Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Dritter Band. Gerstäcker Friedrich

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Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Dritter Band - Gerstäcker Friedrich


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ob er nur zufällig dort vorbeiging, und als er dem jungen Mann gegenüber war, blieb er stehen wandte sich gegen ihn und sagte lächelnd:

      »Ei, guten Morgen, mein junger Freund. Der gestrige Abend scheint Ihnen gut bekommen zu sein, daß Sie so früh schon wieder zur Reise gerüstet sind.«

      »Ah, guten Morgen, Herr Baron – auch schon auf?«

      »In meinem Alter muß man sich an ein regelmäßiges Leben gewöhnen, wenn man gesund bleiben will,« sagte achselzuckend der Baron. Sie jungen Leute können freilich noch mit Ihrem Körper machen was Sie wollen, ohne augenblicklich dafür gestraft zu werden. Aber wo soll die Reise hingehen, wenn man fragen darf?«

      »In den Wald,« sagte fröhlich der junge Graf, indem er den Baron leicht auf die Schulter schlug – »in den Wald, mein lieber Herr, daß ich einmal eine Zeit lang keine Schornsteine und Glasscheiben mehr zu sehen brauche. – Ich gebe Ihnen mein Wort, ich habe einen wahren Ekel vor der Civilisation.«

      »Dann wollen Sie wohl unter die Indianer gehen?« lächelte der Baron etwas verlegen, denn diese Ansichten waren ihm zu barock, als daß er ihnen hätte folgen können.

      »Vielleicht,« lachte Felix – »und ich glaube bei Gott, ich passe besser zu ihnen, als in diese erlogenen und künstlichen Verhältnisse, die wir im gewöhnlichen Leben die Gesellschaft nennen.«

      »Das sind ja wahrhaft haarsträubende Ansichten,« sagte der Baron schmunzelnd, »aber – ehe wir Sie denn für immer verlieren, um da draußen im Walde mit Federschmuck und Blasrohr umher zu laufen – und wenn Sie zurückkommen, müssen Sie mir das einmal vormachen, wie sich die Indianer auf den Rücken legen und den Bogen mit den Füßen spannen, um einen Vogel aus der Luft zu schießen – möchte ich noch eine Frage an Sie richten, lieber Graf.«

      »Graf?« sagte Felix und drehte sich ihm rasch zu.

      »Bst, bst,« lächelte der Baron – »ich weiß recht gut daß Sie ein Schelm sind – hier mein kleiner Finger hat es mir gesagt – aber ganz unter uns, versteht sich, wenn Sie nicht selber mit dem Ihnen gebührenden Rechte hier auftreten wollen – doch – eine Frage müssen Sie mir beantworten, ehe Sie gehen« – und er schob dabei seinen Arm in den des jungen Grafen und führte ihn etwas die Straße hinauf, denn er wollte sicher sein, daß sie nicht gleich gestört würden.

      »Und die ist? Ich bin doch begierig.«

      »Glauben Sie auch um Gottes willen nicht,« wehrte der Baron im Voraus jeden falschen Verdacht ab, »daß ich aus bloßer ungerechtfertigter Neugierde frage, denn ich bin ein intimer Freund der Frau Gräfin Baulen und der liebenswürdigen Comtesse, und nehme deshalb den innigsten Antheil an ihrem Wohlergehen.«

      »Das ist eine lange Vorbereitung, Herr Baron.«

      »Ich komme gleich zur Sache – Sie – machten gestern Abend der Frau Gräfin eine Entdeckung.«

      »Sie standen in der Nähe?« sagte Graf Rottack und sah ihn scharf an.

      »Hm – nicht unmittelbar – zufällig – die Frau Gräfin schien sehr bestürzt darüber – auffallend bestürzt – ich habe sie in der That so noch nie gesehen, denn sie ist eine sehr resolute und charakterfeste Dame.«

      »Es schien so,« erwiederte der junge Mann, der fest entschlossen war, dem Baron nicht auf halbem Wege entgegen zu kommen.

      »Hm ja,« fuhr der Baron augenscheinlich verlegen fort, denn er wußte nicht, wie er auf die geschickteste Weise sein Ziel erreichen sollte – »ich – ich muß Ihnen nur gestehen, lieber Graf – aber ich gebe Ihnen nochmals mein Wort, auch ohne den leisesten, unfreundlichen Hintergedanken – daß ich schon seit einiger Zeit – ich weiß eigentlich selber nicht recht, weshalb – den Verdacht gefaßt hatte, daß …«

      »Daß?«

      »Daß die Frau Gräfin – daß der Rang der Frau Gräfin, wollte ich sagen – verstehen Sie mich vielleicht?«

      »Noch hab' ich keine Ahnung,« lächelte Felix, den die Verlegenheit des Barons amüsirte.

      »Es ist eine kitzliche Sache, darüber zu reden – ich gebe es zu,« fuhr der Baron also gedrängt fort, indem er langsam seine Hände in einander rieb, als ob er sie bildlich in Unschuld waschen wollte – »und unter anderen Verhältnissen möchte ein Eingehen darauf vielleicht nicht einmal gerechtfertigt erscheinen.«

      »Stehen Sie in einem Verhältnisse, Herr Baron?«

      »Mißverstehen Sie mich um Gottes willen nicht!« rief dieser rasch und ordentlich erschreckt. »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, es ist kein persönliches Interesse, sondern nur das, was ich an der Aufrechterhaltung des Standes im Allgemeinen nehme. Jetzt haben Sie mich doch verstanden?«

      »Nicht um ein Jota mehr, als früher,« erwiederte der junge Graf mit einem boshaften Lächeln.

      »Gut,« sagte der Baron entschlossen, »dann zwingen Sie mich, deutlich zu reden, denn die Sache ist in der That zu wichtig. Lassen Sie mich also ganz aufrichtig sein und ich erwarte nachher das Nämliche von Ihnen, denn wir Beide sind es unserem Stande schuldig.«

      »Sie spannen mich wirklich auf die Folter.«

      Der Baron erfaßte des Grafen Arm, blieb vor ihm stehen, sah ihm fest in's Auge und sagte:

      »Hat die Frau Gräfin von Baulen wirklich den Grafenrang?«

      »Aber, lieber Baron,« bat jetzt seinerseits der junge Mann, »ich bin heute Morgen wirklich in Eile, denn Schwartzau wird den Augenblick herunter kommen. Die Pferde sind, wie ich sehe, schon gepackt, und Sie thun mir einen wesentlichen Gefallen, wenn Sie alle Kleinigkeiten bei Seite lassen und mir gerade heraus sagen, um welchen wichtigen Gegenstand Sie mich fragen wollten.«

      Der Baron stand, ein Bild sprachlosen Erstaunens, vor Felix.

      »Und ist Ihnen der Gegenstand noch nicht wichtig genug?« brachte er endlich mühsam heraus.

      »Und das war wirklich Alles, was Sie von mir wissen wollten?« lachte der junge Mann jetzt gerade heraus.

      »Alles,« sagte der Baron, völlig vernichtet.

      »Dann thut es mir in der That leid, Ihnen keine bestimmte Antwort darüber geben zu können, und ich muß Sie – wieder auf Ihren kleinen Finger verweisen. – Da kommt auch schon Schwartzau mit Könnern – wir müssen fort – also auf Wiedersehen, lieber Baron!« und mit den Worten ließ er den über solche Gefühllosigkeit völlig empörten Mann mitten auf dem Wege stehen, schwang sich in den Sattel und sprengte gleich darauf mit Günther und von den Packthieren und ihren Treibern gefolgt, die Straße hinauf. –

      Könnern, der seine Bekanntschaft mit Felix von jenem Morgen im Walde erneuert hatte, war nur mit herunter gekommen, die Freunde abreiten zu sehen. Ihn selber drängte es, allein zu sein, wenigstens nur mit fremden, gleichgültigen Menschen zu verkehren, mit denen er über alltägliche Dinge sprechen konnte. Das Herz war ihm noch so schwer – so schwer und der Gedanke dabei peinlich, selbst von dem besten Freund bemitleidet zu werden.

      Sein Pferd hatte er sich indessen auch vorführen lassen, stieg auf und ritt langsam und im Schritt dieselbe Straße hinab, die er mit Günther gekommen war, als sie zum ersten Mal die Colonie betraten. Er war damals so leichten Herzens – so glücklich gewesen – er wollte die Stunden noch einmal durchleben in der Erinnerung; war ihm doch Nichts weiter geblieben auf der Welt, als an gehofftes Glück zurückzudenken.

      So ritt er langsam aus der Colonie hinaus bis zu dem Fuß des Gebirgszuges, der in einzelnen Abläufern seine Hänge in's niedere Land dehnte, dann den schmalen Pfad hinauf, der die noch immer nicht ausgebesserte und geborstene Brücke umging, und hielt erst wieder, als er den freien Kopf erreichte, von dem man eine Aussicht über die ganze Colonie Santa Clara und die benachbarten Hügelgruppen gewann.

      Und mit anderen Augen schaute er jetzt hinab, als damals, wo er sich zuerst dem fremden Platze näherte; wie suchte der umherschweifende Blick so rasch den kleinen, von hier aus kaum erkennbaren Punkt, in dem er Alles gefunden was das Menschenherz zu fassen vermag, Glück und Liebe – und Alles wiederum verloren hatte – Glück und Liebe.

      Da drüben lag der sonst so freundliche Platz stumm und öde – da


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