Die Gefühle der Tiere. Peter Wohlleben

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Die Gefühle der Tiere - Peter Wohlleben


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Aufmerksamkeit und eine gewisse Hilflosigkeit, kurz, Raubtiere können masturbierende Männchen oder Weibchen viel leichter erbeuten. Normalerweise müsste die Evolution derartiges Handeln daher längst ausgemerzt haben, die Frage wäre nur: wie? Denn die Reizung der Geschlechtsorgane soll ja belohnende Gefühle auslösen, und eine Manipulation des Besitzers an diesen empfindlichen Körperteilen muss ebenfalls möglich sein, etwa um sie zu reinigen. Vielleicht ist es aber auch eine Art sexuelles Trainingsprogramm oder dient ganz einfach der Entspannung. Denn nicht immer findet sich ein paarungswilliger Partner, und bevor der Triebstau zu mächtig wird, alles andere überlagert, ist es möglicherweise günstiger, diesen selbst ruckzuck abzubauen und sich wieder den Alltagsgeschäften zu widmen. Aktuell geben je nach Studie rund 80 Prozent der Bevölkerung der Industriestaaten an, zu masturbieren. Wenn Tiere vielfach ähnlich ticken, ähnliche Möglichkeiten haben und höchstes Vergnügen beim Sex empfinden, sollte die Wissenschaft auf breiter Flur fündig werden. Sie wird und nicht nur sie. Wie verstörte Hundebesitzer in Internetforen berichten, verschaffen sich sexuell besonders aktive Rüden hin und wieder Entspannung. Ob mit den Pfoten, durch bloßes In-die-Luft-Stoßen oder mithilfe einer alten Decke, der Beleg des Bemühens landet vor den menschlichen Rudelmitgliedern, denen dabei regelmäßig der Appetit vergeht. Auch unser Ziegenbock namens Vito demonstrierte früher seine Libido fast täglich. Mit seinem erigierten Penis beförderte er Urin und Sperma nicht nur gegen seine vormals weißen Vorderbeine, sondern meist auch noch ins Maul. Der Duft muss unter Ziegen umwerfend sein, denn paarungsbereite Ziegendamen fanden Vito unwiderstehlich (Besucher unseres Anwesens allerdings weniger).

      Schaut man sich zwischen den Säugetieren um, so wird man überall fündig. Ob Braunbären oder Wildkatzen, viele wurden schon dabei beobachtet, Pfote und Schnauze einzusetzen oder Baumstämme zur Hilfe zu nehmen. Bereits im Jahre 1902 beschrieb Autor Hermann Rohleder masturbierende Hirsche sowie Pferde. Aber auch andere Klassen von Landwirbeltieren vergnügen sich. Beobachtungen werden bei in Gefangenschaft gehaltenen Vögeln, etwa Wellensittichen, gemacht, die ihre Kloake an der Hand des genervten Besitzers reiben. Von den allermeisten Tierarten fehlen jedoch solche Hinweise. Das kann vielerlei Gründe haben. Zum einen gibt es vielleicht etliche Spezies, die keinen derartigen Drang verspüren. Zudem lässt sich das Phänomen naturbedingt bei Weibchen nicht so gut beobachten. Andererseits ist Masturbation selbst im menschlichen Bereich ein Tabuthema, welches möglicherweise deswegen bei Wissenschaftlern nicht im Brennpunkt von Untersuchungen steht. Davon abgesehen wäre eine Beobachtung sicherlich nicht gerade einfach: Woran etwa sollte man masturbierende Stubenfliegen oder Kreuzspinnen erkennen?

      Zumindest lassen die bisherigen Ergebnisse zum Thema Masturbation den Schluss zu, dass zahlreichen Arten auch Sex mit Partnern Spaß macht – wobei es sich zuweilen um ein sehr einseitiges Vergnügen handeln kann. Das lässt sich auch an weniger erfreulichen Erscheinungen festmachen. So hat das freundliche Bild dümpelnder Stockenten seit einigen Jahren tiefe Kratzer bekommen. Immer wieder wurden Vergewaltigungen beobachtet. Dazu rotten sich Gruppen von Erpeln zusammen und überfallen ahnungslos auf dem Teich paddelnde Weibchen und ertränken diese bei ihren Kopulationsversuchen fast. Ob es allerdings nur die reine Lust ist oder vielleicht ebenso Rang-, Gewalt- und Machtfaktoren eine Rolle spielen, ist unbekannt. Vielleicht spielt auch der Stress auf städtischen Teichen eine Rolle, bei denen die Populationen durch ständige Fütterung unnatürlich angeschwollen sind.

      Es geht aber auch anders. Kraniche finden sich zu Paaren, die oft lebenslang zusammenbleiben. Im Frühjahr wird erst lange und fleißig getanzt. Dabei springen die Partner voreinander in die Luft, flattern mit den Flügeln, recken den Kopf und rufen, um gleich darauf im Kreis zu gehen. Höhepunkt ist die Aufforderung des Weibchens an das Männchen, aufzuspringen und den Akt zu vollziehen. Einfühlsamer und mit ausgeprägterem Hinweis auf absolute Freiwilligkeit geht es nicht mehr. Hier ist die Paarung der stärkste Ausdruck der Zugehörigkeit und Verbundenheit – und des gemeinsamen Spaßes.

      Und wie steht es mit der Liebe?

      Ohne positive Gefühle kein Sex und keine Vermehrung – das sollte auch für viele Tierarten feststehen. Wie aber sieht es mit der »höherwertigen« Emotion aus, die für uns Menschen vielfach dazugehört – der Liebe? Sie ist wie die meisten Gefühle schwer zu definieren. Wikipedia gibt an, es sei die stärkste Zuneigungsform, die ein Mensch für einen anderen oder auch für ein Tier empfinden könne; sie bedürfe keiner Erwiderung und müsse keinen »Nutzen« haben. Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Familie, und Ihr Mann / Ihre Frau würde bedroht. Wären Sie bereit, Ihr Leben für Ihren Partner zu riskieren? Und vorausgesetzt, die Antwort lautete: »Ja!«, wäre das nicht absolut uneigennützig? Man könnte zwar argumentieren, dass der Schutz des Lebensgefährten auch dem Erhalt der eigenen Kinder und damit der eigenen Gene gelte. Somit wäre bedingungslose Liebe ein erfolgreiches Programm der Evolution. Speziell in unserem konstruierten Fall, bei der Wahl also, ob der Partner oder Sie sich opfern sollten, greift es aber nicht. Denn zum Überleben der Kinder ist es völlig egal, welcher Elternteil übrig bleibt. Rein evolutionär müsste eigentlich Ihr Egoismus siegen, denn abhängig von Alter und Geschlecht könnten Sie künftig mit einem neuen Partner erneut Nachwuchs haben.

      Können Tiere so ein uneigennütziges Gefühl ebenfalls haben? Und wenn ja, wie soll man das beweisen? Lassen Sie uns nach Beispielen für die stärkste Zuneigungsform suchen. Wie wäre es mit Mutterliebe? Auch hier hilft mir ein Blick in unseren häuslichen Zoo. Alljährlich im Spätwinter klingt zaghaftes Gemecker aus dem Ziegengehege: Die Lämmchen sind geboren. Die Antwort der Mutterziege fällt um Oktaven tiefer aus, fast schon brummelnd, und scheint zu bedeuten: »Alles in Ordnung, Kleines, ich bin bei Dir!« Übertrieben? In diesem Fall wohl nicht, denn die »Worte« der Ziegenmutter scheinen beruhigend auf ihr Kind zu wirken. Gegen fremde Lämmer sind die Mamas regelrecht aggressiv, stoßen und schubsen sie mit ihren Hörnern von sich weg, um Versuche von Milchraub zu unterbinden. Ihren eigenen Nachwuchs schieben sie zärtlich mit der Schnauze zum Euter und schnuppern, um sich endgültig zu vergewissern, schnell noch am Hinterteil der quirligen Kobolde. Gerät später auf der Weide eines der Kleinen einmal hinter einem Hügel außer Sichtweite, so hebt ein fast flehendes, lautes Meckern an, welches sich deutlich von den Wohlfühllauten unterscheidet. Die Ziegenmutter macht sich rufend auf die Suche, bis sie den Ausreißer gefunden hat. Dieser nimmt, egal, ob satt oder hungrig, ein paar Schlucke Milch aus dem Euter, bis sich beide wieder beruhigt haben. Mutterliebe? Sicher, das kennen Tiere! Tiermütter würden alles für ihren Nachwuchs tun, stellen sich sogar ihren Todfeinden, nur um ihr Kind wohlauf zu wissen. Es gibt in freier Wildbahn nichts Gefährlicheres als Tiermütter, die keine Fluchtmöglichkeit für die Kleinen sehen: Egal, ob Wildschwein, Elch oder Bär, solche Begegnungen können für den unbedarften Wanderer tödlich ausgehen.

       Von wegen blöde Ziege!

      Im Märchen »Tischlein deck dich!« der Gebrüder Grimm wird eine Ziege beschrieben, die mit den Söhnen eines Schneiders ein böses Spiel zu treiben scheint. Obwohl sie stets auf die beste Weide geführt wird, behauptet sie jeden Abend, Hunger zu haben (worauf die Söhne einer nach dem anderen aus dem Haus gejagt werden). Zu Zeiten, in denen Weideland knapp war, musste Futter vollständig verwertet werden. Und während Schafe treu und brav sämtliches Gras wie mit dem Rasenmäher gemäht abweiden, zupfen Ziegen hier ein Blättchen, da ein Kräutlein, und lassen manche Flecken gänzlich unangetastet. Das konnte den Besitzer schon einmal ärgerlich machen, weil die Tiere abends im Stall immer noch Hunger hatten, obwohl sie doch den ganzen Tag fressen durften. Ziegen sind tatsächlich sehr wählerisch, suchen die schmackhaftesten Pflanzen oder diejenigen, welche ihnen im Moment besonders gut tun. So können es ein Farn gegen Wurmbefall sein, etwas Rinde von Sträuchern zur Zufuhr von Mineralien oder besonders saftige Stauden gegen den Durst. Wo Artgenossen ihr Geschäft verrichtet haben, gehen sie schnurstracks vorbei, um sich nicht mit Parasiten zu infizieren. All dies trägt dazu bei, dass Ziegen gesund bleiben. Nur wenn der Mensch sie zwingt, wochenlang auf einer kleinen, eingezäunten Weide zu bleiben, bis der letzte Halm vertilgt ist, dann bleibt ihnen nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel oder das verschmutzte Gras zu beißen. Und selbst dann ist ihr Drang zum gesunden Futter


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