Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich
Читать онлайн книгу.c) Organisierte Kriminalität und Schwarzmarkt
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Ähnliche Erwägungen lassen sich auch hinsichtlich des Gemeinschaftsbelangs „Bekämpfung der Organisierten Kriminalität“ anbringen. Schließlich wird diesbezüglich das Argument ins Spiel gebracht, dass das Verbot den Schwarzmarkt erst generiere und damit den Nährboden für organisierte Kriminalität schaffe. Soweit man sich vor Augen führt, dass der Drogenhandel weltweit die Haupteinnahmequelle der organisierten Kriminalität darstellt, erscheint das Argument, die organisierte Kriminalität werde sich dann auf andere Geschäftszweige konzentrieren, kaum stichhaltig.[332] Außerdem ist es empirisch noch nicht geklärt, welche Effekte die Trennung von Märkten auf den Schwarzmarkt hat.[333] Niemand wird noch ernsthaft behaupten wollen, dass Modifikationen der lex lata – gleich welcher Art – zur Auflösung des Schwarzmarktes führen würden.[334]
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Wenn dann dennoch betont wird, dass eine Aufhebung der Prohibition den Schwarzmarkt nicht beseitigen werde, kommt auch hier wieder das typische Argumentationsmuster zum Vorschein. Erwägungen, die für eine Teillegalisierung sprechen, werden aufgrund vermeintlicher Schwächen zurückgewiesen, ohne dass damit die eigene Haltung bekräftigt wurde.[335] Gleiches gilt, wenn es heißt, die Gesundheitskosten würden ansteigen[336] (ohne zu berücksichtigen, dass im Gegenzug die Strafverfolgungskosten sinken[337]) oder es könnten schwere Gesundheitsschäden nicht verhindert werden (ohne zu betonen, dass sie in Relation zum geltenden Recht zumindest vermindert werden könnten; dies wird man nach den ersten Erfolgen minimaler harm reduction Maßnahmen nicht ernsthaft in Frage stellen können).[338]
d) Fazit
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Unabhängig davon, ob man den legitimen Zweck des Eingriffs im Jugendschutz allein, in der Gesundheit des Einzelnen oder – wie das BVerfG – in dem nicht von Drogen beeinträchtigten Zusammenleben sieht, deutet die Ausgestaltung des Eingriffs dahin, dass der mittels Strafandrohung unterbundene Konsum bzw. die Verbreitung von Drogen verhindert werden und die Entstehung einer Abhängigkeit verhindert werden soll.[339] Fokussiert man sich nun auf die Frage, inwiefern die Prohibition samt den daran knüpfenden Sanktionsnormen die Konsumgewohnheiten in der Gesellschaft beeinflusst, um die Geeignetheit[340] bzw. Angemessenheit[341] des Verbots auszuloten, steht man als Adressat der Verbotsvorschrift, welche die Geeignetheit anzweifelt, hinsichtlich des Prüfungs- und Darlegungsmaßstabs vor dem bereits beschriebenen Dilemma.[342] Man kann zunächst zahlreiche Erwägungen anstellen, die gegen solch eine Wechselwirkung von Verbot und Konsumverhalten sprechen und diese auf eine empirisch gesicherte Datenlage stützen; etwa auf die ununterbrochen steigende Verfügbarkeit bei gleichzeitig sinkenden Preisen illegaler Drogen aufmerksam machen.[343] Außerdem könnte man hervorheben, dass die Illegalität der Droge nur ein erster „Konsumprädiktor“ ist, der selten dauerhaft Bestand hat (wie dies bereits so eben zum Ausdruck kam), weil Cannabiskonsum normativ „als private Angelegenheit definiert wird“ und „das strafrechtliche Verbot für diese Entscheidung keinerlei Rolle“ spielt (vielmehr weitere Faktoren wie Konsum- und „Konsumenten“-Erfahrung, Religionszugehörigkeit/Weltanschauung, Alter/Geschlecht/Bildung/Wohnort etc.).[344]
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Doch lässt man bereits eine Überzeugung von einer irgendwie gearteten „Auch-Geeignetheit“ genügen, wird man derlei Erwägungen als nicht fundierte Behauptungen zurückweisen, vor allem die epidemiologische Vergleichbarkeit von Ländern ohne sanktionsbewehrten Verboten wegen abweichender sozialer Rahmenbedingungen verneinen. Selbst wenn man davon ausginge, dass diese „Verneinung“ kriminologisch bzw. soziologisch schlicht unhaltbar ist, wird die Überzeugung, dass die Sanktionsbewehrung „auch-geeignet“ ist, weiterhin ausreichen. Hat man die Geeignetheit allerdings hinter sich, befindet man sich auf der Ebene der Erforderlichkeit wieder auf „sicheren Gefilden“, da man sich nun im Anschluss schlicht auf seine Einschätzungsprärogative stützen und vertreten kann, dass in Relation zur Sanktionsbewehrung kein „gleich effektives“ Mittel zur Verfügung stehe. Das Auswahlermessen des Gesetzgebers betrifft dann die geltende Rechtslage und (scheinbar weit entfernte) Alternativen, die man kaum abschätzen kann. Mit der Vermutung, andere (nicht exemplifizierte) Konzepte könnten die Verbreitung nicht ebenso gut verhindern, wird der aktuelle Zustand legitimiert. Das ist schon in Anbetracht des Umstands, dass verschiedene Alternativen in Betracht gezogen werden müssen, problematisch, aber vor allem verfassungsrechtsmethodisch eine Bankrotterklärung, da man auf diese Weise jedes bereits existente Gesetz legitimieren kann.
3. Betäubungsmittelrecht de lege ferenda
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Die Tatsache, dass die Argumente gegen eine Legalisierung den derzeitigen Rechtszustand nicht zugleich bekräftigen, müsste Anlass genug sein, die Überprüfung, ob gleich geeignete, aber weniger einschneidende Mittel existierten, zuzulassen, mithin das „Sozialexperiment“ des Verzichts auf das Strafrecht. Damit würde man nicht nur dem Bürger ein Stück Freiheit zurückgeben und Vertrauen in die Rechtsgemeinschaft signalisieren, sondern könnte bereits nach kurzer Zeit auf (evidenzbasierte) Forschung zurückgreifen. Zudem sind gesetzgeberische Schritte nicht unumkehrbar. Eine Teillegalisierung bzw. Entkriminalisierung stellt keine Einbahnstraße dar; verspielt der Bürger das Vertrauen, besteht wiederum die Möglichkeit das Verbot erneut zu erlassen. Dass sich der Einfluss des gesetzgeberischen Eingriffs wahrscheinlich erst langfristig bemerkbar machen wird, spricht nicht gegen derartige Vorstöße, sondern macht deutlich, dass kurzfristig ohnehin keine erheblichen Gefahren für die Gesellschaft bzw. Rechtsgemeinschaft zu prognostizieren sind.
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Die Palette denkbarer Neukonzeptionen (Entkriminalisierung, Legalisierung) kann und muss an dieser Stelle auch nicht detailliert dargestellt werden;[345] der Gesetzgeber sollte sich jedoch im Klaren sein, dass zahlreiche Baustellen der Drogenpolitik angegangen werden können, ohne das geltende System in Frage zu stellen. Neben einer Implementierung weiterer harm-reduction-Maßnahmen (wie z.B. dem drug-checking[346]), sollte über eine deutlichere Abkoppelung der medizinischen Versorgung nachgedacht, ein garantierter Zugang zur Notfallmedizin, insbesondere Naloxon-Kits[347] gewährleistet und auf verbesserte Bedingungen für Drogenabhängige in der Haft hingewirkt werden.[348] In Drogennotfällen sollte sich die Strafandrohung auf diejenige, die aus der Verletzung der Hilfspflicht resultiert (§ 323c StGB, ggf. §§ 212, 13 StGB), beschränken, mithin sollte der gemeinsame Konsument nicht aus Angst vor Aufdeckung des eigenen Drogenbesitzes davon absehen, Menschenleben zu retten.[349]
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Auch was den Handel angeht, besteht, wie sich aus den Ausführungen bei Rn. 60 ff. ergeben haben dürfte, dringender Handlungsbedarf. Die mit der ausufernden Auslegung des Handeltreibens einhergehenden dogmatischen Friktionen erfordern eine gesetzgeberische Klarstellung. Die Qualifikationstatbestände müssen neu geordnet, die Versuchs- und Fahrlässigkeitsstrafbarkeit auf wenige (dogmatisch sinnvolle) Fälle beschränkt werden.[350] Darüber hinaus oder alternativ ist über spezifische Strafzumessungsvorschriften nachzudenken, welche Strafrahmenverschiebungen für in der Rechtsprechung bereits anerkannte Konstellationen beinhalten, etwa beim Handeln als Kurier, bei einem geringen Gewinn oder bei der Eigenschaft als „social supplier“.[351] Den Anfang könnte man mit der Einfügung einer tätigen Reue Vorschrift (in einem neuen § 30c BtMG-E) machen, welcher den „Rücktritt“ vom Handeltreiben einerseits, die besondere Situation des agent provocateur bzw. Lockspitzels andererseits angemessen erfasst.[352]
I. Strafprozessrecht und „Giftsachen“
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