer einer der Träger des geachteten Namens irgend ein Ehrenamt der Stadt bekleidet. Der schönste Garten vor den Thoren des Städtchens und das Haus am Markte waren seit Menschengedenken im Besitze der Familie. Das Haus bildete die Ecke des Marktplatzes und einer steil bergaufsteigenden Straße, und an dieser Ecke lief die stattliche Fronte des Gebäudes in einen weit hervorspringenden Erker aus. In den zwei oberen Stockwerken hingen jahraus, jahrein schneeweiße Rouleaus hinter den Scheiben; nur dreimal im Jahre und dann stets einige Tage vor den hohen Festen verschwanden die Hüllen – es wurde gelüftet und gescheuert. Die mächtigen, erzenen Drachenköpfe hoch oben am Dache, die das Regenwasser aus der Dachrinne hinunter auf das Pflaster spieen, die Vögel, welche vorüberflatterten, sahen dann die aufgespeicherten Schätze des alten Kaufmannshauses, sahen die altmodische Pracht der Zimmer – jene hohen Schränke von kostbarer eingelegter Arbeit mit den blitzenden Schlössern und Handhaben, die reichen seidendamastenen Ueberzüge auf den strotzenden Daunenkissen der Kanapees und den hochgepolsterten Stühlen, die deckenhohen, in die Wand eingefügten, venezianischen Spiegel und in den Kammern die hochaufgestapelten Gastbetten, deren Leinenüberzügen ein starker Lavendelduft entquoll.

      Diese Räume wurden nicht bewohnt. Es war niemals Sitte in der Familie Hellwig gewesen, einen Teil des geräumigen Hauses zu vermieten. Durch alle Zeiten hatte da droben vornehmes, feierliches Schweigen geherrscht, das nur unterbrochen wurde durch eine glänzende Hochzeit oder Kindtaufe und im Laufe des Jahres dann und wann durch den hallenden Schritt der Hausfrau, die dort ihre Leinenschätze, ihr Silber- und Porzellangeschirr verwahrt hielt.

      Frau Hellwig war als zwölfjähriges Kind in dies Haus gekommen. Die Hellwigs waren ihr verwandt und nahmen sie auf, als ihre Eltern rasch hintereinander starben und sie und ihre Geschwister mittellos hinterließen. Das junge Mädchen hatte einen schweren Stand der alten Tante gegenüber, die eine strenge und stolze Frau war. Hellwig, der einzige Sohn des Hauses, empfand anfänglich Mitleiden für sie, später aber verwandelte sich die Teilnahme in Liebe. Seine Mutter war entschieden gegen seine Wahl, und es kam deshalb zu schlimmen Auftritten, allein der Liebende setzte schließlich seinen Willen durch und führte das Mädchen heim. Er hatte die mürrische Schweigsamkeit der Geliebten für mädchenhafte Schüchternheit, ihre Herzenskälte für sittliche Strenge, ihren starren Sinn für Charakter gehalten und stürzte mit dem Eintritt in die Ehe aus all seinen Himmeln. Binnen kurzem fühlte der gutmütige Mann die eiserne Faust einer despotischen Seele im Genicke, und da, wo er dankbare Hingebung gehofft hatte, trat ihm plötzlich der krasseste Egoismus entgegen.

      Seine Frau schenkte ihm zwei Kinder, den kleinen Nathanael und seinen um acht Jahre älteren Bruder Johannes. Den letzteren hatte Hellwig schon als elfjähriges Kind zu einem Verwandten, einem Gelehrten, gebracht, der am Rhein lebte und Vorstand eines großen Knabeninstituts war.

      Das waren Hellwigs Familienverhältnisse zu der Zeit, wo er das Kind des Taschenspielers in sein Haus nahm. Das schreckliche Ereignis, dessen Zeuge er gewesen war, hatte ihn tief erschüttert. Er konnte den flehenden, unsäglich schmerzlichen Blick der Unglücklichen nicht vergessen, als sie gedemütigt in seiner Hausflur gestanden und seinen Thaler in Empfang genommen hatte. Sein weiches Herz litt unter dem Gedanken, daß es vielleicht sein Haus gewesen war, wo das arme Weib den letzten verwundenden Stachel ihrer unglückseligen Lebensstellung hatte empfinden müssen. Als daher der Pole ihm die letzte Bitte der Verstorbenen mitteilte, da erbot er sich rasch, das Kind erziehen zu wollen. Erst als er auf die dunkle Straße hinaustrat, wohin ihm der letzte, herzzerreißende Abschiedsruf des unglücklichen Mannes nachscholl, und wo die Kleine, ihre Aermchen fester um seinen Hals schlingend, nach der Mama frug, erst da dachte er an den Widerspruch, der ihn voraussichtlich daheim erwartete; allein er rechnete auf den Liebreiz des Kindes und auf den Umstand, daß seiner eigenen Ehe ja ein Töchterchen versagt sei – er hatte trotz aller schlimmen Erfahrungen noch immer keinen vollkommenen Begriff von dem Charakter seines Weibes, sonst hätte er sofort umkehren und das Kind in die Arme des Vaters zurückbringen müssen.

      War bis dahin das Verhältnis zwischen Hellwig und seiner Frau ein frostiges gewesen, so hatte es jetzt nach der Aufnahme der kleinen Waise den Anschein, als seien granitene Mauern zwischen dem Ehepaar aufgestiegen. Im Hause ging zwar alles seinen Gang unbeirrt fort. Frau Hellwig wanderte täglich mehrere Male durch die Haus- und Wirtschaftsräume – sie hatte durchaus keinen schwebenden Gang, und für ein feines oder gar ein ängstliches Ohr hatten diese harten, festen Schritte etwas Nervenaufregendes. Fortwährend glitt dabei ihre rechte Hand über Möbel, Fenstersimse und Treppengeländer – es war ein unbezwinglicher Hang, eine Manie dieser Frau, die große, weiße Hand mit den kolbigen Fingerspitzen und den breiten Nägeln über alles hinstreifen zu lassen und dann die innere Fläche sorgsam zu prüfen, ob nicht Staubatome oder das verpönte Fädchen eines Spinnewebenversuchs daran hänge ... Es wurde gebetet nach wie vor, und die Stimmen, die Gottes ewige Liebe und Barmherzigkeit priesen, die sein Gebot wiederholten, nach welchem wir selbst unsere Feinde lieben sollen, sie klangen genau so eintönig und unbewegt, wie vorher auch. Man nahm die Mahlzeiten gemeinschaftlich ein, und Sonntags schritt das Ehepaar einträchtig nebeneinander zur Kirche. Aber Frau Hellwig vermied es mit eiserner Konsequenz, ihren Mann anzureden. Sie fertigte seine Annäherungsversuche mit der knappesten Kürze ab und machte es möglich, stets neben oder über der kleinen Gestalt des Hausherrn hinwegzusehen. Ebensowenig existierte der kleine Eindringling für sie. Sie hatte an jenem stürmischen Abende der Köchin ein für allemal befohlen, täglich eine Portion Essen mehr anzurichten, und in die Kammer derselben einige Bettstücke nebst Leinzeug geworfen. Den kleinen Koffer mit Felicitas' Habseligkeiten, den unterdes der Hausknecht aus dem »Löwen« gebracht, mußte Friederike vor den Augen der Hausfrau öffnen, und die äußerst sauber gehaltene, kleine Garderobe, welcher der Hauch eines sehr feinen Odeurs entquoll, sofort auf einen offenen Gang zum Auslüften hängen ... Hiermit begann und beschloß sie die ihr aufgedrungene Fürsorge für das »Spielerskind«, und als sie danach wieder in das Zimmer trat, war sie mit diesem Kapitel innerlich fertig für alle Zeiten. Nur ein einziges Mal schien es, als ob ein Funke Teilnahme in ihr aufglimme. Eines Tages nämlich saß eine Nähterin im Wohnzimmer und fertigte aus einem dunklen Stoffe zwei Kleider für Felicitas, genau nach dem strengen Schnitte, wie die Frau des Hauses sich trug. Zu gleicher Zeit preßte Frau Hellwig die widerstrebende Kleine zwischen ihre Kniee und bearbeitete deren Kopf so lange mit Bürste, Kamm und Pomade, bis das wundervolle Lockengeringel die erwünschte Glätte und Nachgiebigkeit erhielt und sich in zwei häßliche, steife Zöpfe am Hinterkopfe zwängen ließ ... Die Abneigung dieses Weibes gegen Grazie und Anmut, gegen alles, was wider die Gebote ihrer verknöcherten Ansichten stritt, und was seine Linien und Formen aus dem Gebiete des Idealen entnahm – jener Widerwille war stärker noch als ihr Starrsinn, als der Vorsatz, die Anwesenheit des Kindes im Hause völlig zu ignorieren ... Hellwig hätte weinen mögen, als ihm sein kleiner Liebling so entstellt entgegentrat, während seine Frau nach der Sühne, die ihr schönheitsfeindlicher Sinn gebieterisch verlangt hatte, womöglich noch zurückweisender gegen das Kind war als vorher.

      Noch war indes die Kleine nicht zu beklagen; noch konnte sie aus dem Bereiche jener Medusenaugen an ein warmes Herz flüchten – Hellwig liebte sie wie seine eigenen Kinder. Freilich fand er nicht den Mut, dies offen auszusprechen, – seinen Fonds von Energie hatte er an jenem ereignisvollen Abende seiner Frau gegenüber völlig erschöpft – aber sein Auge wachte unablässig über Felicitas. Gleich Nathanael hatte sie ihr Spielwinkelchen in ihres Pflegevaters Zimmer; dort durfte sie ungestört ihre Puppen herzen und sie einwiegen mit den Melodien, die sie noch gelernt hatte auf den Knieen der Mutter. Nathanael ging nicht in die öffentliche Schule; er erhielt seinen Unterricht von Privatlehrern unter den Augen des Vaters, und als Felicitas ihr sechstes Jahr erreicht hatte, begann dieser Unterricht auch für sie. Sobald aber der Schnee schmolz und Krokus und Schneeglöckchen die noch leeren, schwarzen Rabatten besäumten, wanderte Hellwig täglich mit den Kindern hinaus in seinen großen Garten; da draußen wurde gelernt und gespielt, während man nur zur Essenszeit das Haus am Marktplatze aufsuchte. Frau Hellwig betrat sehr selten den Garten; sie zog es vor, mit dem Strickstrumpfe in


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