Fadette. Жорж Санд

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Fadette - Жорж Санд


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auch gar zu gesund sei, und mit zu übermäßigem Eifer der Arbeit und dem Vergnügen nachgehe, und daß er sich nicht wie sein Bruder darauf verstehe, sanfte Reden zu führen, oder zarte Aufmerksamkeiten zu ersinnen. Diesesmal aber wußte er sich auch nicht der geringsten Kleinigkeit zu erinnern, womit er sich an der brüderlichen Liebe versündigt haben konnte. Ja, um an dem heutigen Tage nur kommen zu können, hatte er einer schönen Partie entsagen müssen, welche die Burschen von la Priche zum Krebsfang veranstalten wollten, und mit der sie schon die ganze Woche über beschäftigt gewesen waren. Sie hatten Landry sehr viel Vergnügen dabei in Aussicht gestellt, wenn er nur mit ihnen gehen wolle. Um seinen Bruder heute zu sehen, hatte er also einer großen Versuchung widerstehen müssen, und das will in diesem Alter viel sagen. Nachdem er sich tüchtig ausgeweint hatte und seine Thränen trocknete, hörte er ganz in seiner Nähe noch eine andere Person weinen, die dazwischen auch mit sich selbst sprach, wie dies die Frauen auf dem Lande häufig zu thun pflegen, wenn sie einen großen Kummer haben. Landry erkannte rasch, daß es seine Mutter war, und eilte zu ihr hin.

      »Ach! mein Gott,« sagte sie schluchzend, »wie vielen Kummer mir dieses Kind bereitet! Ich werde noch darüber zu Grunde gehen, das ist gewiß.«

      »Bin ich es, liebe Mutter, der dir so viele Sorgen macht?« rief Landry und fiel ihr um den Hals. »Wenn ich es bin, so strafe mich doch, aber höre auf zu weinen. Ich weiß nicht, wodurch ich dich betrübt haben könnte, aber das ist alles einerlei, ich bitte dich um Verzeihung.«

      In diesem Augenblicke wurde es der Mutter klar, daß Landry keineswegs ein hartes Herz hatte, wie sie es oft geglaubt hatte. Sie schloß ihn gerührt in ihre Arme, und ohne selbst recht zu wissen, was sie that, so sehr war sie vom Schmerz ergriffen, sagte sie ihm, daß sie sich über Sylvinet beklage und nicht über ihn. Was ihn betreffe, so habe sie sich einige Male ungerechten Vorstellungen über ihn hingegeben, und dafür thue sie ihm jetzt Abbitte. Wie es ihr scheine, sei Sylvinet daran toll zu werden, und sie sei in der größten Unruhe darüber, weil er vor Tagesanbruch fortgegangen sei, ohne auch nur das Geringste genossen zu haben. Die Sonne neigte sich jetzt dem Untergange zu, und er war noch immer nicht zurück. Um Mittag war er in der Richtung des Flusses gesehen worden, und schließlich fürchtete die Mutter, er könne sich gar hinein gestürzt haben, um seinem Leben ein Ende zu machen.

      Achtes Kapitel

      Dieser Gedanke, daß Sylvinet Lust gehabt haben könne, sich umzubringen, übertrug sich so leicht, wie eine Fliege sich in einem Spinngewebe verfängt, aus dem Vorstellungsvermögen der Mutter auf dasjenige Landrys hinüber. Er rannte hastig davon, um seinen Bruder aufzusuchen, und während er so dahin eilte, empfand er schweren Kummer und sprach zu sich selbst: »Vielleicht hatte die Mutter früher doch recht, wenn sie mir vorwarf, daß ich hartherzig sei. In dieser Stunde aber muß Sylvinet wohl ein schwer erkranktes Gemüt haben, daß er unserer armen Mutter und mir alle diesen Schmerz bereiten kann.

      Er lief nach allen Richtungen hin, ohne ihn zu finden; abwechselnd rief er laut seinen Namen, aber keine Antwort erfolgte; er befragte alle, die ihm begegneten, aber niemand konnte ihm eine Auskunft geben. Endlich kam er an den Ort, wo die Wiese mit dem Schilfgrunde lag; er ging hinein, weil er sich hier einer Stelle erinnerte, die Sylvinet ganz besonders bevorzugte. Diese befand sich da, wo der Fluß einen großen Einschnitt in das Erdreich hineingerissen, und dabei zwei oder drei Erlen entwurzelt hatte, die noch mit emporgestreckten Wurzeln quer über dem Wasser lagen. Der Vater Barbeau hatte sie nicht fortschaffen wollen; er gab sie Preis; weil sie in der Art, wie sie gestürzt waren, das Erdreich noch mit ihren Wurzeln zurückhielten, und das kam ihm sehr gelegen, denn nicht ein einziger Winter verging, ohne daß das Wasser nicht einen großen Schaden in dieser Wiese angerichtet hätte; jedes Jahr wurde ein Stück vom Ufer mit fortgeschwemmt.

      Landry näherte sich also jenem Einschnitt, wie er und sein Bruder diese Stelle ihrer Schilfwiese zu benennen pflegten. Er nahm sich nicht die Zeit bis zu dem Winkel zu gehen, wo sie beide miteinander aus Rasenstücken, auf Steinen und Wurzelwerk gestützt, eine Treppe angelegt hatten. Er sprang gleich von oben hinunter, um so schnell wie möglich auf den Boden des Einschnittes zu gelangen, weil hier rechts vom Ufer so viel hohes Gesträuch und Kräuter wuchsen, daß sie über seinen Kopf hinaus ragten. Wenn sein Bruder auch hier gewesen wäre, so hätte er ihn, ohne hinein zu gehen, doch nicht entdecken können.

      In großer Aufregung betrat er jetzt diese Stelle, denn es kam ihm nicht mehr aus dem Sinn, was seine Mutter ihm gesagt hatte: daß Sylvinet mit dem Gedanken umgehe seinem Leben ein Ende zu machen. Er durchsuchte wiederholt das Dickicht, schlug gegen die hohen Binsen, rief laut Sylvinets Namen und pfiff dem Hunde, der dem Bruder jedenfalls gefolgt war, denn man hatte ihn den ganzen Tag über im Hause nicht gesehen, so wenig wie seinen jungen Gebieter.

      Allein Landry mochte suchen und rufen, so viel er wollte, er war und blieb ganz allein an dieser Stelle. Da er ein Bursche war, der alles, was er that, gründlich zu thun pflegte, und dabei auf alles bedacht war, was zweckdienlich sein konnte, untersuchte er die beiden Ufer, ob nicht irgend eine Spur von Fußtapfen zu entdecken sei, oder ob nicht das Erdreich an einer Stelle etwas mehr abgebröckelt war, als es sonst gewesen. Diese Untersuchung war ebenso traurig wie schwierig, denn es war etwa einen Monat her, daß Landry nicht mehr an diesem Orte gewesen war, und wenn er ihn auch so genau kannte, wie die eigne Hand, so vermochte er doch nicht herauszubringen, ob nicht irgend eine kleine Veränderung damit vorgegangen sei. Das ganze rechte Ufer war mit Gras bewachsen, und sogar auf dem Boden des Einschnittes waren überall aus dem Sande die Binsen und das Schilf so dicht emporgewuchert, daß auch nicht eine einzige Stelle von nur eines Fußes Breite aufzufinden war, wo man nach einer eingedrückten Spur hätte suchen können. Durch das viele hin- und hersuchen fand Landry indessen auf dem Boden die Fährte eines Hundes, und an einer anderen Stelle sogar das Gras so verdrückt, als ob Finot, oder irgend ein Hund von derselben Größe sich dort niedergekauert hätte.

      Dies war ein Umstand, der Landry viel zu denken gab, und noch einmal machte er sich daran, das abschüssige Ufer des Flusses zu untersuchen. Er glaubte im Erdreich einen ganz frischen Riß entdeckt zu haben, als ob jemand ihn bei einem Sprung mit dem Fuß verursacht hätte, oder indem er sich hinuntergleiten ließ. Die Sache war durchaus nicht klar, denn ebensogut konnte der Riß von einer der großen Wasserratten herrühren, die an solchen Stellen, nach Nahrung suchend, wühlen und nagen. Landry aber geriet dadurch in so große Angst, daß er sich nicht mehr auf den Füßen zu erhalten vermochte. Er warf sich auf die Knie, wie um sich Gott zu empfehlen.

      Eine Zeit lang verblieb er in dieser Stellung, denn er hatte weder Kraft noch Mut sich aufzumachen, um es irgend einem Menschen sagen zu können, was ihn in solche Todesangst versetzte. Die Augen von Thränen geschwollen, betrachtete er den Fluß, als hätte er Rechenschaft von ihm fordern wollen, was er aus seinem Bruder gemacht habe.

      Der Fluß rauschte indessen ruhig fort, über die Zweige schäumend, welche längs der Ufer nieder hingen und ins Wasser tauchten, bis er sich mit leisem Gemurmel zwischen Wiesen und Feldern verlor, wie jemand, der heimlicher Weise andere verspottend, kichert und lacht.

      Der arme Landry gab sich den düstersten Gedanken an ein Unglück hin, und ließ sich davon überwältigen, bis sie ihm den Kopf verwirrten, daß er sich nach dem geringfügigsten Anschein, der ebensogut nichts bedeuten konnte, einen Zusammenhang ausmalte, um darüber an Gott zu verzweifeln.

      »Dieser tückische Fluß! der mich im Schmerz vergehen sieht, ohne mir eine Auskunft zu geben!« dachte er; »und der ein ganzes Jahr lang meine Thränen ansehen würde, ohne mir meinen Bruder zurück zu geben! Gerade hier ist er am tiefsten und seitdem er die Wiese unterwühlt, ist so viel Gesträuch von den Bäumen in ihn hineingefallen, daß man sich nie wieder herausarbeiten könnte, wenn man sich da hinein wagen wollte. Mein Gott! könnte es möglich sein, daß mein Bruder tief unten da im Wasser läge, nur zwei Schritte weit von mir, und daß ich ihn doch nicht sehen und nicht wieder auffinden könnte zwischen alle dem Gezweig und dem Röhricht von Binsen und Schilf, wenn ich auch versuchen wollte da hinunter zu steigen?!«

      Und nun begann er über seinen Bruder zu weinen und machte ihm sogar Vorwürfe, denn noch nie in seinem ganzen Leben hatte er einen so großen Schmerz empfunden.

      Endlich kam er auf den Gedanken, sich Rat zu holen bei einer Frau, die eine alte Witwe war und Mutter Fadet genannt wurde. Sie wohnte ganz am Ende der Schilfwiese, dicht


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