Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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dem grimmen Manne zu widersetzen. – Auch mit den beiden Knaben machte er sich zu schaffen. Eines Morgens, als Kuno in den Stall hinabkam, stand neben dem Rappen des Obersten ein kleines schwarzes Nordlandsroß mit roter goldgestickter Schabracke. ‘Das ist dein eigen’, sagte der Oberst, der mit hineingetreten war, ‘klettere hinauf, so zeig ich dir, wie ein Mann zu Pferde sitzen muß.’ Bald sorgte er, daß auch der kleine Wolf ein Roß bekam, und nun lehrte er die beiden Reiten nach den Regeln der Kunst. Nicht lange, so sah man den hagern Obristen auf seinem hochbeinigen Rappen zwischen den beiden Knaben auf ihren kleinen Nordlandsrossen über die Felder reiten. Aber seltsame Reden waren es, die er dabei mit ihnen führte. Wenn sie, wie es bei Kindern geschieht, einmal in Zank gerieten, so bückte er sich von seinem hohen Rappen und flüsterte dem ältem zu: ‘Du bist der Herr; vom Hof kannst du den Burschen jagen!’ und darauf zu dem jüngern nach der andern Seite: ‘Er will’s dir zeigen, daß du auf seinem Grund und Boden reitest!’ Aber dergleichen Worte bewirkten nur, daß die Knaben sogleich von ihrem Streite abließen, ja wohl gar von ihren Rossen sprangen und sich weinend in die Arme fielen.

      Der Obrist sah scharf; er hatte es wohl bemerkt, wie die Augen der schönen Gräfin, wenn sie den Stiefsohn mit ihrem eignen aus der Tür gehen sah, von plötzlicher Finsternis befallen wurden, und wie dann ihre Blicke dem Fortgehenden hastig und feindselig nachjagten.

      An einem sonnigen Nachmittage stand er mit ihr in dem Würzgärtlein, wo einst die gute Gräfin der Weisheit des Meisters Cyprianus gelauscht hatte. Als die stolze Frau über die Ringmauer auf die unten liegenden Wälder und Auen hinaussah, sagte er lauernd: ‘Der Kuno tritt eine schöne Herrschaft an, wenn er zu seinen eigenen Jahren kommt.’ Und als sie schwieg und nur mit finstern Augen in die Ferne starrte, setzte er hinzu: ‘Euer Wolf ist ein zartes Pflänzlein; aber der Kuno scheint fürs Regiment geboren; langlebig und handfest schaut er aus.’

      In diesem Augenblicke kamen auf der Wiese, die in der Tiefe unterhalb des Gärtleins lag, die beiden Knaben auf ihren Rossen dahergeflogen. Sie ritten so dicht nebeneinander, daß die braunen Locken Kunos mit den blonden des kleinen Wolf zusammenwehten. Das Roß des letztern schüttelte die Mähne und wieherte laut in den Sonnenschein hinaus. Da erschrak die Mutter und stieß einen Schrei aus; aber Kuno schlang den Arm um seinen Bruder, und indem sie vorübertrabten, warf er einen stolzen leuchtenden Blick zu den Obenstehenden hinauf.

      “Wie gefallen Euch diese Augen, schöne Gräfin?” fragte der Oberst.

      Sie stutzte und streifte mit einem unsichern Blick über ihn hin.

      “Wie meint Ihr das? ” flüsterte sie dann.

      Er aber, die Hand am Kinn, erwiderte ebenso: “Rechnet auf mich, schöne Frau; der Oberst Hager ist Euer treuergebener Knecht.”

      Da raunte sie, und er sah, wie ihr Antlitz totenbleich wurde: “Die Augen würden mir besser noch gefallen, wenn sie geschlossen wären.”

      “Und was gäbt Ihr drum, wenn Ihr sie in solcher Schönheit erblicken könntet?”

      Sie legte einen Augenblick ihre weiße Hand in die seine; dann warf sie die glänzenden Locken zurück und schritt, ohne sich umzublicken, aus dem Gärtlein.

      Als eine Stunde später der kleine Kuno durch die Korridore des obem Stockwerks streifte, sah er den Obristen in einer Fensternische stehen. Der Knabe wollte vorüber; denn der Mann schaute so unheimlich drein. Aber er wurde angerufen: “Wohin rennst du, Junge?”

      “Nach der alten Rüstkammer”, sagte Kuno, “ich wollte meine Armbrust holen.”

      “So gehe ich mit dir.” Und der Oberst schritt neben dem Knaben her bis zu dem entlegenen Gemache, wo noch immer mit dem schweren Bahrtuch verhangen unter allerlei Gewaffen der Spiegel des Cyprianus stand. Als sie eingetreten waren, schob der Oberst den Eisenriegel vor und stellte sch mit dem Rücken gegen die Tür. Da aber der Knabe die wilden Augen des Mannes sah, schrie er: “Hager, Hager, du willst mich töten!”

      “Du kannst nicht übel raten”, sagte der Oberst und griff nach ihm. Aber der Knabe sprang unter seinen Händen fort und riß seine gespannte Armbrust von der Wand, die er tags vorher dorthin gehangen hatte. Er schoß, und den Eindruck seines Bolzens könnt Ihr noch heutzutage in dem schwarzen Eichengetäfel sehen; aber den Obristen traf er nicht.

      Da warf er sich in die Knie und rief: “Laß mich leben; ich schenke dir mein kleines Nordlandsroß und auch das schöne rote Sattelzeug!”

      Der finstere Mann stand mit untergeschlagenen Armen vor ihm. “Dein Nordlandsroß”, erwiderte er, “läuft mir noch lange nicht schnell genug.”

      “Lieber Hager, laß mich leben!” rief der Knabe wieder; “wenn ich groß bin, will ich dir mein Schloß geben und alle schönen Wälder, die dazu gehören!”

      “Die will ich bälder noch bekommen”, sagte der Oberst.

      Da senkte der Knabe das Haupt und rief: “So ergebe ich mich in die Allbarmherzigkeit Gottes!”

      “Das war das rechte Wort!” sagte der böse Mann. Aber der Knabe sprang noch einmal auf und flog an den Wänden des Gemaches entlang; der Oberst jagte ihn wie ein Wildpret. Als sie aber an den verhangenen Spiegel kamen, verwickelte der Knabe seine Füße in dem Bahrtuch, daß er jählings zu Boden stürzte. Da war auch der böse Mann über ihm. – –

      In demselben Augenblick – so wird erzählt – als dieser zum Faustschlage ausholte und der Knabe die kleinen Hände schützend über seinem Herzen kreuzte, stand der alte Hausmeister tief unten im hintersten Verschlage des Kellers, wo ein Knecht mit der Abzapfung eines Fasses Ingelheimer beschäftigt war. “Hast du nichts gehört, Casper?” rief er und setzte das Lämpchen, das er in der Hand gehalten, auf das Faß.

      Der Knecht schüttelte den Kopf. “Mir war”, sagte der Alte, “als hörte ich den Junker Kuno meinen Namen rufen.”

      “Ihr irrt Euch, Meister”, erwiderte der Knecht; “hier unten hört sich nichts!”

      Eine Weile stand es an; da rief der Alte wieder: “Um Gott, Casper, da hat es nochmals mich gerufen; das war ein Notschrei aus meines Junkers Kehle!”

      Der Knecht fuhr in seiner Arbeit fort. “Ich höre nur den roten Wein vom Fasse rinnen”, sagte er.

      Der Alte aber ließ sich nicht beruhigen; er stieg in das Schloß hinauf; er ging von Tür zu Tür, erst in dem Erdgeschoß und dann droben in dem oberen Stockwerk. Als er die Tür der entlegenen Rüstkammer öffnete, da leuchtete ihm der Spiegel des Cyprianus entgegen, auf den die Abendsonne schien. “Wessen ruchlose Hand hat denn das herabgerissen?” murrte der Alte; als er aber das Bahrtuch vom Boden hob, sah er darunter den Leichnam des Knaben und sah die dunkeln Locken über den geschlossenen Augenlidern liegen.

      Der alte Mann stürzte in die Kniee und warf sich jammernd über ihn. Er löste die Kleider und suchte an dem Körper seines Lieblings nach der Spur des Todes. Aber er fand nichts als nur über dem Herzen einen dunkelroten Flecken. Lange blieb er noch finster und grübelnd auf den Knien liegen. Dann hüllte er den Knaben in das Bahrtuch, nahm ihn auf seine Arme und trug ihn in das Erdgeschoß hinab nach dem Zimmer der Gräfin. Als er eintrat, sah er die stolze Frau todbleich und zitternd vor dem Obersten stehen, der, wie es schien, halb mit Gewalt ihre Hand erfaßt hielt.

      Da legte der Alte den Leichnam zwischen die beiden auf den Boden, und fest die Augen auf sie heftend, sprach er: “Der Erbherr Graf Kuno ist tot; Euer Söhnlein, Frau Gräfin, ist jetzt der Erbe dieser Herrschaft.”

      Es mochte ein Monat nach dem Begräbnis des jungen Erbherrn sein, da lehnte die Gräfin eines Nachmittags an dem Geländer eines kleinen Söllers, der über der Tiefe schwebend von ihrem Zimmer den Austritt in die freie Luft gestattete. Der kleine Wolf stand neben ihr und betrachtete eine Schar von Vögeln, welche in den Wipfeln der von unten heraufragenden Föhren und Eichen mit lautem Geschrei ihr Wesen trieben.

      “Sieh nur!” sagte die Gräfin. “Sie beschreien den Kauz; dort sitzt er neben dem Astloch in der Eiche.” Und sie wies mit dem Finger vor sich hin.

      Des Knaben Augen folgten mit Begierde. “Ich seh ihn schon, Mutter”,


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