Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Dritter Band. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.war ihr wieder gesichert, und auf weiter dachte sie ja überhaupt nie hinaus.
»Ach, Jeremias,« rief Oskar, der sich bis jetzt damit beschäftigt hatte, einen defecten Stuhl als »Falle« irgendwo am Tische aufzustellen, mit der stillen Hoffnung, daß sich Jemand darauf setzen würde – »thun Sie mir den Gefallen und holen Sie mir ein Glas Wasser – ich werde Sie königlich belohnen!«
»So? Sie wollen mir wohl einen Orden geben?« sagte der kleine Bursche, ohne weiter Notiz von ihm zu nehmen – da hinten steht die Caraffe mit Gläsern – bitte, langen Sie zu – oder wollen Sie lieber den Kaffee haben? Der ist dünn genug.«
Die Frau Gräfin ging an Felix vorüber und warf ihm einen flüchtigen, sehr vornehmen Blick zu, vor welchem der junge Mann die Zähne fest zusammenbiß. Als sie sich wandte, verließ sie Herr von Pulteleben, um nach Helenen hinüber zu gehen. Wie die Dame wieder an Felix vorüberrauschte und mit dem Fächer dabei wedelte und Herrn Rohrland gnädig zuwinkte, der ihr das heruntergefallene Taschentuch aufgehoben, wandte sie sich plötzlich gegen den jungen Grafen, und in einer imposanten Stellung vor ihm haltend, und ihn vom Kopfe bis zu den Füßen musternd, sagte sie scharf:
»Apropos, mein Herr, wie war doch gleich Ihr Name – ah, ja, Randolph – wo habe ich Sie eigentlich schon gesehen, denn Ihr Gesicht kommt mir merkwürdig bekannt vor. Waren Sie nicht einmal Commis auf Santa Catharina?«
»Es wundert mich kaum, daß Sie mich nicht mehr kennen, Madame Baulen,« sagte Felix und sah sie fest an, »denn als Sie den Dienst meiner Mutter verließen, trug ich noch keinen Bart. Mein Name ist Felix Randolph, Graf von Rottack.«
Er sprach das Erste mit nur halblauter Stimme, seinen Namen jedoch klar und deutlich, wie für die ganze Gesellschaft bestimmt. Hätte aber ein Erdbeben das Haus in seinen Grundfesten erzittern machen, und Wände und Decke durch einander geworfen, die Frau Gräfin Baulen würde nicht mehr und furchtbarer erbebt sein, wie sie jetzt, an allen Gliedern gelähmt, vor ihm stand, und ihn mit stieren, entsetzten Blicken anstarrte.
»Um Gottes willen, was ist Dir, Mama?« rief Helene, welche in diesem Augenblicke auf sie zuflog und sie mit ihren Armen stützte.
»Nichts als ein leichtes Unwohlsein,« sagte Graf Rottack kalt, verbeugte sich flüchtig und schritt auf Günther zu, der eben mit dem Director gesprochen hatte. Er nahm auch ohne Weiteres dessen Arm und führte ihn vor die Thür hinaus.
»Willst Du fort?« fragte dieser.
»Ich sagte Dir vorhin, daß ich schon zu lange geblieben bin,« erwiederte Felix, und ihre Hüte von den Haken nehmend, schritten die beiden Freunde in die Nacht hinaus.
Die Gräfin hatte sich indessen gewaltsam gesammelt, und ihr Auge scheu umher werfend, traf ihr Blick den des Barons, welcher ein sehr erstaunter Zeuge der ganzen Scene gewesen, aber leider etwas schwerhörig war, um Alles genau zu verstehen. Nur den letzten Namen hatte er vernommen. Er trat indessen rasch auf sie zu und fragte artig:
»Ist Ihnen nicht wohl, meine Gnädige? Wenn die Comtesse vielleicht ein wenig englisches Salz in der Nähe hätte.«
»Ich danke Ihnen, Baron,« wies aber die Gräfin die Hülfe zurück – »ich danke Dir, mein Kind – »es ist schon vorüber. Meine albernen Nerven spielen mir manchmal einen solchen Streich.«
Herr von Pulteleben, welcher von der ganzen Scene gar Nichts gesehen und gehört hatte, da er sich gerade auf den von Oskar hingestellten Stuhl gesetzt und beinahe damit umgefallen wäre, schlug jetzt einen Spaziergang im Garten vor. Es war eine wundervolle Nacht, und er hoffte jedenfalls auf eine Promenade Arm in Arm mit seiner Braut. Die meisten Gäste waren aber müde, da sie heute den ganzen Tag auf der Auction zugebracht, der Director schien ebenfalls erschöpft, da er noch außerdem dem Wein sehr tüchtig zugesprochen, und es dauerte nicht lange, so rüstete sich Alles zum Aufbruche.
Eine kleine Verwirrung entstand jetzt, da durch irgend ein Versehen – Oskar war außer sich über Jeremias' Tölpelhaftigkeit – alle Tücher und Hüte an falsche Plätze und in die größte Unordnung gerathen waren. Aber auch das regulirte sich endlich, und während Oskar noch ein Wenig in den Garten ging, um dort unten in aller Bequemlichkeit und in der frischen Nachtluft seine Cigarre rauchen zu können, trat Herr von Pulteleben noch einmal in das Zimmer der Damen – hatte er doch jetzt ein Recht gewonnen, sich ihnen vertraulich zu nähern – und bat Helenen, daß sie ihm erlauben möchte, ihr noch einmal zu sagen, wie glücklich sie ihn heute gemacht habe.
»Bleiben Sie noch hier, lieber Arno,« sagte aber auch die Gräfin, denn sie nannte ihn von heute an vertraulich bei seinem Vornamen – »ich habe selber noch mit Ihnen zu reden, und zum zu Bette gehen ist es doch eigentlich noch zu früh.«
»Aber was hattest Du nur vorher mit dem jungen Fremden, Mama?« fragte Helene; »er verließ uns auch nachher so plötzlich.«
»Er hatte sich schon vorher bei mir empfohlen,« sagte die Mutter, die ihre ganze Fassung schon lange wieder gewonnen und ihren weiteren Plan entworfen hatte – »wir sind wirklich alte Bekannte von Deutschland her – er ist der Sohn einer Jugendfreundin von mir, der Gräfin Rottack.«
»Ein Graf Rottack?« rief Herr von Pulteleben erstaunt, und Helene sah ihre Mutter überrascht und fragend an.
»Ja – ist das etwas so Außerordentliches?« fuhr aber diese fort – »Randolph war nur sein Vorname, und er theilte mir eine erschütternde Nachricht mit – den Tod einer Verwandten von ihm, was mich etwas angegriffen hat. Übrigens will er hier nicht gekannt sein, lieber Arno, und ich bitte Sie darum, sich nicht merken zu lassen, daß ich sein Geheimniß verrathen habe – aber Sie gehören ja doch jetzt natürlich mit zur Familie. Was ich Euch Beiden nur noch sagen wollte – ich habe mir die Sache heute hin und her überlegt, und – da Ihr doch jetzt mit einander verlobt seid, so – thut es eigentlich kein Gut, die Sache zu lange hinaus zu schieben, und ich wünsche deshalb, daß die Hochzeit recht bald – so bald als irgend möglich gefeiert werde.«
»Beste Mutter, Sie machen mich so unendlich glücklich!« rief Herr von Pulteleben entzückt aus.
»Aber, Mama, das ist ganz gegen unsere Abrede,« sagte Helene, und ein eigenes eisiges Gefühl erfaßte ihr Herz.
»Liebes Kind,« sagte die Mutter, »die Verhältnisse reißen uns zu Zeiten mit fort, ohne daß wir sie nach unseren Wünschen regeln oder beherrschen können, und eben diese Verhältnisse zwingen uns, von hier fort und nach Santa Catharina zu ziehen.«
»Nach Santa Catharina?« rief Herr von Pulteleben erstaunt – »woraus schließen Sie das?«
»Ich habe den Gedanken schon einige Zeit mit mir herumgetragen,« fuhr die Gräfin fort, »da besonders für unser Geschäft Santa Clara ein Nichts weniger als passender Platz ist.«
»Aber wird die Insel besser sein, Frau Gräfin?«
»Entschieden – aber Du darfst nicht glauben, Helene, daß ich einen solchen Schritt leichtsinnig und auf das Gerathewohl thun würde, und ich habe mich vorher sorgfältig nach allen Verhältnissen der Insel erkundigt. Erstens bekommen wir dort Arbeiter billiger, dann haben wir die Auswahl unter den besten Tabakssorten, die gerade von dort aus in Massen nach dem Süden verschickt werden und viel billiger sind als hier, und dann – die Hauptsache – finden wir selber einen viel besseren Markt für unser Product, da wir von dort aus in directer Verbindung mit dem Süden, ja, selbst mit Montevideo und Buenos-Ayres stehen.«
»Aber, Mama, wenn Du Dich darin nur nicht irrst, und auf bloße Vermuthung hin eine solche Reise …«
»Bloße Vermuthung – das Kind glaubt Nichts, Pulteleben, was sie nicht sieht – Sie werden noch Ihre rechte Noth mit ihr bekommen. So laß Dir denn sagen, daß ich, um ganz sicher zu gehen, schon vor mehreren Wochen an die Präsidentin geschrieben und mit dem letzten Dampfer Nachricht bekommen habe, wie die Sachen dort stehen – und zwar sehr günstige Nachricht.«
»Aber der Brief, welchen Du erhieltest, war ja von Deutschland, mit dem kleinen Wechsel darin.«
»Das Kind bringt Einen noch zur Verzweiflung, Pulteleben,« lächelte die Mutter – »ich habe zwei bekommen, einen von Deutschland und einen von Santa Catharina, den mir der Director selber mitgebracht; wenn Du dem aber, was ich sage,