Jane Eyre. Шарлотта Бронте

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Jane Eyre - Шарлотта Бронте


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aus­ge­zeich­ne­te Be­schüt­ze­rin ge­zwun­gen war, sie von ih­ren ei­ge­nen Kin­dern zu tren­nen, aus Furcht, dass ihre las­ter­haf­te Ver­derbt­heit die Rein­heit der Klei­nen be­su­deln kön­ne. Sie hat sie hier­her ge­sandt, um ge­heilt zu wer­den, wie die Ju­den des Al­ter­tums ihre Aus­sät­zi­gen an den wo­gen­den See von Be­thes­da schick­ten. Und da­her, Vor­ste­he­rin, Leh­re­rin­nen, ich fle­he Sie an, las­sen Sie die Wel­len um die­ses Kind nicht zum Still­stand kom­men.«

      Mit die­sen er­ha­be­nen Schluss­wor­ten knöpf­te Mr. Brock­le­hurst den obers­ten Knopf sei­nes Über­zie­hers zu, und mur­mel­te et­was zu sei­ner Fa­mi­lie ge­wen­det. Die­se er­hob sich, ver­neig­te sich ge­gen Miss Tem­ple – und dann se­gel­ten all die vor­neh­men Leu­te mit großem Pomp zur Tür hin­aus. Mein Rich­ter aber wand­te sich noch ein­mal um und sag­te:

      »Lasst sie noch eine hal­be Stun­de auf je­nem Stuhl ste­hen, und dass kei­ner von euch wäh­rend des gan­zen üb­ri­gen Ta­ges mit ihr spricht.«

      Da stand ich also, hoch er­ho­ben über alle; ich, die ich so oft ge­sagt, dass ich die Schan­de nicht er­tra­gen wür­de, auf mei­nen ei­ge­nen, na­tür­li­chen Fü­ßen in der Mit­te des Zim­mers zu ste­hen – ich stand nun da, al­len Bli­cken aus­ge­setzt auf ei­nem Pie­de­stal der Schan­de. Wor­te ver­mö­gen nicht zu be­schrei­ben, wel­cher Art die Ge­füh­le wa­ren, die in mir tob­ten; aber ge­ra­de in dem Au­gen­blick, wo sie mir die Keh­le zu­sam­men­schnür­ten und mir den Atem zu rau­ben droh­ten, ging ein Mäd­chen an mir vor­bei. Und im Vor­bei­ge­hen rich­te­te sie ihre Bli­cke auf mich. Welch ein selt­sa­mes Licht ström­ten sie über mich aus! Welch ein wun­der­ba­res Ge­fühl weck­ten ihre Strah­len in mir! Und wie stark dies bis jetzt un­ge­kann­te Emp­fin­den mich mach­te! Es war, als sei ein Held, ein Mär­ty­rer an ei­nem Skla­ven oder an ei­nem Op­fer vor­über­ge­gan­gen und hät­te ihm da­durch Mut und Kraft ein­ge­flö­ßt. Ich be­herrsch­te und über­wäl­tig­te den Wein­krampf, der sich mei­ner be­mäch­ti­gen woll­te, er­hob das Haupt und stand dann fest und ohne Be­ben auf dem Stuhl. He­len Burns stell­te eine un­be­deu­ten­de Fra­ge über ihre Ar­beit an Miss Smith, wur­de we­gen der Tri­via­li­tät der­sel­ben ge­schol­ten, ging an ih­ren Platz zu­rück und lä­chel­te mir im Vor­über­ge­hen wie­der­um zu. Welch ein Lä­cheln!! Noch heu­te er­in­ne­re ich mich des­sen und ich weiß, dass es der Aus­fluss ei­nes großen Geis­tes, ei­nes wah­ren Mu­tes war; es ver­klär­te ihre schar­fen Züge, ihr ab­ge­ma­ger­tes Ge­sicht, ihre ein­ge­sun­ke­nen, grau­en Au­gen wie der Wie­der­schein von der Ge­stalt ei­nes En­gels. Und doch trug He­len Burns in die­sem Au­gen­blick die »Bin­de der Un­ord­nung« an ih­rem Arm; vor kaum ei­ner Stun­de hat­te ich erst ver­nom­men, wie Miss Scat­cherd sie für den mor­gen­den Tag ver­damm­te, ein Mit­tag­mahl von Was­ser und Brot zu hal­ten, weil sie eine Übung beim Ab­schrei­ben mit Tin­te be­fleckt hat­te. Dies ist die un­voll­kom­me­ne Na­tur des Men­schen! Sol­che Fle­cke gibt es auf der Schei­be des strahlends­ten Pla­ne­ten, und Au­gen wie Miss Scat­cherds sind nur im­stan­de die­se klein­li­chen Män­gel und Feh­ler zu ent­de­cken; für den vol­len Glanz des Gestirns sind sie blind!

      Ehe noch die hal­be Stun­de zu Ende war, schlug es fünf Uhr. Die Klas­sen wur­den ent­las­sen, und alle be­ga­ben sich zum Tee ins Re­fek­to­ri­um. Jetzt wag­te ich, her­ab­zu­stei­gen: es herrsch­te tie­fe Dun­kel­heit. Ich ging in eine Ecke und setz­te mich auf den Fuß­bo­den. Der Zau­ber, der mich so­weit auf­recht er­hal­ten hat­te, be­gann zu schwin­den; die Re­ak­ti­on trat ein, und so über­wäl­ti­gend war der Schmerz, der sich mei­ner be­mäch­tig­te, dass ich auf das Ant­litz zu Bo­den fiel. Jetzt wein­te ich, – He­len Burns war nicht mehr da; nichts, nie­mand hielt mich auf­recht; mir selbst über­las­sen, gab ich mich dem Jam­mer hin, und mei­ne Trä­nen netz­ten den Fuß­bo­den. Ich hat­te die fes­te Ab­sicht ge­habt, gut und brav zu wer­den, in Lo­wood so viel zu ler­nen; mir vie­le Freun­de zu er­wer­ben, Ach­tung zu er­rin­gen und Lie­be zu ern­ten. Schon hat­te ich sicht­ba­re Fort­schrit­te ge­macht; noch an dem­sel­ben Mor­gen war ich die Ers­te in mei­ner Klas­se ge­wor­den; Miss Mil­ler hat­te mich warm ge­lobt; Miss Tem­ple hat­te mir Bei­fall zu­ge­lä­chelt; sie hat­te mir ver­spro­chen, mich zeich­nen zu leh­ren und mich fran­zö­sisch ler­nen zu las­sen, wenn ich noch zwei Mo­na­te fort­fah­ren wür­de, sol­che Fort­schrit­te zu ma­chen. Mei­ne Mit­schü­le­rin­nen wa­ren mir freund­lich ge­sinnt; mei­ne Al­ters­ge­nos­sin­nen be­han­del­ten mich als ih­res­glei­chen, nie­mand quäl­te, nie­mand be­läs­tig­te mich – und jetzt lag ich hier zer­tre­ten, zer­malmt! Wür­de ich mich je­mals wie­der er­he­ben kön­nen?

      »Nie­mals«, dach­te ich; und bren­nend, glü­hend wur­de der Wunsch in mir rege, ster­ben zu kön­nen. Wäh­rend ich in ge­bro­che­nen Lau­ten die­sen Wunsch her­vor­stam­mel­te, nä­her­te sich mir je­mand; ich fuhr em­por – wie­der­um war He­len Burns mir nahe; das er­lö­schen­de Feu­er ließ mich ge­ra­de noch er­ken­nen, wie sie durch das große, lee­re Zim­mer da­her kam, sie brach­te mir Kaf­fee und Brot.

      »Komm, iss ein we­nig«, sag­te sie; aber ich schob bei­des zu­rück; mir war, als hät­te ein Bis­sen, ein Trop­fen in mei­nem ge­gen­wär­ti­gen Zu­stan­de eine Er­sti­ckung her­bei­füh­ren müs­sen. He­len sah mich wahr­schein­lich mit Er­stau­nen an; wie sehr ich mich auch be­müh­te, jetz­t konn­te ich mei­ner Er­re­gung nicht Herr wer­den. Ich fuhr fort laut zu wei­nen. Sie setz­te sich zu mir auf den Fuß­bo­den, schlang die Arme um ihre Knie und leg­te ih­ren Kopf auf die­sel­ben; in die­ser Stel­lung ver­harr­te sie re­gungs­los wie ein In­dia­ner. Ich war die ers­te, die sprach:

      »He­len, wes­halb bleibst du bei ei­nem Mäd­chen, das je­der­mann für eine Lüg­ne­rin hält?«

      »Je­der­mann, Jane? Nun, es sind doch nur acht­zig We­sen, wel­che dich so nen­nen hör­ten, und die Welt trägt ih­rer Hun­der­te von Mil­lio­nen.«

      »Aber was habe ich mit Mil­lio­nen zu tun? Die acht­zig, wel­che ich ken­ne, ver­ach­ten mich.«

      »Jane, du irrst; wahr­schein­lich ist nicht eine ein­zi­ge in der gan­zen Schu­le, die dich ver­ach­tet oder dich hasst; vie­le – des­sen bin ich ge­wiss – be­dau­ern dich von gan­zem Her­zen.«

      »Wie kön­nen sie mich nach dem, was Mr. Brock­le­hurst ge­sagt hat, noch be­dau­ern?«

      »Mr. Brock­le­hurst ist kein Gott; er ist nicht ein­mal ein großer und be­wun­der­ter Mensch; man liebt ihn hier nicht; er hat auch nie­mals ir­gend et­was ge­tan, um sich be­liebt zu ma­chen. Wenn er dich wie sei­nen be­son­de­ren Lieb­ling be­han­delt hät­te, so wür­dest du rund um­her nur Fein­de ge­fun­den ha­ben, of­fe­ne oder heim­li­che, – wie die Din­ge jetzt aber lie­gen, wür­den die meis­ten Mäd­chen die Sym­pa­thie gern be­wei­sen, wenn sie nur den Mut dazu hät­ten. Mög­lich ist es, dass Leh­re­rin­nen und Schü­le­rin­nen dich wäh­rend der nächs­ten zwei, drei Tage mit kal­ten Bli­cken be­trach­ten, aber glaub mir, freund­li­che Ge­füh­le und Ge­sin­nun­gen tra­gen sie für dich im Her­zen. Und wenn du fort­fährst, gut und flei­ßig zu sein, so wer­den die­se Ge­füh­le bin­nen kur­z­em umso au­gen­schein­li­cher zu Tage tre­ten, weil sie eine Zeit lang un­ter­drückt wer­den muss­ten. Au­ßer­dem, Jane« – – sie hielt inne.

      »Nun, He­len?« frag­te ich und leg­te mei­ne Hand in die ihre; zärt­lich rieb sie mei­ne Fin­ger, um sie zu er­wär­men und fuhr dann fort:

      »Wenn


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