Der Zauberberg. Volume 1. Томас Манн

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Der Zauberberg. Volume 1 - Томас Манн


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Kopf dabei vor und zog ihn dann wieder zu-rück. Der Kreuzträger und der Ministrant standen noch zwi-schen Tür und Angel und konnten nicht eintreten. Und ich konnte zwischen ihnen hindurch ins Zimmer sehen. Es ist ja ein Zimmer wie deins und meins, das Bett steht links von der Tür an der Seitenwand, und am Kopfende standen Leute, die Ange-hörigen natürlich, die Eltern und redeten auch beschwichtigend auf das Bett hinunter, man sah nichts als eine formlose Masse darin, die bettelte und grauenhaft protestierte und mit den Bei-nen strampelte."

      "Sagst du, daß sie mit den Beinen strampelte?"

      "Aus Leibeskräften! Aber es nützte ihr nichts, das Sterbe-sakrament mußte sie haben. Der Pfarrer ging auf sie zu, und auch die beiden anderen traten ein, und die Tür wurde zugezogen. Aber vorher sah ich noch: der Kopf von der Hujus kommt für eine Sekunde zum Vorschein, mit wirrem hellblonden Haar, und starrt den Priester mit weitaufgerissenen Augen an, so blas-sen Augen, ganz ohne Farbe, und fährt mit Ah und Huh wieder unters Laken."

      "Und das erzählst du mir jetzt erst?" sagte Hans Castorp nach einer Pause. "Ich verstehe nicht, daß du nicht schon gestern abend darauf zu sprechen gekommen bist. Aber, mein Gott, sie mußte doch noch eine Menge Kraft haben, so wie sie sich wehrte. Dazu gehören doch Kräfte. Man sollte den Priester nicht holen lassen, bevor einer ganz schwach ist."

      "Sie war auch schwach", erwiderte Joachim. " … Ach, zu er-zählen gäbe es viel; es ist schwer, die erste Auswahl zu tref-fen … Schwach war sie schon, es war nur die Angst, die ihr so-viel Kräfte gab. Sie ängstigte sich eben fürchterlich, weil sie merkte, daß sie sterben sollte. Sie war ja ein junges Mädchen, da muß man es schließlich entschuldigen. Aber auch Männer füh-ren sich manchmal so auf, was natürlich eine unverzeihliche Schlappheit ist. Behrens weiß übrigens mit ihnen umzugehen, er hat den richtigen Ton in solchen Fällen."

      "Was für einen Ton?" fragte Hans Castorp mit zusammen-gezogenen Brauen.

      ""Stellen Sie sich nicht so an!' sagt er", antwortete Joachim. "Wenigstens hat er es neulich zu einem gesagt, – wir wissen es von der Oberin, die dabei war und den Sterbenden festhalten half. Es war so einer, der zu guter Letzt eine scheußliche Szene machte und absolut nicht sterben wollte. Da hat Behrens ihn angefahren: 'Stellen Sie sich gefälligst nicht so an!' hat er gesagt, und sofort ist der Patient still geworden und ist ganz ruhig gestorben."

      Hans Castorp schlug sich mit der Hand auf den Schenkel und warf sich gegen die Rückenlehne der Bank, indem er zum Him-mel aufblickte.

      "Na, höre mal, das ist doch stark!" rief er. "Fährt auf ihn los und sagt einfach zu ihm: 'Stellen Sie sich nicht so an!' Zu einem Sterbenden! Das ist doch stark! Ein Sterbender ist doch ge-wissermaßen ehrwürdig. Man kann ihn doch nicht so mir nichts, dir nichts … Ein Sterbender ist doch sozusagen heilig, sollte ich meinen!"

      "Das will ich nicht leugnen", sagte Joachim. "Aber wenn er sich nun doch dermaßen schlapp benimmt …"

      "Nein!" beharrte Hans Castorp mit einer Heftigkeit, die zu dem Widerstand, den man ihm leistete, in keinem Verhältnis stand. "Das lasse ich mir nicht ausreden, daß ein Sterbender etwas Vornehmeres ist, als irgend so ein Lümmel, der herumgeht und lacht und Geld verdient und sich den Bauch vollschlägt! Das geht nicht –" und seine Stimme schwankte höchst sonder-bar. "Das geht nicht, daß man ihn so mir nichts, dir nichts –", und seine Worte erstickten im Lachen, das ihn ergriff und ihn überwältigte, dem Lachen von gestern, einem tief heraufquel-lenden, leiberschütternden, grenzenlosen Gelächter, das ihm die Augen schloß und Tränen zwischen den Lidern hervorpreßte.

      "Pst!" machte Joachim plötzlich. "Sei still!" flüsterte er und stieß den haltlos Lachenden heimlich in die Seite. Hans Castorp blickte in Tränen auf.

      Auf dem Wege von links kam ein Fremder daher, ein zierlicher brünetter Herr mit schön gedrehtem schwarzen Schnurr-bart und in hellkariertem Beinkleid, der, herangekommen, mit Joachim einen Morgengruß tauschte – der seine war präzis und wohllautend – und mit gekreuzten Füßen, auf seinen Stock ge-stützt, in anmutiger Haltung vor ihm stehen blieb.

      Satana

      Sein Alter wäre schwer zu schätzen gewesen, zwischen dreißig und vierzig mußte es wohl liegen, denn wenn auch seine Ge-samterscheinung jugendlich wirkte, so war sein Haupthaar doch an den Schläfen schon silbrig durchsetzt und weiter oben merk-lich gelichtet: zwei kahle Buchten sprangen neben dem schma-len, spärlichen Scheitel ein und erhöhten die Stirn. Sein Anzug, diese weiten, hellgelblich karierten Hosen und ein flausartiger, zu langer Rock mit zwei Reihen Knöpfen und sehr großen Auf-schlägen, war weit entfernt, Anspruch auf Eleganz zu erheben; auch zeigte sein rund umgebogener Stehkragen sich von häufi-ger Wäsche an den Kanten schon etwas aufgerauht, seine schwarze Krawatte war abgenutzt, und Manschetten trug er of-fenbar überhaupt nicht, – Hans Castorp erkannte es an der schlaffen Art, in der die Ärmel ihm um das Handgelenk hingen. Trotzdem sah er wohl, daß er einen Herrn vor sich habe; der gebildete Gesichtsausdruck des Fremden, seine freie, ja schöne Haltung ließen keinen Zweifel daran. Diese Mischung aber von Schäbigkeit und Anmut, schwarze Augen, dazu der weich ge-schwungene Schnurrbart, erinnerten Hans Castorp sogleich an gewisse ausländische Musikanten, die zur Weihnachtszeit in den heimischen Höfen aufspielten und mit emporgerichteten Samt-augen ihren Schlapphut hinhielten, damit man ihnen Zehnpfennigstücke aus den Fenstern hineinwürfe. 'Ein Drehor-gelmann!' dachte er. Und so wunderte er sich nicht über den Namen, den er zu hören bekam, als Joachim sich von der Bank erhob und in einiger Befangenheit vorstellte: "Mein Vetter Castorp, – Herr Settembrini."

      Hans Castorp war ebenfalls zur Begrüßung aufgestanden, die Spuren seiner Heiterkeitsausschreitung noch im Gesicht. Aber der Italiener bat beide in höflichen Worten, sich nicht in ihrer Bequemlichkeit stören zu lassen und nötigte sie auf ihre Plätze zurück, während er selbst in seiner angenehmen Pose vor ihnen stehen blieb. Er lächelte, wie er da stand und die Vettern, na-mentlich aber Hans Castorp, betrachtete, und diese seine etwas spöttische Vertiefung und Kräuselung seines einen Mundwin-kels unter dem vollen Schnurrbart, dort, wo er sich in schöner Rundung aufwärts bog, war von eigentümlicher Wirkung, es hielt gewissermaßen zur Geistesklarheit und Wachsamkeit an und ernüchterte den trunkenen Hans Castorp im Augenblick, so daß er sich schämte. Settembrini sagte:

      "Die Herren sind aufgeräumt, – mit Grund, mit Grund. Ein prächtiger Morgen! Der Himmel ist blau, die Sonne lacht –", und er hob mit einem leichten und gelungenen Schwung seines "Annes die kleine, gelbliche Hand zum Himmel, während er zugleich einen schrägen, heiteren Blick ebenfalls dort hinauf-sandte. "Man könnte in der Tat vergessen, wo man sich be-findet."

      Er sprach ohne fremden Akzent, nur an der Genauigkeit seiner Lautbildung hätte man allenfalls den Ausländer erkennen können. Seine Lippen formten die Worte mit einer gewissen Lust. Man hörte ihn mit Vergnügen.

      "Und der Herr hat eine angenehme Reise zu uns gehabt?" wandte er sich an Castorp … "Ist man schon im Besitz seines Urteils? Ich meine: hat die düstere Zeremonie der ersten Untersuchung schon stattgehabt?" – Hier hätte er schweigen und war-ten müssen, wenn es ihm darauf ankam, zu hören; denn er hatte seine Frage gestellt, und Hans Castorp schickte sich an, zu ant-worten. Aber der Fremde fragte gleich weiter: "Ist sie glimpflich verlaufen? Aus Ihrer Lachlust –", und er schwieg einen Augenblick, indes die Kräuselung seines Mundwinkels sich vertiefte, "lassen sich ungleichartige Schlüsse ziehen. Wieviel Monate ha-ben unsere Minos und Rhadamanth Ihnen aufgebrummt?" – Das Wort "aufgebrummt" nahm sich in seinem Munde beson-ders drollig aus. –"Soll ich schätzen? Sechs? Oder gleich neun? Man ist ja nicht knauserig …"

      Hans Castorp lachte erstaunt, wobei er sich zu erinnern such-te, wer Minos und Rhadamanth doch gleich noch gewesen seien. Er antwortete:

      "Aber wieso. Nein, Sie sind im Irrtum, Herr Septem –" "Settembrini", verbesserte der Italiener klar und mit Schwung, indem er sich humoristisch verneigte.

      "Herr Settembrini, – Verzeihung. Nein, also Sie irren. Ich bin gar nicht krank. Ich besuche nur meinen Vetter Ziemßen auf ein paar Wochen und will mich bei dieser Gelegenheit auch ein bißchen erholen –"

      "Potztausend, Sie sind nicht von den Unsrigen? Sie sind ge-sund, Sie hospitieren hier nur, wie Odysseus im Schattenreich? Welche Kühnheit, hinab in die Tiefe zu steigen, wo Tote nichtig und sinnlos wohnen –"

      "In


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