Der Weg ins Freie. Arthur Schnitzler

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Der Weg ins Freie - Arthur Schnitzler


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sein. Es ist nur das Unglück, daß das Gefühl zuweilen an Menschen weiter hängen bleibt, während der Verstand schon längst nichts mehr mit ihnen zu tun hat. Ein Dichter wenn Sie mir das Wort gestatten müßte sich von jedem zurückziehen, der für ihn kein Rätsel mehr hat ... also besonders von jedem, den er liebt.«

      »Es heißt doch«, wandte Else ein, »daß wir gerade diejenigen am wenigsten kennen, die wir lieben.«

      »Das behauptet Nürnberger, aber es stimmt nicht ganz. Wäre es wirklich so, liebe Else, dann wäre das Leben wahrscheinlich schöner, als es ist. Nein, diejenigen, die wir lieben, kennen wir sogar besser als wir andere kennen, nur kennen wir sie mit Scham, mit Erbitterung und mit der Furcht, daß auch andre sie ebensogut kennen als wir. Lieben heißt: Angst davor haben, daß andern die Fehler offenbar werden, die wir an dem geliebten Wesen entdeckt haben. Lieben heißt: in die Zukunft schauen können und diese Gabe verfluchen ... lieben heißt: jemanden so kennen, daß man daran zugrunde geht.«

      Else lehnte am Klavier, in ihrer damenhaft-kindlichen Art, neugierig gelassen, und hörte ihm zu. Wie gut gefiel er ihr in solchen Augenblicken. Sie hätte ihm wieder tröstend übers Haar streichen wollen wie damals auf dem See, als er von der Liebe zu jener andern wie zerrissen war. Aber wenn er sich dann plötzlich zurückzog, kühl, trocken und wie ausgelöscht erschien, da fühlte sie, daß sie mit ihm nie leben könnte, daß sie ihm nach ein paar Wochen davonlaufen müßte ... mit einem spanischen Offizier oder einem Violinvirtuosen.

      »Es ist gut«, sagte sie, etwas gönnerhaft, »daß Sie mit Georg Wergenthin verkehren. Er wird günstig auf Sie wirken. Er ist ruhiger als Sie. Ich glaube ja nicht, daß er so begabt und gewiß nicht, daß er so klug ist wie Sie ...«

      »Was wissen Sie von seiner Begabung«, unterbrach sie Heinrich beinahe grob.

      Georg trat hinzu und fragte Else, ob man heute nicht das Vergnügen haben werde, ein Lied von ihr zu hören. Sie hatte keine Lust. Übrigens studiere sie hauptsächlich Opernpartien in der letzten Zeit. Das interessiere sie mehr. Sie sei doch eigentlich keine lyrische Natur. Georg fragte sie zum Scherz, ob sie nicht vielleicht die geheime Absicht habe zur Bühne zu gehen.

      »Mit dem bissel Stimme!« sagte Else.

      Nürnberger stand neben ihnen. »Das wäre doch kein Hindernis«, bemerkte er. »Ich bin sogar überzeugt, daß sich sehr bald ein moderner Kritiker fände, der Sie gerade deswegen als bedeutende Sängerin ausriefe, Fräulein Else, weil Sie keine Stimme besitzen, der aber dafür irgend eine andere Gabe, zum Beispiel die der Charakteristik bei Ihnen entdeckte. So wie es heutzutage namhafte Maler gibt, die keinen Farbensinn haben, aber Geist; und Dichter von Ruf, denen zwar nicht das geringste einfällt, denen es aber gelingt zu jedem Hauptwort das falscheste Epitheton zu finden.«

      Else merkte, daß die Redeweise Nürnbergers Georg nervös machte und wandte sich an diesen. »Ich wollte Ihnen ja etwas zeigen«, sagte sie und machte ein paar Schritte zu der Notenetagere. Georg folgte ihr.

      »Hier die Sammlung alt-italienischer Volkslieder. Ich möchte, daß Sie mir die wertvollsten bezeichnen. Ich selber verstehe doch nicht genug davon.«

      »Ich begreife gar nicht«, sagte Georg leise, »daß Sie Menschen wie diesen Nürnberger in Ihrer Nähe ertragen. Er verbreitet einen wahren Dunstkreis von Mißtrauen und Übelwollen um sich.«

      »Das hab ich Ihnen schon öfters gesagt, Georg, ein Menschenkenner sind Sie nicht. Was wissen Sie denn überhaupt von ihm? Er ist anders, als Sie glauben. Fragen Sie nur einmal Ihren Freund Heinrich Bermann.«

      »O ich weiß ja, daß der auch für ihn schwärmt«, erwiderte Georg.

      »Ihr sprecht von Nürnberger?« fragte Frau Ehrenberg, die eben dazutrat.

      »Der Georg kann ihn nicht leiden«, sagte Else in ihrer beiläufigen Art.

      »Da tun Sie aber sehr Unrecht daran; haben Sie überhaupt je was von ihm gelesen?«

      Georg schüttelte den Kopf.

      »Nicht einmal seinen Roman, der vor fünfzehn oder sechzehn Jahren so großes Aufsehen gemacht hat? Das ist ja beinah eine Schand! Neulich haben wir ihn dem Hofrat Wilt geliehen. Ich sag Ihnen, der war paff, wie in dem Buch eigentlich schon das ganze heutige Österreich vorausgeahnt ist.«

      »So, so«, sagte Georg ohne Überzeugung.

      »Sie können sich gar nicht vorstellen«, fuhr Frau Ehrenberg fort, »mit welchem Jubel Nürnberger damals begrüßt worden ist. Man könnte sagen, alle Tore sind vor ihm aufgesprungen.«

      »Vielleicht war ihm das genug«, bemerkte Else nachdenklich altklug.

      Heinrich stand am Klavier im Gespräch mit Nürnberger und bemühte sich, wie er es oftmals tat, ihn zu einer neuen Arbeit oder zu einer Herausgabe älterer Schriften zu bestimmen.

      Nürnberger wehrte ab. Der Gedanke, seinen Namen wieder in die Öffentlichkeit gezerrt zu sehen, im literarischen Wirbel der Zeit mitzutreiben, der ihm widerlich und albern zugleich erschien, erfüllte ihn geradezu mit Schaudern. Er hatte keine Lust, da mit zu konkurrieren. Wozu? Cliquenwirtschaft, die sich kein Mäntelchen mehr umnahm, war überall am Werke. Gab es noch ein tüchtig, ehrlich strebendes Talent, das nicht jeden Augenblick gefaßt sein mußte, in den Kot gezogen zu werden; war noch ein Flachkopf zu finden, der sich nicht ausweisen konnte, in irgend einem Blättchen als Genie erklärt worden zu sein? Hatte Ruhm in diesen Tagen noch das geringste mit Ehre zu tun? Und übersehen, vergessen werden, war das auch nur ein Achselzucken des Bedauerns wert? Und wer konnte am Ende wissen, welche Urteile sich in der Zukunft als die richtigen erweisen würden? Waren nicht die Tröpfe wirklich die Genies und die Genies die Tröpfe? Es war lächerlich, sich mit dem Einsatz seiner Ruhe ja seiner Selbstachtung in ein Spiel einzulassen, in dem auch der höchstmögliche Gewinn keine Befriedigung versprach.

      »Gar keine?« fragte Heinrich. »Ich will Ihnen ja allerlei preisgeben, Ruhm, Reichtum, Wirkung in die Weite; aber daß man, weil alle diese Güter zweifelhaft sind, auch auf etwas so Unzweifelhaftes verzichten soll, wie es die Augenblicke des innern Kraftgefühls sind ...«

      »Inneres Kraftgefühl! Warum sagen Sie nicht gleich Seligkeit des Schaffens? ...«

      »Gibts, Nürnberger!«

      »Mag sein. Ich glaube mich sogar zu erinnern, vor sehr langer Zeit gelegentlich selbst irgend was derart empfunden zu haben ... Nur ist mir, Sie wissen es ja, die Fähigkeit, mich selbst zu betrügen, im Lauf der Jahre völlig abhanden gekommen.«

      »Das glauben Sie vielleicht nur«, erwiderte Heinrich. »Wer weiß, ob es nicht gerade diese Fähigkeit des Sichselbstbetrügens ist, die Sie im Laufe der Zeit am stärksten in sich ausgebildet haben!«

      Nürnberger lachte. »Wissen Sie, wie mir zu Mute ist, wenn ich Sie so reden höre? Ungefähr wie einem Fechtmeister, der von seinem eigenen Schüler einen Stich ins Herz bekommt.«

      »Und nicht einmal von seinem besten«, sagte Heinrich.

      Plötzlich erschien in der Türe Herr Ehrenberg, zur Verwunderung seiner Frau, die ihn schon auf dem Wege zur Bahn vermutet hatte. Er führte eine junge Dame an der Hand, die einfach schwarz gekleidet war und das Haar nach einer verflossenen Mode auffallend hoch frisiert trug. Ihre Lippen waren voll und rot, die Augen in dem lebendig blassen Gesicht blickten klar und hart.

      »Kommen Sie nur«, sagte Ehrenberg mit einiger Bosheit in den kleinen Augen und führte den Gast geradewegs zu Else, die eben mit Stanzides plauderte. »Hier bring ich dir einen Besuch.«

      Else streckte ihr die Hand entgegen. »Das ist aber nett.« Sie stellte vor: »Herr Demeter Stanzides. Fräulein Therese Golowski.«

      Therese nickte kurz und ließ eine Weile ihren Blick auf ihm ruhen, unbefangen, als betrachtete sie ein schönes Tier.

      Dann wandte sie sich an Else: »Wenn ich gewußt hätte, daß Ihr so große Gesellschaft habt ...«

      »Wissen Sie, wie die ausschaut?« sagte Stanzides leise zu Georg, »wie eine russische Studentin, nicht wahr?«

      Georg nickte. »Ungefähr. Ich


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