Dr. Katzenbergers Badereise. Jean Paul

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Dr. Katzenbergers Badereise - Jean Paul


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Er verzehrte ein dünnes Mittagmahl, wozu er die Hälfte mitgebracht: »Man muss wahrhaftig« – sagt‘ er sehr wahr – »sich recht zusammennehmen, wenn man noch zwei Stunden nach Huhl hat, und doch nachts wieder zu Hause sein will; es ist aber kostbares Wetter für Fußgänger.«

      Theoda zog ihren Vater in ein Nebenzimmer und setzte alle weibliche Röst-, Schmelz- und Treibwerke in Gang, um ihn so weit flüssig zu schmelzen, dass er den Zoller bis nach Huhl mit einsitzen ließ. Er schüttelte kaltblütig den Kopf und sagte, die Gevatterschaft fürchtend: »Auch nähm‘ ers am Ende gar für eine Gefälligkeit, die ich ihm etwa beweisen wollte.« Sie rief den Edelmann zum Bereden zu Hülfe; dieser brach – mehr aus Liebe für die Fürsprecherin – gar in theatralische Beredsamkeit aus und ließ in seinem Feuer sich von Katzenberger ganz ohne eines ansehen. Dem Doktor war nämlich nichts lieber, als wenn ihn jemand von irgendeinem Entschlusse mit tausend beweglichen Gründen abzubringen anstrebte; seiner eignen Unbeweglichkeit versichert, sah er mit desto mehr Genuss zu, wie der andere, jede Minute des ja gewärtig, sich nutzlos abarbeitete. Ich versinnliche mir dies sehr, wenn ich mir einen umherreisenden Magnetiseur und unter dessen Händen das Gesicht eines an menschlichen Magnetismus ungläubigen Autors, z. B. Biesters, vorstelle, wie jener diesen immer ängstlicher in den Schlaf hineinzustreichen sucht, und wie der Bibliothekar Biester ihm unaufhörlich ein aufgewecktes Gesicht mit blickenden Augen still entgegenhält. »Gern macht‘ ich selber«, sagte Nieß, »noch den kurzen Weg zu Fuß.« – »Und ich mit«, sagte Theoda. »O!« – sagte Nieß und drückte recht feurig die katzenbergerische Hand – »ja, es bleibt dabei, Väterchen, nicht?« – »Natürlich« – versetzte Letztes –, »aber Sie können denken, wie richtig meine Gründe sein müssen, wenn sie sogar von Ihnen nicht überwogen werden.« Man schien auf Seiten des Paars etwas betroffen; »auch möcht‘ ich den guten Umgelder ungern verspäten«, setzte der Doktor hinzu, »da wir erst nach dem Pferde-Füttern aufbrechen, er aber sogleich fortgeht.«

      Als sie sämtlich zurückkamen, stand der Mann schon freundlich da, mit seinem Abschiede reisefertig wartend. Theoda begleitete ihn hinaus und gab ihm hundert Grüße an die Freundin mit und den Schwur, dass sie schon diesen Abend das Tagebuch an sie anfange: »Könnt‘ ich für Sie gehen, guter Mann!«, sagte sie; und er schied mit einem langen Dankpsalm, ohne sie sonderlich zu verstehen, so wie sie selber, setz‘ ich dazu, ebenso wenig den Doktor. Sie wusst‘ es aus langer Erfahrung, dass er zudringende Bitten gewöhnlich abschlug als Anfälle auf seine Freiheit; sie tat sie aber doch immer wieder und brachte vollends heute den Auxiliar-Poeten mit. Mehlhorn war ihm nicht am meisten als Gevatterbitter verdrießlich, sondern als eine Art Ja-Herr gegen die Frau und ein Ja-Knecht gegen alle Welt; schwachmütige Männer aber, sogar gutmütige, könnt‘ er nicht gut sich gegenüber sehen, besonders einen halben Tag lang auf dem Rücksitz.

      Bald darauf, als die Pferde abgefüttert waren und die Gewinn- und Verlustrechnung abgetan, gab Katzenberger das Zeichen des Abschieds; – es bestand darin, dass er heimlich die Körke seiner bezahlten Flaschen einsteckte. Er führte Gründe für diese letzte Ziehung aus der Flasche an: »Es sei erstlich ein Mann in Paris bloß dadurch ein Millionär geworden, dass er auf allen Kaffeehäusern sich auf ein stilles Korkziehen mit den Fingern gelegt, wobei er freilich mehr ans Stehlen gedacht als an erlaubtes Einstecken; zweitens sei jeder, der eine Flasche fodere, Herr über den Inhalt derselben, wozu der Stöpsel als dessen Anfang am ersten gehöre, den er mit seinem eigenen Korkzieher zerbohren oder auch ganz lassen und mitnehmen könne, als eine elende Kohle aus dem niedergebrannten Weinfeuer.« Darüber suchte Nieß zu lächeln, ohne vielen Erfolg.

      WAGEN-SIESTE

      Im Ganzen sitzt ohnehin jeder Kutschenklub in den ersten Nachmittagstunden sehr matt und dumm da; das junge Paar aber tat es noch mehr, weil Katzenbergers Gesicht, seitdem er dem armen Schreckens-Gevatter die Wagentüre vor der Nase zugeschlagen, kein sonderliches Rosental und Paradies für jugendlich-gutmütige Augen war, die in das Gesicht hinein- und auf den sandigen Weg hinaussahen. Er selber litt weniger; ihn verließ nie jene Heiterkeit, welche zeigen konnte, dass er sich den Stoikern beigesellte, welche verboten, etwas zu bereuen, nicht einmal das Böse. Indes ist dieser höhere Stoizismus, der den Verlust der unschätzbaren höheren Güter noch ruhiger erträgt als den der kleinern, bei Gebildeten nicht so selten, als man klagt.

      Nach einigen Minuten Sandfahrt senkte Katzenberger sein Haupt in Schlaf. Jetzo bekränzte Theoda ihren Vater mit allen möglichen Redeblumen, um dem Freund ihres Dichters ihre Tochter-Augen für ihn zu leihen. Besonders hob sie dessen reines Feuer für die Wissenschaft heraus, für die er Leben und Geld verschwende, und beklagte sein Los, ein gelehrter einsamer Riese zu sein. Da der Edelmann gewiss voraussetzte, dass die Augen-Sperre des Riesen nichts sei als ein Aufmachen von ein Paar Dionysius-Ohren, wie überhaupt Blinde besser hören: so fiel er ihr unbedingt bei und erklärte, er staune über Katzenbergers Genie. Dieser hörte dies wirklich und hatte Mühe, nicht aus dem Schlafe heraus zu lächeln wie ein Kind, womit Engel spielen. Des blinden optischen Schlafes bedient‘ er sich bloß, um selber zu hören, wie weit Nieß sein Verlieben in Theoda treibe; und dann etwa bei feurigen Welt- und Redeteilen rasch aufzuwachen und mit Schnee und Scherz einzufallen. Jetzo ging Theoda, die an den Schlummer glaubte, weil ihr Vater sich selten die Mühe der Verstellung gab, noch weiter und sagte dem Edelmanne frei: »Sein Kopf lebt zwar dem Wissen, wie ein Herz dem Lieben, aber Sie springen zu ungestüm mit seiner Natur um. – In der Tat, Sie legen es ordentlich darauf an, dass er sich über Gefühle recht seltsam und ohne Gefühle ausdrücke. Täte dies wohl Ihr Theudobach?« – »Gewiss« – sagt‘ er –, »aber in meinem Sinne. Denn Ihren Vater, liebreiche Tochter, nehm‘ ich viel besser als der Haufe. Mich hindert seine satirische Enkaustik nicht, darhinter ein warmes Herz zu sehn. Recht geschliffnes Eis ist ein Brennglas. Man ist ohnehin der alltäglichen Liebfloskeln der Bücher so satt! O dieser milde Schläfer vor uns ist vielleicht wärmer, als wir glauben, und ist seiner Tochter so wert!« Katzenberger, eben warm und heiß vom nahen Nachmittagschlummer, hätt‘ etwas darum gegeben, wenn ihm sein Gesicht von einem Gespenste wäre gegen den Rücken und das Kutschen-Fensterchen gedreht gewesen, damit er ungesehen hätte lächeln können; wenigstens aber schnarchte er.

      Theoda indes, nie mit einer lauen oder höflichen Überzeugung zufrieden, suchte den Poeten für den Vater noch stärker anzuwärmen durch das Berichten, wie dieser bei dem Scheine einer geizigen Laune ganz uneigennützig als heilender Arzt Armen öfter als Vornehmen zu Hülfe eile und dabei lieber in den seltensten gefahrvollsten als in gefahrlosen Krankheiten der Schutzengel werde. Jedes Wort war eine Wahrheit; aber die Tochter voll kindlicher und jeder Liebe kam freilich nicht darhinter, dass ihm eigentlich die Wissenschaft, nicht der Kranke höher stand als Geld und dass er mit einer gewaltigen Gegnerin von kranker Natur am liebsten das medizinische Schach spielte, weil aus der größern Verwicklung die größere Lehrbeute zu holen war; ja er würde für eine stichhaltige Versicherung der bloßen Leichenöffnung jeden umsonst in die Kur genommen haben aus Liebe zur Anatomie.

      »Vollends aber die Güte, womit mein genialer Vater alle Wünsche erfüllt, mit welchen ich nicht gerade seinen wissenschaftlichen Eifer störe, und was er alles für meine Bildung getan, das kann ich als Tochter leichter in meinem Herzen verehren als durch Worte andern enthüllen; aber schmerzen muss es mich jederzeit, wenn ich ihn bei andern, da er Stand und fremdes Urteil gar zu wenig achtet, ordentlich darauf ausgehen sehe, verkannt zu werden«, beschloss Theoda. – Du warme Verblendete! – So wie wir alle merken, bildet sie sich ein, den Poeten Nieß durch Preisen für ihren Vater zu gewinnen, für einen Mann, der ihm doch ins Gesicht gesagt, seine Nasenwurzel sei zu dünn. Schwerlich sind Wurzelwörter eines solchen Ärgers je auszuziehen, und aus der Nasenwurzel wird in Nieß – da es etwas anderes sein würde, wäre statt der Eitelkeit bloß sein Stolz beleidigt worden – immer etwas Stechendes gegen den Doktor wachsen.

      Dafür aber zog sich aller Weihrauch, den die Tochter für den Vater anbrannte, auf sie selber zurück in Nießens Nase, und am Ende konnt‘ er sie kaum anhören vor Anblicken; so dass ihm nichts fehlte zu einer poetischen Umhalsung Theodas als der wahre Schlaf des schnarchenden Fuchses. Indes ging er auf andere Weisen über, Lieben auszusprechen, und legte solche an einem bekannten theudobachischen Schauspiel: »Die scheue Liebe« zergliedernd auseinander. Ein


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