Dr. Katzenbergers Badereise. Jean Paul

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Dr. Katzenbergers Badereise - Jean Paul


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      – DIE AVANTÜRE –

      ... hinein und warf an einem schiefgesunknen Grenzstein leicht, wie mit einer Wurfschaufel, den Wagen in einen nassen Graben hinab. Katzenberger fuhr als Primo Ballerino zuerst aus der Schleudertasche des Kutschers, griff aber im Fluge in die Halsbinde des Schuldirektors wie in einen Kutschen-Lakaien-Riemen ein, um sich an etwas zu halten; – Würfel seines Orts krallte nach Flexen hinaus und in dessen Fries-Ärmel ein und hatte unten im Graben den mitgebrachten Fries-Aufschlag in der Hand; – Nieß, das Gestirn erster Größe im Wagen, glänzte unten im Drachenschwanze seiner Laufbahn, nahm aber mehr die Gestalt eines Haarsterns an, weil er die Theoda‘sche Perücke nach sich gezogen, an die er sich laut wehklagend unterwegs hatte schließen wollen; – Theoda war durch kleines Nachgeben gegen den Stoß und durch Erfassen des Kutschenschlages diagonal im Wagen geblieben; – Flex ruhte, den Kutscher noch recht umhalsend, bloß mit der Stirn im Kote, wie ein mit dem Gipfel vorteilhaft in die Erde eingesetzter Baum.

      Erst unten im Graben und als jedermann angekommen war – konnte man wie in einem Unterhause auf Herauskommen stimmen und an Einhelligkeit denken. Katzenberger votierte zuerst, indem er die Hand aus Würfels Halsbinde nahm und dann auf dem Rückgrate des Schuldirektors wie auf einer flüchtigen Schiffbrücke wegging, um nachher auf Flexen aufzufußen und sich von da, wie auf einem Gaukler-Schwungbrett, leicht ans Ufer zu schwingen. Es gelang ihm ganz gut, und er stand droben und sah hernieder.

      Hier konnte er nicht ohne wahre Ruhe und Lust so leicht bemerken, wie die andern Hechte im Graben-Wasser schnalzten, aus Verlegenheit. Flexens Rückgrats-Wirbel wurden ein allgemeines, aber gutes Trottoir, und der Schuldirektor schlug willig diesen Weg ein. Am Ufer zog der Doktor ihn an der Halsbinde nach kurzem Erwürgen ans Ufer, wo er unaufhörlich sich und seinen Kleider-Bewurf besah und zurückdachte. Auch der untergepflügte Dichter bekroch Flexen und bot dem Doktor die Hand, an deren Ohrfinger dieser ihn mit kleiner Verrenkung dadurch aufs Trockne zog, dass er selber sich rückwärts bog und umfiel, als jener aufstand. Was noch sonst aus dem Nilschlamme halb lebendig aufwuchs, waren nur Leute; aber diese waren am nötigsten zum Aufhelfen, sie waren die Flügel, die Maschinen-Götter, die Schutzheiligen, die Korkwesten des Wagens im Wasser.

      Mehlhorn für seine Person war herbeigesprungen und stand auf dem umgelegten Kutschenschlage fest, in welchen er unaufhörlich seinen Hülf-Engels-Arm umsonst Theodan hineinreichte, um sie um den Schlag herum- und aufzuziehen – bis ihn der Kutscher von seinem Standort wegfluchte, um den Wagen aufzustellen.

      Delikate Gesellschaftknoten werden wohl nie zärter aufgelöset als von dem Wurfe in einen Graben, gleichsam in ein verlängertes Grab, wobei das allgemeine Interesse wenig verliert, wenn noch dazu Glieder der Mitglieder verrenkt oder verstaucht sind oder beschmutzt. Die Freude ging allgemein wie eine Luna auf; das Städtchen Huhl lag vor der Nase, und jeder musste sich abtrocknen und abstauben und deshalb vorher übernachten. Nur Würfel, der aus dem Örtchen sein Taschenbuch zurückzuholen hatte, musst‘ verdrüsslich daraus heimeilen mit der nassen Borke am besten Vorderwestchen; eine halbe Nacht und einen ganzen Weg voll Nachtluft musst‘ er dazu nehmen, um so trocken anzulangen, als er abgegangen. Katzenberger machte weniger aus dem Kot, von welchem er seine eigne Meinung hegte, welche diese war, dass er ihn bloß als reine Adams-Erde, mit heiligem Himmelwasser getauft, darstellte und dann die Leute fragte: Was mangelt dem Dreck? Bloß den dachsbeinigen Flex schalt er über dessen schweres Schleppkleid so: »Fauler Hund, hättest du dich nicht stracks aufrichten können, sobald ich von dir aufgesprungen war? Warum ließest du dich von allen immer tiefer eintreten? Und warum gabst du dem unbedachtsamen Würfel nicht nach und ließest dich vom Bocke herunterreißen, anstatt meines Livrei-Aufschlags? He, Mensch?« – »Das weiß ich nicht«, versetzte Flex, »das fragen Sie einen andern.«

      THEODAS ERSTEN TAGES BUCH

      Die Destillation hinabwärts (dest. per descens.), wie der Doktor den Grabenfall nannte, brachte manches Leben in den Abend. Er selber behielt alles an und war sein Selb-Trockenseil.

      Nieß konnte die Einsamkeit der abwaschenden Wiedergeburt zum Nachschüren von neuem Brennstoff für Theoda verwenden. Er sann nämlich lange auf treffliche Sentenzen über die Liebe und grub endlich folgende in die Fenstertafel seines Zimmers: »Das liebende Seufzen ist das Atmen des Herzens. – Ohne Liebe ist das Leben eine Nacht in einer Mondverfinsterung; wird aber diese Luna von keiner Erde mehr verdeckt, so verklärt sich mild die Welt, die Nachtblumen des Lebens öffnen sich, die Nachtigallen tönen, und überall ist Himmel. Theudobach, im Junius.«

      Theoda schrieb eiligst folgende Tagebuchblätter, um sie dem Mehlhorn noch mitzugeben:

      »Du teures Herz, wie lange bin ich schon von dir weg gewesen, wenn ich Zeit und Weg nach Seufzern messe! Und wann werd‘ ich in dein Haus springen oder schleichen? Gott verhüte Letztes! Ein Zufall – eigentlich ein Fall in einen Graben – hält uns alle diese Nacht in Huhl fest; leider kommen wir dann erst morgen spät in Maulbronn an; aber ich habe doch die Freude, deinem guten Manne mein Geschreibsel aufzupacken. Der Gute! Ich weiß wohl, warum du mir nichts von seiner gleichzeitigen Reise gesagt; aber du hast nicht recht gehabt. Mein Vater setzte auf eine Stunde den raffinierten Zuckerhut Würfel in den Wagen; seine Weste litt sehr beim Umwerfen. Insofern war mirs lieb, dass dein Mann nicht mitgefahren; wer steht für die Wendungen des Zufalls? – Ich habe, Herzige, deinen Rat – denn in der Ferne gehorcht man leichter als in der Nähe – treu befolgt und heute fast nichts getan als Fragen an den Edelmann über den Dichter. Dieser ist selber – höre – bloß die beste erste Ausgabe seiner Bücher, eine Prachtausgabe, wenn nicht besser, wenigstens milder als seine Stachelkomödien. Niemand hat sich vor seinem Auge oder Herzen zu scheuen. Er lief schon als Kind gern auf Berge und in die Natur; und so war er auch schon als Kind vor seinem neunten Jahre unsterblich verliebt. Närrisch ists doch, dass man dergleichen an großen Menschen als so etwas Großes nimmt, da man ja bei sich und andern nicht viel daraus macht. – Herr von Nieß erzählte mir eine köstliche, längst abgeschlossne Geschichte von seiner ersten Liebe, als eines Knaben voll Zärte und Glut und Frömmigkeit; sie soll dir einmal wohltun, wenn ich sie dir in dein Wochenbett hineinwerfe. Nur machts der liebe Vater durch Mienen und Worte jedem gar zu schwer, dergleichen vorzutragen – anzuhören weniger, denn ich bin an ihn gewöhnt –; er wirft oft, wie du ja weißt, Eisspitzen ins schönste Feuer, auf die niemand in ganz Pira gefallen wäre, und bringt damit den Gerührtesten zum Lachen. Er nennt unser ewiges Sprechen über unsern Dichter ein holländisch-langes Glockenspiel. Freilich kennt ihn Herr von Nieß nicht oder will es nicht; so seltsam fragt er ihn an. Ich habe dir ihn überhaupt noch nicht gemalt, so mag er mir denn sitzen auf dem Kutschenkissen. Recht klug wird man nicht aus ihm; er wirft nicht sich, aber das Geld weg (fast zu sehr). – Er schimmert und schneidet, wie der Demant in seinem Ringe; und ist doch weich dabei und stets auf der Jagd nach warmen Augenblicken. – Ein Held ist er auch nicht, ja nicht einmal eine Heldin; vor dem kleinsten Stachelchen fährt er in die Bienenkappe – wie ich dir nachher meine eigne Perücke als Beweis und Bienenkappe vorzeigen will. – Übrigens hat er alle nachgiebige Bescheidenheit des Weltmannes, der sich auf die Voraussetzung seines Werts verlässt – und dabei fein-fein und sonst mehr. – Dies ist aber eben der Punkt: von sich spricht er fast kein Wort, unaufhörlich von seinem Jugendfreunde, dem Dichter, gleichsam als wäre sein Leben nur die Grundierung für diese Hauptfigur. Auffallend ists, dass er nicht mit dem feurigen Gefühl, wie etwan ich, von ihm redet, sondern fast ohne Teilnahme (er berichtet bloß Tatsachen), so dass es scheint, er wolle nur meinem Geschmacke zu Gefallen reden und dabei unter der Hand für jemand anders den Angelhaken auswerfen als für unsern Theudobach. Zwischen diesem Namen und dem meinigen find‘ er etymologisch, sagt‘ er, nur den Unterschied des Geschlechts, worüber ich ordentlich zusammenfuhr, weil ich nie darauf gefallen war. Aber, warum sagt er mir solches angenehme Zeug, da er doch sieht, dass er mich nur durch ein ganz fernes Herz in Flammen setzt? Eilte dein Mann nicht so fürchterlich: wahrlich, ich wollte vernünftig schreiben. Ich sage dir donnerstags alles, wenn es auch der Freitag widerlegt. In der Fremde ist man gegen Fremde (ja gegen Einheimische) weniger fremd als zu Hause; ich fragte geradezu Herrn von Nieß, wie der Dichter aussehe. ›Wie stellen Sie sich ihn denn vor?‹, fragt‘ er. ›Wie die edleren Geschöpfe dieses Schöpfers selber‹ (versetzt‘ ich). ›Er


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