Der Zauberberg. Volume 1. Томас Манн

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Der Zauberberg. Volume 1 - Томас Манн


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Und er entnahm seinem automo-billedernen und mit silbernem Monogramm geschmückten Etui ein Exemplar von Maria Mancini, ein schönes Exemplar der obersten Lage, an einer Seite abgeplattet, wie er es besonders liebte, kupierte die Spitze mit einem kleinen, eckig schneiden-den Instrument, das er an der Uhrkette trug, ließ seinen Ta-schenzündapparat aufflammen und setzte die ziemlich lange, vorne stumpfe Zigarre mit einigen hingebungsvoll paffenden Zügen in Brand. "So!" sagte er. "Nun können wir meinethalben den Lustwandel fortsetzen. Du rauchst natürlich nicht vor lauter Biereifer."

      "Ich rauche ja nie", antwortete Joachim. "Warum sollt' ich denn gerade hier rauchen?"

      "Das verstehe ich nicht!" sagte Hans Castorp. "Ich verstehe es nicht, wie jemand nicht rauchen kann, – er bringt sich doch, so-zusagen, um des Lebens bestes Teil und jedenfalls um ein ganz eminentes Vergnügen! Wenn ich aufwache, so freue ich mich, daß ich tagsüber werde rauchen dürfen, und wenn ich esse, so freue ich mich wieder darauf, ja ich kann sagen, daß ich eigentlich bloß esse, um rauchen zu können, wenn ich damit natürlich auch etwas übertreibe. Aber ein Tag ohne Tabak, das wäre für mich der Gipfel der Schalheit, ein vollständig öder und reizloser Tag, und wenn ich mir morgens sagen müßte: heut gibt's nichts zu rauchen, – ich glaube, ich fände den Mut gar nicht, aufzuste-hen, wahrhaftig, ich bliebe liegen. Siehst du: da hat man eine gut brennende Zigarre – selbstverständlich darf sie nicht Ne-benluft haben oder schlecht ziehen, das ist im höchsten Grade ärgerlich – ich meine: hat man eine gute Zigarre, dann ist man eigentlich geborgen, es kann einem buchstäblich nichts ge-schehn. Es ist genau, wie wenn man an der See liegt, dann liegt man eben an der See, nicht wahr, und braucht nichts weiter, we-der Arbeit noch Unterhaltung … Gott sei Dank raucht man ja in der ganzen Welt, es ist nirgendwo unbekannt, soviel ich weiß, wohin man auch etwa verschlagen werden sollte. Selbst die Polarforscher statten sich reichlich mit Rauchvorrat aus für ihre Strapazen, und das hat mich immer sympathisch berührt, wenn ich es las. Denn es kann einem sehr schlecht gehen, – nehmen wir mal an, es ginge mir miserabel; aber solange ich noch meine Zigarre hätte, hielte ich's aus, das weiß ich, sie brächte mich drüber weg."

      "Immerhin ist es etwas schlapp", sagte Joachim, "daß du so daran hängst. Behrens hat ganz recht. Du bist ein Zivilist – er meinte es ja wohl mehr als Lob, aber du bist ein heilloser Zivilist, das ist die Sache. Übrigens bist du ja gesund und kannst tun, was du willst", sagte er, und seine Augen wurden müde.

      "Ja, gesund bis auf die Anämie", sagte Hans Castorp. "Reich-lich geradezu war es ja, wie er es mir so sagte, daß ich grün aus-sehe. Aber es stimmt, es ist mir selber aufgefallen, daß ich im Vergleich mit euch hier oben förmlich grün bin, zu Hause habe ich es nicht so bemerkt. Und dann ist es ja auch wieder nett von ihm, daß er mir so ohne weiteres Ratschläge gibt, ganz sine pe-cunia, wie er sich ausdrückt. Ich will mir gern vornehmen, es zu machen, wie er sagt, und mich ganz nach deiner Lebensweise richten, – was sollt' ich denn sonst auch wohl tun bei euch hier oben, und es kann ja nicht schaden, wenn ich in Gottes Namen Eiweiß ansetze, obgleich es etwas widerlich klingt, das mußt du mir zugeben."

      Joachim hüstelte ein paarmal im Gehen, – die Steigung schien ihn doch anzustrengen. Als er zum drittenmal ansetzte, blieb er mit gerunzelten Brauen stehen. "Geh nur voran", sagte er. Hans Castorp beeilte sich, weiterzugehen und sah sich nicht um. Dann verlangsamte er seinen Schritt und blieb schließlich fast stehen, da ihm war, als müsse er einen bedeutenden Vor-sprung vor Joachim gewonnen haben. Aber er sah sich nicht um.

      Ein Trupp von Gästen beiderlei Geschlechtes kam ihm entge-gen, – er hatte sie droben auf halber Höhe des Hanges den ebe-nen Weg entlang kommen sehen, jetzt stapften sie abwärts, ge-rade auf ihn zu und ließen ihre verschiedenartigen Stimmen er-tönen. Es waren sechs oder sieben Personen gemischten Alters, die einen blutjung, ein paar schon etwas weiter an Jahren. Er sah sie sich an mit seitwärts geneigtem Kopfe, während er an Joachim dachte. Sie waren barhaupt und braun, die Damen in farbigen Sweaters, die Herren meist ohne Überzieher und selbst ohne Stöcke, wie Leute, die ohne Umstände und die Hände in den Taschen ein paar Schritte vors Haus machen. Da sie bergab gingen, was keine ernsthaft tragende Anstrengung, sondern nur ein lustiges Bremsen und Anstemmen der Beine erfordert, da-mit man nicht ins Laufen und Stolpern gerät, ja eigentlich nichts weiter als ein Sichfallenlassen ist, hatte ihre Gangart etwas Be-schwingtes und Leichtsinniges, was sich ihren Mienen, ihrer ganzen Erscheinung mitteilte, so daß man wohl wünschen konnte, zu ihnen zu gehören.

      Nun waren sie bei ihm, Hans Castorp sah ihre Gesichter ge-nau. Sie waren nicht alle gebräunt, zwei Damen stachen durch Blässe ab: die eine dünn wie ein Stock und elfenbeinern von Angesicht, die andere kleiner und fett, von Leberflecken verun-ziert. Sie sahen ihn alle an, mit einem gemeinsamen, dreisten Lächeln. Ein langes junges Mädchen in grünem Sweater, mit schlecht frisiertem Haar und dummen, nur halb geöffneten Au-gen strich dicht an Hans Castorp vorbei, indem es ihn fast mit dem Arme berührte. Und dabei pfiff sie … Nein, das war ver-rückt! Sie pfiff ihn an, doch nicht mit dem Mund, den spitzte sie gar nicht, sie hielt ihn im Gegenteil fest geschlossen. Es pfiff aus ihr, indes sie ihn ansah, dumm und mit halbgeschlossenen Augen, – ein außerordentlich unangenehmes Pfeifen, rauh, scharf und doch hohl, gedehnt und gegen das Ende im Tone ab-fallend, so daß es an die Musik jener Jahrmarktsschweinchen aus Gummi erinnerte, die klagend ihre eingeblasene Luft fahren lassen und zusammensinken, drang irgendwie und unbegreif-licherweise aus ihrer Brust hervor, und dann war sie mit ihrer Gesellschaft vorüber.

      Hans Castorp stand starr und blickte ins Weite. Dann wandte er sich hastig um und begriff wenigstens so viel, daß das Ab-scheuliche ein Scherz, eine abgekartete Fopperei gewesen sein mußte, denn er sah an den Schultern der Abziehenden, daß sie Lichten, und ein untersetzter Jüngling mit Wulstlippen, welcher, beide Hände in den Hosentaschen, auf ziemlich unschickliche Art seine Jacke emporgerafft hielt, drehte sogar unverhohlen den Kopf nach ihm und lachte … Joachim war herangekom-men. Er grüßte die Gruppe, indem er nach seiner ritterlichen Gewohnheit beinahe Front machte und sich mit zusammenge-zogenen Absätzen verbeugte, und trat dann sanft blickend zu seinem Vetter.

      "Was machst du denn für ein Gesicht?" fragte er.

      "Sie pfiff!" antwortete Hans Castorp. "Sie pfiff aus dem Bau-che, als sie an mir vorüberkam, willst du mir das erklären?"

      "Ach", sagte Joachim und lachte wegwerfend. "Nicht aus dem Bauche, Unsinn. Das war die Kleefeld, Hermine Kleefeld, die pfeift mit dem Pneumothorax."

      "Womit?" fragte Hans Castorp. Er war außerordentlich erregt und wußte nicht recht, in welchem Sinne. Er schwankte zwi-schen Lachen und Weinen, als er hinzufügte: "Du kannst nicht verlangen, daß ich euer Rotwelsch verstehe."

      "So komm doch weiter!" sagte Joachim. "Ich kann es dir doch auch im Gehen erklären. Du bist ja wie angewurzelt! Es ist etwas aus der Chirurgie, wie du dir denken kannst, eine Operation, die hier oben häufig ausgeführt wird. Behrens hat große Übung darin … Wenn eine Lunge sehr mitgenommen ist, ver-stehst du, die andere aber gesund oder vergleichsweise gesund, so wird die kranke mal einige Zeit von ihrer Tätigkeit dispen-siert, um sie zu schonen … Das heißt: man wird hier aufge-schnitten, hier irgendwo seitwärts – ich kenne die Stelle ja nicht genau, aber Behrens hat es großartig los. Und dann wird Gas in einen hineingelassen, Stickstoff, weißt du, und so der verkäste Lungenflügel außer Betrieb gesetzt. Das Gas hält natürlich nicht lange vor, halbmonatlich etwa muß es erneuert werden – man wird gleichsam aufgefüllt, so mußt du dir's vorstellen. Und wenn das ein Jahr lang geschieht oder länger, und alles geht gut, so kann die Lunge durch Ruhe zur Heilung kommen. Nicht im-mer, versteht sich, es ist wohl sogar eine gewagte Sache. Aber es sollen schon schöne Erfolge mit dem Pneumothorax erzielt worden sein. Alle haben ihn, die du eben sahst. Frau Iltis war auch dabei – die mit den Leberflecken – und Fräulein Levi, die magere, du erinnerst dich – sie hat so lange zu Bett gelegen. Sie haben sich zusammengefunden, denn so etwas wie der Pneumothorax verbindet die Menschen natürlich, und nennen sich 'Verein Halbe Lunge', unter diesem Namen sind sie bekannt. Aber der Stolz des Vereins ist Hermine Kleefeld, weil sie mit dem Pneumothorax pfeifen kann, – das ist eine Gabe von ihr, es kann es durchaus nicht jeder. Wie sie es fertig bringt, das kann ich dir auch nicht sagen, sie selbst kann es nicht deutlich be-schreiben. Aber wenn sie rasch gegangen ist, dann kann sie aus ihrem Inneren pfeifen, und das benutzt sie natürlich, um die Leute zu erschrecken, besonders die neuangekommenen Kran-ken. Ich glaube übrigens, daß


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