Von Bagdad nach Stambul. Karl May

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Von Bagdad nach Stambul - Karl May


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so hätte ich ihn von der Gefahr benachrichtigt, die ihm drohte.«

      »Siehest du, Emir, daß ich recht habe! Ich konnte nur zweierlei tun: – entweder mußte ich dir mein Vorhaben verschweigen, oder ich mußte dich gefangen nehmen und mit Gewalt bei mir behalten, bis alles vorüber war. Da ich dein Freund war, so habe ich das erstere getan.«

      »Ich aber bin in der Nacht in das Lager zu den zehn Männern gegangen, die du dort zurückgelassen hattest,« lautete meine ruhige Antwort.

      »Was wolltest du bei ihnen?« fragte der Khan.

      »Sie gefangen nehmen.«

      »Allah! Warum?«

      »Weil ich erfuhr, daß du uns verlassen hattest. Ich wußte nicht, was mir geschehen könnte; darum nahm ich alle da gebliebenen Bejat gefangen, um sie als Bürgschaft meiner Sicherheit zu gebrauchen.«

      »Herr, du bist ein sehr vorsichtiger Mann; aber du konntest mir trauen. Was hast du mit dem Bebbeh getan?«

      »Nichts. Ich bekam ihn gar nicht zu sehen, denn er war entflohen.«

      Der Khan entfärbte sich und rief:

      »Derigh![15] Das ist ja ganz unmöglich! Das kann mir alles verderben. Laß mich hinein zu diesen Hunden, welche sicher geschlafen haben, als sie wachen sollten!«

      Jetzt erst sprang er vom Pferde, ließ es stehen und stürmte zwischen den Felsen hindurch dem Lagerplatze zu. Wir folgten ihm beide, Halef und ich. Zwischen dem Khane und seinen Leuten gab es nun eine Szene, die kaum zu beschreiben ist. Er tobte wie ein angeschossener Eber, teilte Fußtritte und Faustschläge aus und war nicht eher zu beruhigen, als bis er seine Kräfte erschöpft hatte. Ich hätte diesem Manne eine solche Wut gar nicht zugetraut.

      »Laß deinen Zorn schwinden, Khan,« bat ich schließlich. »Du hättest diesen Mann doch frei lassen müssen.«

      »Ich hätte es getan,« zürnte er; »aber heut noch nicht, denn mein Plan soll nicht verraten werden.«

      »Welches ist dein Plan?«

      »Wir haben alles mitgenommen, was wir bei den Bebbeh gefunden haben. Jetzt nun wird das Gute von dem Schlechten getrennt. Alles Wertvolle schicke ich auf weiten, aber sicheren Umwegen zu den Unserigen; alles Schlechte aber nehmen wir Andern, die wir zu den Dschiaf gehen, mit uns. Unterwegs lassen wir es stellenweise zurück. Auf diese Art lenken wir die Verfolgung auf uns; die Bebbeh glauben, sie seien von einer Abteilung der Dschiaf überfallen worden, und meine Leute kommen mit der Beute sicher zu den Lagerplätzen und Dörfern der Bejat.«

      »Dieser Plan ist gut ausgedacht.«

      »Aber nun wohl ohne Erfolg. Der gefangene Bebbeh gehörte zu der Abteilung, die wir überfallen haben; er wußte, daß wir Bejat sind, und wird alles verraten. Er hat sicher geahnt, was wir beabsichtigten. Er hat ein sehr gutes Pferd. Wie nun, wenn er, noch während wir mit dem Ueberfalle beschäftigt waren, die Schnelligkeit seines Tieres benutzt hat, um die befreundeten Lager in der Nähe in Alarm zu bringen?«

      »Das wäre schlimm für euch und auch für uns, denn er hat uns bei euch gesehen,« antwortete ich.

      »Er kennt auch unsern Lagerplatz, und es steht zu erwarten, daß der Eingang zu diesen Felsen den Bebbeh bekannt ist.«

      Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, so erscholl vom Eingang her ein lauter Ruf:

      »Allah ‚l Allah! Da sind sie! Nehmt sie lebendig gefangen!«

      Wir drehten uns um und erkannten den entflohenen Bebbeh, welcher mit funkelnden Augen auf mich zusprang; hinter ihm quoll ein zahlreiches Gefolge durch die Enge auf den Platz, und zugleich erhob sich ein fürchterliches Geheul, mit zahlreichen Flintenschüssen untermischt. Wir hatten den Vorgang außerhalb des Lagers gar nicht beachtet und sogar vergessen, den Eingang bewachen zu lassen.

      Ich hatte übrigens nicht die mindeste Zeit zum Nachdenken, denn der Bebbeh, in welchem ich jetzt einen Khan oder Scheik vermutete, kam auf mich zu. Er trug weder Lanze noch Büchse bei sich, ganz so wie seine Gefährten; aber in seiner Hand funkelte der gewundene afghanische Dolch.

      Ich empfing den kühnen Gegner mit freien Händen, ohne nach einer Waffe zu greifen. Mit der Linken umfaßte ich mit raschem Griff seine Rechte, welche den Dolch hielt, und meine Rechte legte ich ihm um den Hals.

      »Stirb, Räuber!« rief er, unter einem gewaltigen Ruck, seine bewaffnete Faust freizumachen.

      »Du irrst,« antwortete ich. »Ich bin kein Bejat; ich wußte nicht, daß ihr überfallen werden solltet!«

      »Du bist ein Dieb, ein Hund! Du hast mich gefangen genommen; jetzt aber sollst du mein Gefangener werden. Ich bin Scheik Gasahl Gaboya, dem noch keiner entgangen ist!«

      Wie ein Blitz zuckte mir die Erinnerung durch das Hirn, daß ich diesen Namen schon als denjenigen eines der tapfersten Kurden gehört hatte. Da galt es kein Bedenken mehr.

      »So nimm du mich gefangen, wenn du kannst!« antwortete ich.

      Bei diesen Worten ließ ich beide Hände von ihm ab und trat zurück. Er mochte dies als eine Schwäche von mir erkennen, stieß einen triumphierenden Schrei aus und erhob den Arm hoch zum Stoße. Das wollte ich haben: ich rannte ihm meine Faust mit solcher Gewalt in die entblößte Achselhöhle, daß seine Füße augenblicklich den Halt verloren. Sein Körper beschrieb einen weiten Bogen und stürzte sechs Schritte von mir entfernt zu Boden, und ehe er sich wieder aufraffen konnte, schlug ich ihm die geballte Faust auf die Schläfe, so daß er liegen blieb.

      »Auf die Pferde, und mir nach!« rief ich.

      Ein Blick zeigte mir die ganze Szene. Es waren ungefähr zwanzig Bebbeh eingedrungen. Die Bejat standen mit ihnen im Kampfe. Master Lindsay hatte zwei gegen sich und entledigte sich soeben des einen mit einem Schlage seines Büchsenkolbens; die beiden Haddedihn hatten sich nebeneinander an den Felsen gelehnt und ließen keinen an sich kommen, und der kleine Halef kniete auf einem niedergeworfenen Feinde, dessen Kopf er mit dem Kolben seiner Pistole bearbeitete.

      »Sihdi, nicht fliehen! Wir werden mit ihnen fertig!« beantwortete der mutige Hadschi meinen Ruf.

      »Draußen sind mehrere; die Bejat sind überfallen. Vorwärts! Schnell!«

      Ich entriß dem an der Erde liegenden Gasahl Gaboya seinen Dolch, um ein Andenken an diesen unglücklich beginnenden Tag mitzunehmen, und sprang auf mein Pferd. Um den gehörigen Anlauf zu bekommen und zugleich auch den Freunden Luft zu verschaffen, zog ich den Rappen empor, gab ihm die Sporen und trieb ihn mitten in die Bebbeh hinein. Hier ließ ich ihn nach allen Seiten ausschlagen, bis ich die vier Gefährten beritten sah, und trieb ihn dann mit einem weiten Satze in den Busch hinein, den er mit seinen Hufen niederriß. Draußen mußte ich sofort halten, da man nur im Schritte vorwärts kommen konnte; doch erhielten die vier Kameraden immerhin Raum genug, um mir augenblicklich folgen zu können.

      Sobald ich die Felsen hinter mir hatte und mich mit einem Blick überzeugte, daß alle vier entkommen waren, gab ich dem Hengste die Schenkel und galoppierte in die offene Ebene hinaus. Die Andern folgten.

      Eine kurze Umschau erklärte mir den ganzen Sachverhalt. Dieser Scheik Gasahl Gaboya war wirklich ein kluger Mann; denn anstatt seine Abteilung zu warnen, die doch zum Widerstande zu schwach gewesen wäre, war er bemüht gewesen, die ganze Umgegend in Aufruhr zu versetzen, und während die mit Beute beladenen Bejat ahnungslos ihrem Lager zuzogen, war dasselbe bereits von drei Seiten, wenn auch in sehr weiter Entfernung, so eingeschlossen, daß die Räuber froh sein mußten, mit dem nackten Leben zu entkommen. Hinter uns tobte der Kampf. Wie es den Bebbeh dort gelungen war, unbemerkt und plötzlich an die Bejat zu kommen, das zu untersuchen, hatte ich keine Zeit. Links von uns sah ich eine breite Linie von Reitern im Galopp sich dem Kampfplatze nahen. Und rechts von uns war die ganze Gegend bis hinaus zum äußersten Horizont mit beweglichen Punkten bestreut; auch das waren Reiter.

      »Vorwärts, Effendi!« rief Mohammed Emin. »Sonst schließen sie uns ein! Bist du mit heiler Haut davongekommen?«

      »Ja. Und du?«

      »Eine kleine Schramme.«

      Wirklich blutete er an der Wange, aber


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<p>15</p>

Persische Interjektion für »o wehe!«